Leichtathletik-WM: Der Geist der Werfer

Silber und Bronze für die Speerwerferinnen Christina Obergföll und Steffi Nerius. Der Deutsche Leichtathletikverband kann sich auf seine Werfer verlassen.

Silberner Wurf: Gleich fliegt Christina Obergfölls Speer los Bild: dpa

Heike Kugler arbeitet am liebsten im Untergrund. Die beste Therapie ist, wenn der Therapierte nicht merkt, dass es um ihn geht. Beim gemütlichen Plausch auf dem Hotelzimmer etwa, mit Erdnüssen und Getränken. "Natürlich schaue ich da nicht zufällig vorbei", sagt Kugler. Bei solchen Gelegenheiten hat sie immer ihre Schrotflinte dabei. Sie versteht sich als Jägerin. Ihre Ziele: schlechte Laune, Nervosität, Unkonzentriertheit, Motivationslöcher. Weil das alles sehr windige, schwer zu fassende Gesellen sind, nimmt die Psychologin aus Magdeburg Schrot.

"Ein Schuss, eine Kugel, ein Treffer - so funktioniert Psychologie nicht", sagt sie. Kugler feuert ununterbrochen, immer in der Hoffnung, dass eine Kugel schon treffen wird.

Die deutschen Werferinnen und Werfer sind offenbar besonders gute Ziele. Sie arbeiten seit einiger Zeit regelmäßig mit der Psychologin zusammen, und mehr denn je sind sie in diesen Tagen bei der Leichtathletik-WM in Osaka die Medaillengaranten des deutschen Teams. Als man der Frankfurter Hammerwerferin Betty Heidler gerade ihre Goldmedaille um den Hals gehängt hatte, rief sie zu ihrer Psychologin auf der Tribüne hinauf: "Ich habe alles so gemacht, wie du gesagt hast."

Heike Kugler ist eine kleine, zierliche Frau mit freundlichen Augen. Aber die schweren Jungs und Mädchen des Sports hören auf sie. Die Bundesliga-Handballer des Magdeburger SC etwa, einige Profiboxer, die von Sauerland-Trainer Ulli Wegner betreut werden, und eben die Werferinnen und Werfer des Deutschen Leichtathletikverbandes (DLV).

1999 knüpfte Kugler über den Olympiastützpunkt in Magdeburg erste Kontakte zu Kugelstoßerin Nadine Kleinert. Nachdem diese 2004 bei den Olympischen Spielen Silber gewann, fingen auch ihre Kollegen an, sich für Kugler zu interessieren, und luden sie zu ihren Trainingslagern ein. Vor zwei Jahren bat der DLV die Psychologin schließlich für das gesamte Team um Unterstützung bei der WM in Helsinki.

Betty Heidler versagten damals in der Qualifikation die Nerven, sie schied mit drei ungültigen Versuchen aus. "Heike hat mir danach beigebracht, dass eine Niederlage nicht nur etwas Schlechtes ist", sagt die frisch geehrte Weltmeisterin heute. "Sie gibt mir Tipps, die mein Trainer mir nicht geben kann." Kugler hilft auch bei der Kommunikation zwischen Trainer und Athletin. Denn zwischen Michael Deyhle und der temperamentvollen Hammerwerferin knallt es schon mal. "Heike hat uns dafür sensibilisiert, wie wir miteinander umgehen sollten", sagt Heidler.

In Osaka ist Kugler so etwas wie der gute Geist im Hintergrund. Sie erinnert die Athleten daran, Bananen ins Stadion mitzunehmen; sie lenkt sie von Gesprächen über das Wetter ab, weil die Hitze ohnehin niemand ändern kann; sie macht Entspannungs- oder Motivationsübungen mit ihnen - je nach Bedarf. Und sie feiert Erfolge. Nadine Kleinert hat Bronze im Kugelstoßen gewonnen, Diskuswerfer Robert Harting gewann die Silbermedaille, Franka Dietzsch schleuderte den Diskus weiter als alle anderen, Betty Heidler holte Gold im Hammerwerfen und gestern folgte dann Silber für Christina Obergföll und Bronze für Steffi Nerius mit dem Speer.

Wenn Erfolg so einfach ist, warum klappt es dann nicht noch viel öfter mit Edelmetall? "Weil wir nur die Wahrscheinlichkeit erhöhen können, dass die Athleten ihre Leistung abrufen können", sagt Kugler. "Es gibt immer noch genug Elemente, die wir nicht beeinflussen können, die wir nicht kennen, die passieren dann einfach."

Es gibt auch Athleten, die die Arbeit mit einem Psychologen skeptisch betrachten. "Wenn ich nicht vernünftig trainiere oder verletzt bin, kann ich im Kopf so stark sein, wie ich will, das hilft nichts", sagt der ehemalige 400-Meter-Europameister Ingo Schultz. 2004 habe er viel "in diese Richtung gemacht" und dabei "ein bisschen vergessen, dass man auch trainieren muss".

Dagegen hat Heike Kugler nichts einzuwenden. "Natürlich ist der Schlüssel zum Erfolg die Arbeit der Trainer, dass das Körperliche stimmt, dass alle Werte im grünen Bereich sind." Ziel der Sportpsychologen sei dann, den Athleten in "einen maximal guten Zustand" zu versetzen, "den so genannten Flow", so Kugler. Sie versteht ihre Arbeit als "das i-Tüpfelchen, das darüber entscheiden kann, ob es klappt oder nicht". Bei den deutschen Werfern klappt es zurzeit wieder einmal, so viel ist sicher.

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