Arztbesuch: "Wie in einem Geschäft"

In speziellen Trainings werden Mediziner und Praxispersonal für den Verkauf zusätzlicher Leistungen geschult, berichtet Ulrike Steckkönig von der Stiftung Warentest.

taz: Frau Steckkönig, warum werden immer mehr individuellen Gesundheitsleistungen angeboten?

Ulrike Steckkönig: Weil Ärzte diese ihren Patienten verstärkt und in aktiver Weise anbieten. Nach der jetzigen Vergütung der Kassenärzte weiß der Arzt ja erst am Ende des Quartals, wie viel Geld er wirklich für die geleisteten Untersuchungen und Behandlungen bekommt. Für die Ärzte sind die individuellen Gesundheitsleistungen eine zusätzliche und einigermaßen kalkulierbare Einnahmequelle. Und sie werden von den Patienten oft bar bezahlt.

Gibt es auch medizinische Gründe, die für die Ausweitung dieser Leistungen sprechen?

Nicht viele. Es geht vor allem um ein gutes Marketing, was bei den Menschen dazu führt, dass sie glauben, sie bräuchten Leistungen, die die gesetzliche Kasse ihnen nicht bezahlt.

Haben sie damit manchmal nicht auch Recht?

Die gesetzlichen Krankenkassen zahlen, was medizinisch notwendig ist. Natürlich gibt es an den Rändern immer Fälle, über die man streiten kann. Die Hautkrebsvorsorge, die bislang privat bezahlt werden muss, sollte endlich in den Leistungskatalog der gesetzlichen Kassen aufgenommen werden. Darüber wird derzeit auch verhandelt. Viele andere dieser Leistungen sind medizinisch nicht notwendig, manche sogar schädlich.

Was heißt das konkret?

Vor allem werden Untersuchungen an Menschen vorgenommen, die keine Krankheitssymptome haben. An der Diagnostik sind Labore beteiligt, Großgeräte wie Ultraschallgeräte kommen zum Einsatz, natürlich auch Medikamente. Hinter all diesen Leistungen steckt eine Großindustrie. Sie unterstützt die Ärzte dabei, diese Leistungen an die Patienten zu bringen. In manchen Wartezimmern liegt so viel Werbematerial, dass man sich wie in einem Geschäft vorkommt.

Viele Ärzte bilden sich selbst in Sachen Marketing fort.

Ja, viele Fachverlage haben dafür inzwischen eigene Publikationen zum Thema individuelle Gesundheitsleistungen. Außerdem werden regelrechte Verkaufstrainings angeboten, für den Arzt, aber auch für sein Praxispersonal. Es wird sogar empfohlen, die Arzthelferinnen am Umsatz zu beteiligen. Patientenberatungsstellen berichten davon, dass die Arzthelferinnen mit Vordrucken für IGel-Leistungen durch das Wartezimmer marschieren. Solche Leistungen aber muss der Arzt seinen Patienten erklären.

Was raten Sie Patienten, die mit einem solchen Angebot konfrontiert werden?

Erst mal nichts unterschreiben und so lange nachfragen, bis man wirklich verstanden hat, worum es geht. Die Kernfrage sollte dabei sein: Ist das medizinisch notwendig? Und warum zahlt die Kasse dann nicht? Außerdem sollte der Patient darauf bestehen, dass alles formal korrekt abläuft. Dazu gehört ein schriftlicher Vertrag, in dem steht, wie viel das Ganze kostet. Dabei muss sich der Arzt an die Gebührenordnung halten. Sicherheitshalber kann der Patient das bei seiner Kasse erfragen. Es soll vorkommen, dass Ärzte Leistungen privat abrechnen, die die Kasse unter bestimmten Voraussetzungen erstatten würde. INTERVIEW: SABINE AM ORDE

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