Kommentar Wirtschaftsstiftungen: Der Markt überholt die Politik

Die Wirtschaft hat zunehmend Nachwuchsprobleme. Doch über Stiftungen allein sind die Ungerechtigkeiten des Bildungssystem nicht auszugleichen.

Deutschlands Großunternehmen gelten nicht gerade als Hort der Chancengleichheit - zumindest, was die Spitzenpositionen angeht. Weniger Sprösslinge aus bildungsfernen Schichten, weniger Migranten, auch weniger Frauen als in Deutschlands Chefetagen finden sich sonst allenfalls noch in der Professorenschaft der Hochschulen. Umso erstaunlicher ist auf den ersten Blick, dass einige Unternehmen nun die Initiative ergreifen und just jene Gruppen gezielt fördern. Vor ein paar Wochen präsentierte die Stiftung der Deutschen Bank ein spezielles Förderprogramm für Abiturienten, die nicht aus Akademikerfamilien stammen. Und gestern nun stellte das Mobilfunkunternehmen Vodafone als eine von mehreren Firmen Stipendien für Studenten aus Migrantenfamilien vor.

Der plötzliche Eifer der Wirtschaft entspringt der schieren Not. Zwar mag die Klage über Fachkräftemangel in einigen Punkten überzogen sein, doch eines steht fest: Die mangelnde soziale Durchlässigkeit des deutschen Bildungssystems, den Pisa und andere internationale Vergleichsstudien so eindrucksvoll belegen, ist nicht nur ein Problem der Gerechtigkeit, sondern auch der ökonomischen Leistungsfähigkeit. Absolventen, die das Bildungssystem gar nicht hervorbringt, können nachher auch keine Arbeitsplätze einnehmen. Als Motor des sozialen Aufstiegs erweisen sich dabei nicht zuletzt die vergleichsweise niedrigen Geburtenraten der akademischen Mittelschicht. Sie setzen die Wirtschaft dem heilsamen Druck aus, sich nach neuen Talenten umzusehen. Der sozialen Dynamik der Gesellschaft insgesamt kann das nur gut tun - auch wenn Angehörige der bislang privilegierten Schichten die neue Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt als unliebsam empfinden mögen.

Die Stipendienprogramme der Industrie sind allerdings zu punktuell, um die Probleme des deutschen Bildungssystems zu lösen. Das ist ohne eine grundlegende politische Reform nicht zu schaffen, von der vorschulischen Bildung bis zur Ganztags- und Gemeinschaftsschule. Deutschlands Bildungsminister sollten sich allerdings die Frage stellen, warum eigentlich der Markt schneller für gerechte Chancen sorgt als eine demokratisch legitimierte Politik.

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