Kitas: "Keine Marotte von Feministinnen"

Wir brauchen mehr Kitas - und bessere. Sie müssen Lernorte werden, die gerade Kinder aus bildungsfernen Schichten Chancen eröffnen, so Gisela Erler.

Erler: "In Kitas wird zu viel gespiel und zu wenig reflektiert." Bild: dpa

taz: Frau Erler, durch die Krippenoffensive von Familienministerin von der Leyen ist viel über die Zahl der Plätze gesprochen worden. Ist die Qualität der Betreuung aus dem Blick geraten?

Gisela Erler: Frühkindbetreuung macht nur Sinn, wenn sie hochwertig ist. Ich habe Frau von der Leyen aber nicht so verstanden, dass sie nur viele Krippenplätze schaffen will, egal wie sie aussehen. Insgesamt sehe ich durchaus gute Ansätze, etwa in Bayern. Dort gibt es ein intelligentes neues Kitagesetz, und das Land gibt den Kommunen eine ansehnliche Förderung, wenn sie Plätze schaffen. Natürlich besteht aber auch die Gefahr, dass Kindergärten einfach Plätze für Kinder unter drei Jahren anbieten, ohne die Bedingungen wirklich zu verändern. Das sehen wir teilweise in Nordrhein-Westfalen.

Wie sehen denn gute Krippen aus?

Als Erstes brauchen sie natürlich einen guten Personalschlüssel. Abgesehen davon wurde aber bisher in unseren Krippen und Kitas Kindergärten viel gespielt, aber zu wenig reflektiert. Naturwissenschaftliches und sprachliches Lernen können durchaus dem Alter angemessen angeboten werden - das zeigen viele erfolgreiche internationale Erfahrungen, von Schweden bis Neuseeland. Das bedeutet keineswegs eine negative Verschulung. Schon ein einjähriges Kind kann lernen: So fühlt sich Gras an, oder so riecht eine Blume - und beides wächst im Boden, nicht in der Blumenvase.

Was braucht man dafür für ErzieherInnen?

In jede Krippe und jede Kita gehört eigentlich mindestens eine Person, die fachlich besser ausgebildet ist als unsere heutigen Erzieherinnen. Zum Beispiel ist der Einsatz von Sozialpädagogen sinnvoll, um qualifizierte Eltern- und Konzeptarbeit leisten zu können. Wir werden sicher Leute aus angrenzenden pädagogischen Berufen, darunter möglichst viele Männer, holen müssen, um den Bedarf zu decken. Für die heute so populäre bilinguale Erziehung müssen wir übrigens dringend den Arbeitsmarkt etwa aus Kanada, Indien und Südafrika öffnen. Es ist völlig lächerlich, bei diesen Leuten eine deutsche Erzieherausbildung vorauszusetzen.

Ist zu befürchten, dass viele schlecht qualifizierte Tagesmütter eingesetzt werden?

Wenn, wie politisch gewollt, ein Drittel der neuen Plätze durch Tagesmütter geschaffen werden soll, dann muss man diese finanziell wesentlich besser stellen als heute. Außerdem müssen die laufende Begleitung und Qualifizierung der Tagesmütter deutlich verbessert werden. Auf dem jetzigen Niveau ist die Tagespflege nicht wirklich ausbaufähig - da steht ein böses Erwachen bevor. In Skandinavien und Frankreich gibt es aber durchaus nachahmenswerte Modelle.

Welche Kinder müssen vor allem Plätze bekommen?

Eigentlich müssten möglichst alle Kinder die Möglichkeit haben, bereits mit unter drei Jahren eine Einrichtung zu besuchen. Ein ganz negativer Effekt wäre es jedenfalls, wenn in Zukunft nur die Kinder von Erwerbstätigen einen Platz bekommen und der Rest daheim bleiben muss. Die Gefahr ist groß, dass gerade Kleinkinder aus bildungsfernen Milieus und Migrantenfamilien damit einen unterfordernden, unstrukturierten Tagesablauf erfahren. Diese Kinder fallen damit immer weiter hinter diejenigen zurück, die Einrichtungen besuchen oder daheim gut gefördert werden.

Ist die Polarisierung von Erziehung in der Familie und Krippenerziehung sinnvoll?

Ich will zu der Polarisierung nicht beitragen, aber die Debatte steht auf dem Kopf: Gerade die Erziehung von Kindern unter drei Jahren zu Hause ist in vielen Fällen heute wirklich nicht mehr ausreichend. Zwar gibt es durchaus noch Familien, die ihre Kleinkinder mit Leidenschaft und erfolgreich zu Hause betreuen, aber diese Gruppe ist heute eher in der Minderheit. Es müssen ja nicht alle Kinder den ganzen Tag in eine Krippe gehen. Aber es sollte überall attraktive Angebote für pädagogisch begleitete Spielgruppen geben.

Brauchen kleine Kinder nicht einen Schutzraum zu Hause?

Das ist ein falscher Gegensatz. Wir brauchen eben Einrichtungen, die gemütlich und schnuckelig sind, die Rückzugsräume bieten, wo jedes Kind, das weint, hochgenommen werden kann. Das heißt aber: Wir brauchen teure Einrichtungen. Ein wirklich guter Vollzeitkrippenplatz in Westdeutschland kostet 1.200 bis 1.400 Euro im Monat.

Welche politischen Rahmenbedingungen braucht es, um solche guten Kitas zu schaffen?

Der entscheidende Punkt ist , dass die Gesellschaft und die lokalen Entscheidungsträger das Thema Kinderkrippe nicht als Luxus oder Marotte emanzipierter Frauen begreifen, sondern als unverzichtbare Zukunftsinvestition. Unser Land hat noch nicht wirklich verstanden, wie krass die sozial vererbten Bildungsunterschiede bei uns sind und wie sehr bereits in den ersten Lebensjahren entschieden wird, ob die nächste Generation fit sein wird für die Teilnahme an einer globalen Wissensgesellschaft. Wir können es uns einfach nicht leisten, ein Drittel der ohnehin knappen Kindergeneration bildungsmäßig auf das Abstellgleis zu stellen.

INTERVIEW: HEIKE HOLDINGHAUSEN

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