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Verteidigungsminister JungDer Hesse

Franz-Josef Jung, Statthalter seines Freundes Koch, gilt als Wackelkandidat. Kann so einer die Bundeswehr durch den Afghanistan-Einsatz führen? Viele in Berlin bezweifeln das.

Mehr Claudia Roth als an Haudegen Struck - Verteidigungsminister Struck. Bild: dpa

Jung in drei Daten

1999: Franz-Josef Jung denkt sich gemeinsam mit seinem Freund Roland Koch die CDU-Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft aus. Der Erfolg ist überraschend groß: Die Union gewinnt im letzten Moment die Hessenwahl. Jung, bis dahin parlamentarischer Geschäftsführer der Landtagsfraktion, wird Europaminister und Chef der Staatskanzlei.

2000: Als rauskommt, dass die Hessen-CDU illegale Gelder aus der Schweiz erhalten hat, nimmt Jung seinen Hut, um Koch das Amt als Ministerpräsident zu retten.

2005: Nach der Bundestagswahl revanchiert sich Koch und schickt Jung nach Berlin - als Bundesverteidigungsminister. Er gilt dort als Statthalter des, derzeit sehr zahmen, Merkel-Rivalen. KK

Bei der Bundeswehr sagen sie "Er ist sehr freundlich" über Franz-Josef Jung. Das ist er auch. Wenn er Kasernen besucht, schüttelt er den Soldaten die Hände, beugt sich nach vorne und fragt lächelnd: "Und wie lange sind Sie schon bei der Bundeswehr? Ein Jahr? Prima. Sehr schön. Alles Gute, gell." Er trägt Anzug und Krawatte.

Wenn man dann mehr wissen will über das Verhältnis der Bundeswehr zu ihrem Verteidigungsminister, heißt es diplomatisch: "Der Struck, das war ja ein sehr beliebter Chef." Und dann tauen die Soldaten auf: Wie der Struck bei seiner Sommerreise einmal mit einer 1000er BMW auf den Kasernenhof geknackert gekommen ist. War das ein Kerl! Wie er klar und zackig Anweisungen gegeben hat. Wie man irgendwie immer das Gefühl hatte, er gehöre dazu. Aber der Jung - der ist halt anders. "Er gibt sich Mühe", lautet die höfliche Einschätzung bei der Truppe.

Nein, ein Haudegen mit Befehlston wie sein Vorgänger - das ist Jung nicht. Aber was ist er dann? Im Bundestag machte er neulich einen auf Claudia Roth: "Als ich in Kabul war, kamen Mädchen lächelnd, freundlich und fröhlich aus den Schulen gelaufen", verteidigte er den Afghanistan-Einsatz - aber auch diese Nummer nimmt ihm keiner ab. Die Linke jaulte, nur die Abgeordneten aus den eigenen Reihen klatschten ein bisschen.

Seit zwei Jahren ist Jung in Berlin, und bis jetzt hat er nur peinliche Schlagzeilen fabriziert. Er sei ein "Minister im Praktikum", spottete die Süddeutsche Zeitung letzten Herbst, als Jung wegen des Libanon-Einsatzes in der Schusslinie stand. Er brachte selbst die sonst nicht allzu pazifistische FDP derart gegen sich auf, dass sie gegen den Einsatz stimmte. Sie fühlte sich von Jungs dilettantischer Informationspolitik hinters Licht geführt.

Diesen Sommer ging es weiter: Als "Wackelkandidat" bezeichneten ihn die Medien und spekulierten, wann er den Hut nehmen würde. Schließlich ist es kein Zeichen von Durchblick, wenn man als Verteidigungsminister erst im Nachhinein über Tornadoeinsätze informiert wird. Jung hatte nur zwei Flüge genehmigt, insgesamt donnerte aber siebenmal ein Flugzeug im Tiefflug über ein G-8-Protestcamp nahe Heiligendamm. Ein Abgeordneter der Grünen lästerte damals: "Ich hoffe nur, es bricht nicht irgendwann ein Atomkrieg aus und der Verteidigungsminister merkt es erst nach zwei Wochen."

Und jetzt schon wieder: allgemeines Haareraufen in Berlin über Jungs Äußerung, von Terroristen entführte Flugzeuge müssten im Zweifelsfall abgeschossen werden dürfen. Diesmal rüffelte sogar die zurückhaltende Kanzlerin ihren Minister. Nicht dass er damit kein wichtiges Thema angesprochen hätte, nicht dass sein Vorgänger Struck nicht auch schon dasselbe gefordert hätte - das ist nicht der Punkt. Aber als Politiker der ersten Reihe, als einer der mächtigsten Männer im Land überlässt man solche Testballons den Staatssekretären. Den Politikern aus der zweiten Reihe eben.

"Der Mann ist schlicht überfordert", sagt ein Mitglied des Verteidigungsausschusses über Jung. "Er hat immer noch nicht begriffen, dass hier Berlin ist und nicht Hessen."

Ach ja, Hessen. Der Zug von Wiesbaden nach Erbach braucht 17 Minuten. Am Fenster ziehen Dörfer mit renovierten Häusern und bunten Gärten vorbei. Dahinter fangen die Weinberge an, hier liegt der Rheingau. Die Reben leuchten rot, es ist die Zeit der Weinlese. Auch in Erbach, 3.400 Einwohner. Es gibt eine Rieslingstraße und ein Weindekanat. Und es gibt, kurz hinter der Eisenbahnbrücke, das Weingut Jakob Jung. An den Wochenenden im Herbst finden in dem muffigen Gewölbekeller die Weinverkostungen statt. Riesling und Weißherbst stehen Flasche an Flasche. "Bitte, hier herrscht Selbstbedienung", sagt ein freundlicher junger Mann. Es ist der Neffe des Verteidigungsministers. Franz-Josef Jung wurde hier 1949 geboren, er hat immer hier gelebt. Selbst zum Jurastudium ging er nur rüber auf die andere Rheinseite, nach Mainz.

Hier haben die Politiker andere Sorgen als zum Abschuss freigegebene Flugzeuge. Die CDU kämpft gerade für den Ausbau der Hessischen Staatswinzerei. Auch die Jungs mischen mit. Wenn der Verteidigungsminister an den Wochenenden zu Hause ist, leistet er bei den Winzern Überzeugungsarbeit. Hier an den Blümchentischdecken im Hof des Jungschen Weinguts klingt es auch nicht komisch, wenn der prominente Dörfler in Berlin im Interview fordert, dass "unsere Kinder wieder mehr singen" sollten, weil Lieder "ein Gefühl von Geborgenheit und Heimat vermitteln". Oder dass Ehe und Familie mehr Schutz bräuchten.

In Wiesbaden winken sie zwar ab, wenn die Rede auf das Hessische Staatsweingut zu sprechen kommt. "Eine Provinzposse". So ist er halt, der Franz-Josef: Ein Konservativer, der mit seiner Herkunft aus dem Rheingau kokettiert. Aber als "Minister im Praktikum", als peinlicher Tollpatsch auf dem glatten Berliner Parkett - so sieht ihn in der Hessen-Hauptstadt kaum einer. Im Gegenteil, der Jung ist doch ein Vollblutpolitiker, ein harter Verhandler, ein Wadenbeißer. Einer, der mit allen Wassern gewaschen ist. Und trotzdem als Mensch ein netter, kumpeliger Typ, der gerne über Wein und Fußball redet.

In Hessens Politikszene kennt man sich. Man erzählt von früher, als Jung im Landtag schräg hinter seinem Lieblingsfeind Joschka Fischer saß. Egal was der damalige Fraktionsvorsitzende der Grünen sagte - Jung drosch auf ihn ein. Und Fischer keilte selbstverständlich zurück. Minuten später konnte Jung draußen auf dem Flur dem Kontrahenten auf die Schulter hauen. "Ihr wart mal wieder fällig", sagte er dann und grinste. Abends auf dem Fußballplatz kickten Jung und Fischer gemeinsam - und fielen sich nach einem Tor auch mal in die Arme. So jedenfalls wird es überliefert.

Noch immer gibt es bei den Grünen ein geflügeltes Wort: "Frag doch mal den Franz-Josef", spotten die Abgeordneten, wenn sie sich den Kopf darüber zerbrechen, wie man erfolgreich eine Kampagne steuert.

Mit Kampagnen hat Jung nämlich Erfahrung. Er und Ministerpräsident Roland Koch - über deren Freundschaft es in Hessen heißt, sie seien "ein Kopf und ein Arsch" - gewannen 1999 knapp die Landtagswahl. Ganz knapp, im letzten Moment und mit Hilfe eines Fischzugs am rechten Wählerrand: Der Unterschriftenkampagne gegen den Doppelpass . "Wir sind 13 Prozent weg", , sagte Jung damals zu Koch, "jetzt ist high-risk Management gefragt." Die Fische gingen ins Netz, die zwei Freunde in die Staatskanzlei, Jung als ihr Chef, Koch als Ministerpräsident. Oder so: Jung als Mann fürs Grobe, Koch als König.

Dann kam der Spendenskandal. Jung bestritt, von den geheimen Geldern aus der Schweiz an die Hessen-CDU gewusst zu haben. Das klang wenig glaubwürdig aus dem Mund eines ehemaligen Generalsekretärs. Die Liberalen verlangten ein Bauernopfer. Jung nahm seinen Hut, damit Koch bleiben konnte. Als er danach zum ersten Mal wieder auf dem Fußballplatz auftauchte, spotteten Kollegen, ob man ihm noch mal erklären solle, was ein Abseits ist - er habe ja offenbar Gedächtnisprobleme.

Trotzdem war klar: Der Jung ist an der Reihe, sobald es höhere Ämter zu verteilen gibt. Der Koch ist ihm noch was schuldig. Schon Ende der 80er-Jahre hatten die beiden sich Loyalität geschworen. Damals trafen sie sich mit anderen jungen CDUlern an der Raststätte Wetterau zwischen Frankfurt und Gießen. Es entstand die "Tankstellenconnection" - eine Art hessisches Pendant zum "Andenpakt" der Unionsgrößen auf Bundesebene.

Jungs Stunde schlug am 18. September 2005. Die Union hatte die Bundestagswahl knapp gewonnen, Angela Merkel wurde Kanzlerin. Ihr Rivale Koch verlangte als Stillhalteprämie einen Kabinettsposten für seinen Kollegen aus Hessen: Franz-Josef Jung. In Wiesbaden ging man davon aus, der Mann würde Landwirtschaftsminister - als Winzersohn wäre er dafür prädestiniert. Aber Verteidigungsminister? "Ich dachte damals, uups, ob das wohl das richtige Amt für dich ist?", erzählt Hessens FDP-Fraktionschef Jörg-Uwe Hahn. Der ehemalige Grünen-Abgeordnete und heutige Referent im Kultusministerium Herbert Reeh erinnert sich, Jung habe "blass" ausgesehen.

Noch heute wird von Landtagsabgeordneten kolportiert, "die Angie" habe es "dem Roland reindrücken wollen". Sie habe Jung das schwierige Amt übertragen, um ihn lächerlich zu machen.

In der Bundeswehr kursiert eine andere Geschichte: Die Merkel sei mit dem Koch die Ministerliste durchgegangen. Bei Jung habe sie gestutzt und gefragt: Wer ist denn das? Diese Begebenheit ist frei erfunden - natürlich kannte die Kanzlerin den Fraktionschef der Hessen-CDU. Aber sie sagt viel aus über das Verhältnis der Bundeswehr zu ihrem Chef.

Es ist nämlich nicht so, dass die Kanzlerin Jung nicht kennt. Es sind die 250.000 Soldaten, die Jung kaum kennen. Denn der Mann ist nur schwach in die Bundeswehr vernetzt. Er kam, besetzte ein paar wichtige Posten im Ministerium mit Leuten seines Vertrauens - "schleimigen Jung-Unionlern", lästert ein Oberstleutnant. Seitdem regiert er ziemlich losgelöst.

Was er dabei unterschätzt, ist Folgendes: Das Verteidigungsministerium ist ein konservatives Haus. Hier genügt ein Blick auf die Schulter, um zu wissen, wer wen zuerst grüßt. Ein Vierzigjähriger in einer Leitungsfunktion kommt bei vielen Altgedienten nicht gut an. Würde man die Stelle militärisch besetzen, erklärt ein Offizier, käme nur ein Drei-Sterne-General in Frage. Und solche Ränge erklimmen Soldaten frühestens mit Mitte fünfzig.

Und dann: Bisher hat sich der Verteidigungsminister nicht mit einem Konzept für die Bundeswehr hervorgetan. Gewiss, als Unionspolitiker vom rechten Flügel will er dem militärischen Einsatz im Innern den Weg bereiten - das hat er mit seinem Kollegen Wolfgang Schäuble gemeinsam. Und auch sein Vorstoß zum Flugzeugabschuss ist möglicherweise ein Versuch, sich als konservativer Politiker zu profilieren, dem im Zweifelsfall Sicherheit wichtiger ist als persönliche Freiheit. Doch ein Plan, gar eine Vision - das fehlt.

Wenn man ihn beim Truppenbesuch begleitet, wenn man ihn im Bundestag erlebt, dann merkt man: Der Mann ist verkrampft. Dann kommt einem mitunter der Gedanke, der Kampf für die Hessen-Winzerei liege ihm vielleicht mehr als der Kampf für die Freiheit Afghanistans. Und könnte es nicht sein, dass er bei dem Vorschlag mit dem Flugzeugabschuss letztlich auch nur an Hessen gedacht hat? Im Wiesbadener Landtag gibt es Abgeordnete, die ernsthaft glauben, er wollte der CDU in Hessen helfen. Dort sind 2008 Wahlen. Er hat es mal wieder für Koch getan.

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