Kinderarmut: Die Hartz-IV-Kinder

Während Länder und Kommunen über mehr Geld für Hartz-IV-Familien diskutieren, wird die Kirche aktiv und richtet Sammelstellen für Schulsachen ein.

Kein Geld für gar nix - Alltag für viele Kinder in Deutschland Bild: dpa

Hildegard M. wehrt sich. Die Hartz-IV-Empfängerin aus Asbach in Rheinland-Pfalz will beim Sozialgericht Koblenz Klage einreichen: Die örtliche Arbeitsgemeinschaft (Arge), die Hartz-IV-Leistungen gewährt, hatte einen Antrag Hildegard M.s abgelehnt, 330,- Euro für die Schulmaterialien ihrer drei schulpflichtigen Kinder zu übernehmen.

Die Zahl der Kinder unter 15 Jahren, die von Hartz-IV-Leistungen leben müssen, hat nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit einen neuen Höchststand erreicht: Betroffen sind 1,93 Millionen Mädchen und Jungen, das sind 17 Prozent aller Kinder hierzulande. Diese Minderjährigen müssen mit einem Betrag von 208 Euro monatlich auskommen. Für Ernährung ist ein Satz von 2,28 Euro pro Tag vorgesehen. Dabei hatten Wissenschaftler Anfang des Monats festgestellt, dass ein 15-Jähriger für eine gesunde Ernährung pro Tag mindestens 4,68 Euro braucht.

Nicht einmal 2 Euro sieht der Hartz-IV-Regelsatz dagegen für Schulbildung vor, das haben Experten von zwei Selbsthilfegruppen, dem Erwerbslosen Forum Deutschland und dem Wuppertaler Tacheles, bestätigt. Martin Behrsing vom Erwerbslosen Forum verweist auf Studien, wonach Kinder aus armen Familien schulisch meist schlechter abschneiden. Daher wollen neben Hildegard M. nun auch zwei alleinerziehende Mütter in Wuppertal das Geld einklagen, das sie für Schulmaterialien brauchen.

Die drei Kinder von Hildegard M. benötigten allein für Schulbücher 416 Euro. Für Stifte, spezielle Hefte, Farbmalkästen, Turnzeug, Füller und Taschenrechner kommen noch einmal 95 Euro dazu, außerdem müssen für Kopien rund 50 Euro ausgegeben werden. Insgesamt kommt so ein Betrag von gut 560 Euro zusammen.

Dies alles sollte Hildegard M. schon vorher angespart haben, wie es das Hartz-IV-Gesetz vorschreibt. Das aber ist schlicht nicht möglich. Denn für Schulmaterialien sieht die Regelsatzverordnung nur 1,63 Euro pro Monat vor. Selbst wenn Hildegard M. diesen Betrag ein Jahr lang für die drei Kinder gespart hätte, wäre sie nur auf knapp 59 Euro gekommen. Das sind 500 Euro weniger, als sie braucht. Der Regelsatz für Hartz-IV-Empfänger liegt bei 347 Euro.

Besonders die Einschulung wird für Kinder aus Hartz-IV-Familien zu einer fast unüberwindbaren Hürde. Wie die Caritas in Duisburg errechnet hat, braucht ein Kind laut der Anforderungsliste einer Grundschule allein für Hefte und Stifte schon in der 1. Klasse genau 34,81 Euro - und da fehlen noch ein geeigneter Schulranzen für etwa 120 Euro und Turnsachen für rund 36 Euro. Die Grundausstattung eines Schulkindes kostet nach Berechnung des DGB rund 180 Euro.

Um Kindern von Hartz-IV-Empfängern zu helfen, hat die Diakonie Paderborn schon im vergangenen Jahr eine Schulmaterialienkammer eingerichtet. Ranzen oder Schulbücher sind hier kostenlos zu bekommen, erbeten wird nur eine kleine Spende. Auch die Caritas in Duisburg hat mit der örtlichen St.-Norbert-Gemeinde eine solche Ausgabestelle installiert.

Bei beiden Stellen drängen sich die Bedürftigen. Hiltrud Wagener von der Caritas warnt jedoch: "Wir arbeiten an den Symptomen, nicht an den Ursachen." Ihre "Vision" sei, dass wenigstens Schulbücher wieder kostenlos wären. Tatsächlich gibt es bisher nur wenige Kommunen, die Kosten für Schulbücher wenigstens zum Teil erstatten. So unterstützen zum Beispiel die Städte Oldenburg, Chemnitz oder auch München einkommensschwache Familien mit 25 bis 100 Euro. Potsdam hat gerade beschlossen, Erstklässlern einen einmaligen Zuschuss von 25 Euro zu zahlen.

Besonders schlimm ist die Situation dagegen im Land Berlin. Hier lebt jedes dritte Kind in Hartz-IV-Familien - das sind 177.884 Mädchen und Jungen. Tendenz: steigend. Einen Schulmaterialzuschuss lehnt das Land jedoch ab.

Derweil diskutiert die Politik zwar - wie gerade in Meseberg - über eine Reform des staatlichen Kinderzuschlags. Den erhalten allerdings nicht Hartz-IV-Familien, sondern nur solche, die trotz Arbeit nicht genug Geld zum Leben haben. Für die Hartz-IV-Kinder ist vor allem ein "Kinderwarenkorb" in der Diskussion. Ihn fordert etwa der Sozialexperte der Grünen im Bundestag, Markus Kurth. Mit ihm kann ermittelt werden, wie hoch der tatsächliche Bedarf von Kindern ist. Zudem könnte er stets der Inflation angepasst werden.

Möglich wären auch höhere Hartz-IV-Regelsätze, wie die niedersächsische Landesarmutskonferenz sie fordert. Der Paritätische Wohlfahrtsverband ist der Ansicht, dass diese Sätze um 20 Prozent steigen müssten. Der DGB plädierte am Freitag für kommunale Schulmittelfonds, um arme Kinder zu unterstützen. Jedes Kind solle 25 bis 100 Euro pro Schuljahr erhalten. Das ist nötig, denn die Experten sind sich einig, dass es Hartz-IV-Empfänger gibt, die zugunsten der Bildung ihrer Kinder am eigenen Essen sparen. Krass drückt es der Sprecher der niedersächsischen Landesarmutskonferenz, Horst-Peter Ludwigs, aus: "Niemand sollte für gleiche Bildungschancen hungern müssen."

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