CSU-Führungswechsel: Ein letztes Mal

Nach 14 Jahren hat Bayerns Ministerpräsident Stoiber seinen Rücktritt eingereicht. Bei seinem Abschied zeigt Stoiber gar ein ganz klein wenig Gefühl.

Gelernt ist gelernt: Stoibers finale Pose. : rtr

Nach 14 Jahren hat sich die CSU ein neues Grundsatzprogramm gegeben. Die Kernpunkte:

ARBEIT: Die CSU lehnt politische Lohnvorgaben ab. Sie tritt für eine Beteiligung der Arbeitnehmer am Erfolg der Unternehmen ein.

STEUERN: Sie plädiert für eine investitionsfreundliche Unternehmensteuer und eine "möglichst einfache" Einkommensteuer.

FAMILIE: Erstmals äußert die CSU Anerkennung für Lebensformen außerhalb der traditionellen Ehe - wie etwa gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Ein entsprechendes Adoptionsrecht lehnt sie ab.

SCHULEN: Die CSU hält am dreigliedrigen Schulsystem fest und spricht sich erstmals dafür aus, den "bedarfsorientierten Ausbau" von Ganztagsschulen voranzubringen.

KLIMASCHUTZ: Sie fordert eine Halbierung des weltweiten CO2-Ausstoßes so rasch wie möglich.

ENERGIE: Die CSU sieht gegenwärtig keine Alternative zur Atomenergie. Sie fordert "erweiterten Energiemix", der auch die Nutzung etwa von Biomasse und Erdwärme einbezieht.

SCHUTZ DES LEBENS: Die CSU spricht sich gegen aktive Sterbehilfe aus. Die Partei ist auch gegen Abtreibung: "Das ungeborene Kind ist Mensch von Anfang an. Abtreibung ist Tötung." DPA

Einmal noch, ein letztes Mal. Diese Dutzenden Kameras, dieses Blitzlichtgewitter. Grell ausgeleuchtet steht Edmund Stoiber auf dem Tisch in der ersten Reihe des Saales Nummer 14 im International Congress Center München. Er genießt, schwelgt, strahlt, reckt die Arme nach oben - wie immer. Es ist der Augenblick, in dem Stoiber die Macht endgültig abgibt. Eigentlich könnte er, der Bayern mehr als 14 Jahre geführt hat und die Partei neun Jahre, eigentlich könnte er sich jetzt entspannt zurücklehnen und gelassen auf das ganze Treiben blicken. Eigentlich könnte Stoiber alles beiseitelegen. Ein paar Minuten zuvor hat er an diesem Samstagmittag seine letzte Rede als Parteichef gehalten und dabei sogar ein ganz klein wenig Emotionen gezeigt.

Vor 600 Journalisten und 1.000 Delegierten bittet er Barbara Stamm, Alfred Sauter und Peter Gauweiler um Nachsicht. Personen, die seinem Machtstreben zum Opfer gefallen sind. "Ich habe es aus Verantwortung für die Sache gemacht", rechtfertigt sich Stoiber. Von seiner Tochter erzählt der Oberbayer. Auf eine Journalistenfrage nach einer möglichen Politikkarriere habe sie einmal gesagt: Das ist nichts für mich, da muss man zu viel von sich selbst aufgeben. Und jetzt, auf seinem letzten Parteitag, sagt Stoiber: "Da ist schon was dran." Er ist ein Mann, der so in seiner Berufung aufgegangen war, dass er schließlich blindlings darüber gestürzt ist. Und der vielleicht nie wieder davon lassen kann. Karins stolze, aber traurige Augen scheinen das zu sagen, als er von "meiner First Lady" spricht, die ein so großes Glück für Bayern gewesen sei. Und er spricht es selbst aus - irgendwie. "Die CSU ist mein Leben", sagt Stoiber. Und dann gibt es diesen einen Satz, der seine Hoffnungen und Wünsche wohl am ehrlichsten ausdrückt: "Wir werden uns gegenseitig brauchen." Seine Nachfolger ihn und er seine Nachfolger.

Es sind die Worte eines Politikjunkies, der am Donnerstagabend im Fernsehen noch mit Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen über das von ihm geforderte Betreuungsgeld gestritten hat, der am Freitag seine so geliebten Akten abgezeichnet hat, während Bundeskanzlerin Merkel sprach. Es sind die Worte eines Mannes, der immer noch verletzt ist, dass ihn seine Partei vor ein paar Monaten gestürzt hat. Es sind die Worte eines Mannes, der ein paar Minuten später an seiner Krawatte nesteln wird, als seine "Königsmörderin" Gabriele Pauli oben steht auf dem Podium und eine Bewerbungsrede für den Parteivorsitz hält. Ungeduldig blickt er dann um sich, muss feststellen, dass nur er leidet. Die Blicke seiner alten Weggefährten, Beckstein rechts von ihm etwa oder Seehofer ein paar Stühle links von ihm - sind interessiert auf Pauli gerichtet. Und so bleibt ihm nichts anderes, als das Kinn zu recken, grimmig zu schauen und ein wenig die Akten zu sortieren. Ein letztes Mal.

Auch an seinem letzten großen Parteiwochenende hat die Pauli ihm die Schau gestohlen. Und zwar beinahe ohne Unterlass. Am Freitag mit Sachthemen: Zweimal wollte sie das Parteiprogramm ändern lassen. Familiensplitting statt Ehegattensplitting forderte sie und eine EU-Perspektive der Türkei. So interessant scheint die Landrätin aus Fürth, dass ihr ein ganzer Medientross mit vor die Klotür folgt, mit dabei echte Hochkaräter wie der ehemalige FAZ-Herausgeber und jetzige Bild-Kolumnist Hugo Müller-Vogg.

Am Samstagmorgen dann ihr Showdown. Günther Beckstein hatte seine Bewerbungsrede gehalten zur Kandidatur als Ministerpräsident, wieder tritt Pauli ans Saalmikrofon. Auch sie hatte gerade noch Beifall geklatscht, jetzt setzt sie an: "Du und ich, wir haben eine gemeinsame Geschichte, uns verbindet etwas", ruft sie - umringt von Kameras. Viele seien bei Stoibers Königsmord dabei gewesen. "Man tut sich leicht, das einer Person allein anzuhängen." Und dann fragt sie "Günther", den sie seit über 20 Jahren kennt, direkt: "Wie kann es sein, von dir als jemand bezeichnet zu werden, der zum Psychiater muss?" Ein paar Tage zuvor hatte sich Günther Beckstein entsprechend geäußert - als Reaktion auf Paulis Idee von der befristeten Ehe. Diesmal bleibt die Konfrontation aus. "Liebe Gabi", erklärt stattdessen Tagungspräsident Ingo Friedrich, "das kann man immer noch klären." Gabriele Pauli will das nicht hinnehmen. "Der Punkt heißt Aussprache, ich möchte eine Antwort!"

Aber was irgendwie als undemokratischer Skandal in der Luft liegt, wird schließlich von Günther Beckstein doch noch geschickt aufgelöst. Als er nach der Auszählung seines Ministerpräsidentenergebnisses (96 Prozent) wieder ans Mikrofon tritt, spricht er Pauli offen an, sagt, er werde das mit ihr unter vier Augen klären. Es scheint ihm ehrlich zu sein, in der Bild am Sonntag bat er Pauli gestern, in der Partei zu bleiben. Die CSU brauche kritische Geister. Beinahe eine mutige Außenseitermeinung. Bei der Wahl zum Vorsitz bekam sie ganze 24 Stimmen oder 2,5 Prozent - und genuschelte Sätze aus den Delegiertenreihen wie "Bringts die a mal weiter, das ist ja eine Schande". Vielleicht ist doch was dran an der gemeinsamen Königsmörder-Geschichte zwischen Günther und Gabi, von der Pauli geredet hat.

Den Parteivorsitz gewonnen hat übrigens erwartungsgemäß Erwin Huber im ersten Wahlgang mit 58 Prozent, Horst Seehofer kam auf 39 Prozent - und wurde dafür mit 91 Prozent zum besten Stellvertreter gewählt. Kurz danach ist doch noch einmal Stoiber am Mikrofon und erklärt seine Freude über "die Kontinuität der Führung". Auch eine Art der Wahrnehmung. Die Kameras waren da schon bei Seehofer, Beckstein, Huber - und Gabi Pauli.

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