Leichtathletik-WM: Bänder halten, Latte fällt

Während Franka Dietzsch sich für ihren WM-Titel im Diskuswerfen feiern lässt, scheitert Eike Onnen früh. Der Hochspringer ist den Belastungen des Finales nicht gewachsen.

Die "Lockerheit" fehlte Bild: dpa

OSAKA taz Hochspringer Eike Onnen ist einer der Sportler, die den Deutschen Leichtathletik-Verband vor dem Ruf bewahren sollte, ein reiner Eliteklub der Werfer zu sein. Neben den fast schon zur Routine gewordenen Erfolgen der starken Frauen, allen voran denen von Dauerathletin Franka Dietzsch, die ihren Weltmeistertitel mit dem Diskus gestern verteidigt hat (66,61 m), traute sich der schlanke Schlacks aus Hannover von Anfang an zu, eine Medaille oder zumindest ein Erfolgserlebnis in einer weniger schwergewichtigen Disziplin beizusteuern. Seine Bestleistung von 2,34 Metern hätte bei den vergangenen vier Weltmeisterschaften immer für eine Medaille gereicht. Die Lockerheit, mit der der 25-Jährige die Qualifikationshöhe von 2,29 Metern überflog, gab jedenfalls vor dem Finale der 15 Besten Anlass zur Zuversicht. Doch während Franka Dietzsch die ersten Siegerinterviews gab, scheiterte Onnen einmal an der Höhe von 2,30 Metern, ließ die Latte auf 2,33 Meter legen und riss zweimal. Die deutsche Leichtathletik muss wohl doch noch warten auf einen neuen Hochsprungstar.

Es wird derzeit viel getestet in Osaka. Die Dopingkontrolleure schauen bei der Urinabgabe ganz genau hin, und sie legen sogar Wert darauf, dass Schwerathletinnen bei der Abwasserspende die Schenkel nicht straff zusammenkneifen, damit man sehen kann, ob getrickst wird mit Kathetern und Urinbeutelchen, die sich möglicherweise in der Scheide befinden. Das ist bisweilen entwürdigend, aber es muss sein. Über 500-mal wurde der Urin bislang untersucht. Alle Proben waren negativ. Es soll noch einmal so viele Tests bis zum Ende der Leichtathletik-Weltmeisterschaft geben. Der Weltverband IAAF hat eingeräumt, dass negative Dopingproben nicht bedeuten würden, dass alle Sportler sauber seien. "Wir sind nicht naiv. Wenn es keine positiven Tests gibt, heißt das nicht, dass keine Doper unterwegs sind", sagte IAAF-Antidopingdirektor Gabriel Dolle. Der Meinung sind auch viele Athleten, die offen ihr Misstrauen äußern. So hat die Dritte im Siebenkampf, die Britin Kelly Sotherton, die ukrainische Vizeweltmeisterin Ludmilla Blonska wegen ihrer Dopingvergangenheit angegriffen. Keiner habe gegen die Hallen-Weltmeisterin antreten wollen, sagte die Olympia-Dritte: "Wir unterstützen keinen Betrüger. Sie hat einmal betrogen, wer sagt, dass sie es nicht wieder tut?" Blonska war von 2003 bis 2005 nach einem Positiv-Test auf anabole Steroide gesperrt. In Osaka fiel sie durch eine extrem raue Stimme auf. Sie steigerte ihre Bestleistung auf 6.832 Zähler, inklusive persönlicher Bestmarken im Hochsprung, Weitsprung, Speerwurf und 800-Meter-Lauf. Auch der schnelle Sprint des Griechen Anastásios Goúsis nährt Verdachtsmomente. Im Vorlauf über 200 Meter lief er sensationell flink für einen Europäer: 20,11 Sekunden. Bei der EM 2006 in Göteborg hielt die Uhr noch nach 20,94 Sekunden an. Egal, griechische Sprinter sind weltbekannt für verblüffende Leistungsexplosionen. Konstantinos Kenteris, auch er ein 200-Meter-Sprinter, wollte bei den Spielen von Athen Gold gewinnen, doch frappierend schnell war dann nur seine Flucht vor den Dopingfahndern.

Gleich im ersten Wettkampf der Saison hatte Onnen sich am 20. Mai in Garbsen auf 2,34 Meter gesteigert und zu den kühnsten Hoffnungen Anlass gegeben. Seinen persönlichen Rekordsatz kommentierte er auf seiner Internetseite mit den Worten: "Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich mir diese Höhe zwar grundsätzlich zugetraut habe, aber ich hatte es nicht für möglich gehalten, diese schon jetzt springen zu können." Beinahe grenzt es schon an ein Wunder, dass er überhaupt wieder springen kann. Bei den Deutschen Hallenmeisterschaften 2004 in Dortmund war er angelaufen, wollte abspringen und stürzte unter der Latte hindurch auf die Matte. Kurz darauf die niederschmetternde Diagnose: Der linke Knöchel war gebrochen, alle Bänder im Fuß waren gerissen. Das Kapitel Leistungssport schien abgeschlossen zu sein. Viel mehr als Aquajogging konnte Onnen in der Reha nicht machen. Immer noch stabilisieren Haken im Fuß die bei jedem Absprung so stark belasteten Bänder. Die 2,34 Meter von Garbsen sind vor diesem Hintergrund beinahe schon sensationell. Daran muss sich Onnen nun messen lassen. Die 2,26 Meter von Osaka sind demnach auch für ihn enttäuschend.

Für die ganz großen Momente scheint Onnen ohnehin noch nicht bereit zu sein. So war es auch, als er in Garbsen versuchte, den Deutschen Rekord zu brechen. Bei seinem ersten Versuch, die Bestmarke von Carlo Tränhardt aus dem Jahr 1984 zu überbieten, ließ Onnen 2,37 Meter auflegen. Den Rekord selbst also, was ja ziemlich sinnlos ist, Onnen aber erst nach dem ersten Fehlversuch zugetragen wurde. Danach musste er - so das Reglement - die Latte zwei Zentimeter höher legen lassen, und das tat er. Onnen knackte den Rekord nicht und musste sich Übermut vorwerfen lassen. "Ich hatte mich bis dahin nicht mit dem Rekord beschäftigt, ich wusste wirklich nicht genau, wo er steht", so Onnen darauf.

Dass er eine gute Basis gelegt hat, das zeigte er 2007 mit weiteren 2,30-Meter-Sprüngen und dem Sieg beim Europacup in München. Bei den Deutschen Meisterschaften in Erfurt stoppte ihn dann eine Rückenverletzung. In Osaka scheiterte er schmerzfrei. Die "Lockerheit" fehlte, wie er hinterher meinte

Das Familienunternehmen Onnen - Eike wird von Mutter Astrid Fredebold-Onnen trainiert, der Bruder hilft bei der Website und bei der Oma auf der Nordseeinsel Juist sucht Onnen Entspannung, wenn ihm der Trubel zu viel wird - wird an der Erfüllung der ganz großen Ziel weiter hart arbeiten müssen. Freuen durften sich in Osaka derweil andere: Donald Thomas von den Bahamas, der mit übersprungenen 2,35 m gewann und die Medaillengewinner Jaroslaw Rybakow (Russland, 2,35) und Kiriakos Ioannou (Zypern, 2,35). Auch Onnen lächelte am Ende. 2,26 Meter reichten zu Platz sieben. Zwar nicht spitze, aber: auch nicht schlecht.

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