Radtrend: Schön schnell
Kein Licht, kein kettenschutz, kein Gepäckträger, kein Firlefanz - das Rennrad ist wieder in Mode
Ein weiterer Eintrag in der kollektiven Excel-Datenbank der Retrophänomene: Das Rennrad ist zurück, fährt auf maximal schmalen Reifen durch Berlin-Mitte oder um die Außenalster. Wird von jungen Frauen in engen Jeans lässig geschultert durch Treppenhäuser getragen. Weil ein Rennrad so wenig wiegt und weil es so schick aussieht im vierten Stock auf dem Dielenfußboden. Lehnt in Modestrecken bedeutungsvoll an einer Laterne. Und sieht bereits auf diese Weise abgestellt so aus, als ob es fahren würde. Oder mindestens: unbedingt fahren will.
Das Rennrad selbst hat keine Laterne, kein Licht. Genauso wie es auf Schutzblech, Kettenschutz, Gepäckträger, auf jeglichen Firlefanz verzichtet. Dafür gibt das Rennrad ein Versprechen: Es ist die schnellste Möglichkeit, sich aus eigener, menschlicher Kraft fortzubewegen. Dass das hin und wieder auch mit übermenschlichen Kräften geschieht, dafür stand die diesjährige Tour de France. Gepimpte Körper auf gepimpten Maschinen, Kohlefaserrahmen, sieben Kilo leicht und 8.000 Euro teuer. Vor allem aber: längst nicht so elegant, so zwangsläufig und logisch in ihrer Geometrie wie die Rennräder der 60er-, 70er-Jahre, 80er-Jahre. Räder von Pinarello, Bianchi oder Inelli. Von Puch, Peugeot und Motorbecane für den Hausgebrauch. Räder in leuchtendem Bordeaux oder reinem Weiß, später entwickelte das Genre eine eigenartige Vorliebe für helle, milchige Grüntöne.
Das Rennrad ist das schönste unter den Fahrrädern, genauso wie der Sportwagen das schönste Auto ist. Und vielleicht gar nicht mal zufällig klebt an dem einen gerade das Doping wie an dem anderen die CO(2)-Debatte. Das Rennrad ist maximal reduziert in Form und Funktion. In seiner radikalen Minimiertheit ist es gleichzeitig beschleunigte Skulptur und streng modernistisches Gebrauchsobjekt. Die schönsten von ihnen haben kein Gramm überflüssigen Lack auf ihren stählernen Körpern. Puristen verzichten sogar auf das lederne Lenkerband. Die Hebel der Kettenschaltung sitzen noch immer kompliziert weit weg an der unteren Rahmenstange.
Darin gleicht das Rennrad der textilen Mode: Es kann nicht von jedem getragen werden. Auf einem Hollandrad mit seiner weit ausladenden Gabel und dem hochragenden Lenker wirkt jeder Radler automatisch grazil und bedächtig. Der Rücken gerade, der Blick geradeaus. Während meines Studiums in Marburg ist ein stadtbekannter Philosophieprofessor, Herr Brandt, immer auf seiner Gazelle durch die Universitätsstadt geschwebt. Ein standesgemäßes Bild. Auf einem Klapprad andererseits wirkt selbst der proportionalste Körper schlampig platziert. Alles wackelt, das Rad wie der Mensch. Wobei gerade in dieser bewusst ausgestellten Nachlässigkeit die kurze Liebe - zumal der Berlinerinnen - zum Klapprad begründet lag. Das Klapprad war bad taste und Flohmarkt-Couture. War wie ein Turnschuh mit neongelben Schnürsenkeln, ein T-Shirt mit einem Siebdruckprint vom Berliner Fernsehturm.
Das Rennrad hingegen ist eine Grazie. Und möchte auch so bewegt werden. Wobei seine Wiederkehr als mobiles, modisches Accessoire eben auch mit einer Entschleunigung einhergegangen ist. Flinkes Flanieren, darum geht es nun. Immer langsam genug, um doch gesehen zu werden. Glücklicherweise, nebenbei bemerkt, ist die Jeans in den vergangenen Monaten wieder entscheidende Zentimeter gen Taille gerutscht. Denn das Rennrad unterbindet die aufrechte Fahrt. Lässt seinen Lenker, seine Lenkerin aber andererseits fast symbiotisch in der eigenen Geometrie aufgehen. Windschnittig sieht das aus, wo das Rennrad überhaupt ein Feind aller Reibungsverluste ist. Die Lauffläche der profillosen Reifen misst kaum wenige Millimeter, ihr Feind sind die Straßenbahnschienen am Berliner Hackeschen Markt genauso wie das Hamburger Schmuddelwetter. Aber nach so was fragt ja die Mode nicht.
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