Serbisches Blechbläserfestival: Tröten, bis der General kommt
Das gigantische Blechbläserfestival in dem serbischen Dorf Guca zieht kein "Musikantenstadl"-Publikum, sondern hunderttausende junge Leute aus der ganzen Welt an.
Guca ist nichts für schwache Nerven. Sobald das weltgrößte Blechbläserfestival alljährlich in die Startlöcher steigt, mutiert das kleine Dorf Guca im westserbischen Hügelland für eine knappe Woche zu einer gigantischen Kirmes. Hunderttausende kampieren in Zelten und ihren Autos, bis drei Uhr morgens wird auf den Straßen gefeiert, dann ein wenig geschlafen, bis um sieben Uhr morgens die Sause mit einem Weckruf aus Trompeten und Kanonendonner wieder weitergeht. Ganze Armeen von Schweinen rotieren mit traurigen Augen an riesigen Spießen, jedes Jahr vermeldet die serbische Presse, wie viele ganze 550-Kilo-Ochsen diesmal verzehrt wurden. Schwerer Kohlgeruch liegt wie eine Wolke über den zahllosen Verkaufsständen, und johlende junge Menschen duschen sich gegenseitig mit Bier aus Zweiliterflaschen ab.
Aus jedem Winkel des unauffälligen 4.000-Einwohner-Örtchens quillt dann die hochenergetische, schrill überbordende Balkan-Brass-Musik, deren kakofone Verrücktheit die Filme von Emir Kusturica und Stars wie Goran Bregovic oder Boban Markovic weltweit berühmt gemacht haben. Obwohl der offizielle Festivalwettbewerb um die Goldene Trompete in einem Fußballstadion am Dorfrand stattfindet, spielt sich die Hauptaction im unübersichtlichen Gedrängel der Dorfstraßen ab. Lautstarke Romabands lassen sich an die Tische der improvisierten Restaurants winken, um dem jeweiligen Trinkgeldgeber endlose Variationen von serbischen Standards und Popklassikern in die Ohren zu blasen.
An Verkaufsständen werden CDs vom deutschen Balkan-DJ Shantel neben denen der örtlichen Trachtenkapellen verkauft, es gibt selbst gestrickte Kinderschühchen ebenso wie T-Shirts, auf denen der Kopf des gesuchten Kriegsverbrechers Mladic neben dem Aufdruck "Wo er ist, wissen wir. Aber wir geben ihn nicht her!" zu sehen ist. Ein Monarchist verteilt Fotos der serbischen Königsfamilie. Dauernd stößt man im Gewusel an die stattlichen Bierbäuche von Männern, neben denen ihre dünnen, perfekt gestylten Partnerinnen einherstöckeln.
Das erste Guca-Festival fand im Oktober 1961 als bescheidene Versammlung statt. In der vorvergangenen Woche erlebte es seine 47. Auflage. Wieder tummelten sich um die 300.000 Menschen im Partyausnahmezustand, sodass die ausländische Presse durchaus wieder den Vergleich "serbisches Woodstock" bemühen darf. Miles Davis war ja auch schon da.
Die Mehrzahl der BesucherInnen ist in der Tat erstaunlich jung. Philipp (19) und Tobias (21) aus Bad Kissingen, die wie so viele andere für "Party, Bier und Gaudi" angereist sind, spielen zu Hause selbst in einer Blaskapelle und wundern sich: "Bei uns würde kein junger Mensch zu einer solchen Veranstaltung mit volkstümlicher Musik kommen. Das ist einzigartig." Vom jugend- oder gegenkulturellen Packaging eines Woodstock ist hier dennoch keine Spur: Die Grenzen zwischen Pop, Hochkultur und Volksmusik sind nicht aufgehoben, es gibt sie gar nicht.
Als am Samstag beim Mitternachtskonzert im Stadion die ersten beiden der 14 besten Bands als Duellanten auf die Bühne treten und der erste Trompetenton erklingt, setzt sich die Menge innerhalb von Sekunden in Bewegung. Trendig gekleidete junge Menschen fassen sich an den Händen und tanzen ganz selbstverständlich im Kreis den Kolo, den serbischen Reigen. Der Opa dreht sich mit Tochter und Enkeltochter, daneben wirft sich eine Gruppe Jugendlicher wie beim Stagediving gegenseitig in die Luft. Auf der Bühne wechseln sich "weiße" und Romabands ab. Das Publikum vergibt per SMS die Goldene Trompete, eine Expertenjury kürt darüber hinaus den besten Trompeter, den besten Trinkspruchhalter und die besten Blechorchesterpioniere.
Als am nächsten Tag der Preis für den besten Trompeter mit Ekrem Mamutovic vom Nenad Mladenovic Orkestar aus Vranje an einen Rom geht, zischen aus der ersten Reihe vereinzelte "Cigane"-Rufe. Lieber hätte man an seiner Stelle wohl den lokalen Platzhirschen aus dem nahe gelegenen Poþega, den jungen Dejan Lazarevic, gesehen, der dann auch prompt den Publikumspreis gewinnt. "Der Wettbewerb spielt sich im Grunde zwischen den 'weißen' und den Romaorchestern ab", erklärt der Regisseur Duðan Milic, ein Ziehsohn Kusturicas, dessen Festivalspielfilm "Gucha" bei uns nächste Woche ins Kino kommt. "Die 'weißen' Serben halten sich strikt an vorgegebene Noten, während die Roma mehr improvisieren und sich auch gerne mal gegenseitig überspielen." Er erklärt den spezifisch hysterischen Trompetensound mit dem Einfluss österreichischer Militärmusik im 19. Jahrhundert, der sich mit Romaklängen vermischt habe. Andere gehen von einer ersten Beeinflussung der lokalen Klänge durch die türkische Armee aus.
Die rassistische Diskriminierung der Roma ist zwar eines der Hauptthemen von Milics leichtfüßiger Romeo-und-Julia-Komödie, doch im Gespräch wiegelt er ab: "In Serbien gibt es nicht mehr Rassismus als anderswo. Den Roma geht es hier gut, sie haben alle Rechte." Obwohl er mit seinem Film bewusst keine "Werbepostkarte" von seiner Heimat produzieren wollte, möchte er wohl nicht auch noch zum düsteren Image Serbiens beitragen. Neben der feuchtfröhlichen Stimmung sind auf dem Festival das Misstrauen und die Verunsicherung der SerbInnen unübersehbar: Niemand möchte sich zu den harmlosen Fragen der JournalistInnen aus dem Ausland äußern. Für serbische Spitzenpolitiker wie Premierminister Koðtunica hingegen ist die Veranstaltung eine willkommene Plattform, um die Verbundenheit mit dem Volk und seinen kulturellen Errungenschaften zu demonstrieren. Der ebenfalls anwesende Ministerpräsident der Bosnischen Serbenrepublik, Milorad Dodik, betont in seiner Rede zur Eröffnung des Wettbewerbs fäusteschwingend, das Festival solle der Welt zeigen, dass "Serbien Kriege heute auch auf der diplomatischen Ebene gewinnt".
Die meisten ausländischen BesucherInnen verstehen sowieso nichts. Sie kommen wegen des faszinierenden Erlebnisses, diese High-Energy-Musik live zu erleben. Das britische Pärchen Bee (29) und Ben (30) träumt schon seit fünf Jahren von Guca und ist mit dem Fahrrad aus Tirana hergeradelt. Luigi aus dem italienischen Lecce ist von "Musik, Fleisch und Pivo" höchst angetan, murmelt aber später abseits des Protokolls, es sei doch alles "etwas nationalistisch". Die amerikanische Brassband What Cheer Brigade ist sogar aus Providence, Rhode Island, angereist - wie viele AusländerInnen erkennt man sie daran, dass die Männer enge Hosen tragen und die Frauen keine Stöckelschuhe. Als ihr Idol Boban Markovic ein Ehrenkonzert gibt - er hat schon zu oft gewonnen, um noch am Wettbewerb teilzunehmen -, sind sie ganz aus dem Häuschen.
Sobald der offizielle Teil des Festivals vorbei ist, verschwinden die Gewinner im Backstagebereich. Dort findet, ganz zum Schluss, der spontanste und schönste Teil des Festivals statt. Der Gewinner der Goldenen Trompete, Dejan Lazarevic, der ein wenig an ein freundliches Riesenbaby mit schwarzen Löckchen erinnert, liefert sich ein improvisiertes Trötenduell mit Boban Markovics Sohn Marko. Bekannte und Presse drängeln aufgeregt, und sowohl die Stimmung auch als die Musik sind so hysterisch gut, dass sich wohl alle, trotz der immensen Festivalstrapazen, schwören: Nächstes Jahr wieder!
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