die Wahrheit: Das Wiesnrad

Zum Ende des Münchner Oktoberfests: Ein Schwabinger Krawall spezial.

Im dichten Gläserdschungel können Oktoberfestbesucher schon einmal sich und andere vergessen. Bild: reuters

Der Hubsi hat gleich gemeint, dass das mit dem Radl wahrscheinlich keine so gute Idee ist, aber der Jackie hat gesagt, er sei wohl wahnsinnig geworden, und mit dem Auto fahre er auf keinen Fall aufs Oktoberfest, schon lange nicht mehr, zumal er seit der letzten Wiesn sowieso keinen Führerschein mehr hat. Also hat der Hubsi nachgegeben, sich auf den Gepäckträger gesetzt, und immerhin sind sie einigermaßen sicher durch Neuhausen und über die Hackerbrücke gekommen und haben nur ein kleines Stück schieben müssen, weil so eine vorlaute Politesse behauptet hat, dass man nur Personen bis neun Jahre auf dem Gepäckträger mitnehmen darf. Sie könne ihm den Schuh aufblasen mit ihrem zugedrückten Auge, ist der Jackie aufgebraust, ein Kind unter neun Jahren sei überhaupt keine Person, und sie genau betrachtet auch nicht; aber der Hubsi hat vermittelt, und an der nächsten Ecke sind sie wieder aufgestiegen.

An der Theresienwiese hat der Jackie das Radl an einen Laternenpfahl gekettet. Der Hubsi hat gemeint, ob das nicht riskant sei mit den ganzen besoffenen Italienern und Australiern, die in der Gegend herumfallen, und ob er es nicht ein bisschen weiter wegstellen will, aber der Jackie hat gesagt, er habe keine Lust, so weit zu latschen, vor allem nicht hinterher, außerdem sei hier überall Polizei, und wenn überhaupt einer in ein Radl hineinfalle oder es in seinem Suff anbrunze, dann höchstens weiter weg.

Im "Augustinergarten" haben sich der Jackie und der Hubsi eine Maß Bier gekauft und ein paar nette Hasen kennengelernt, mit denen sie sich noch eine Maß gekauft haben. Dann hat sich aber herausgestellt, dass die Hasen kein Wort Deutsch können außer "Oktoberfest", und wie der Jackie nach der dritten Maß vom Klo gekommen ist, waren die Hasen noch da, aber der Hubsi weg. Auf der Suche nach dem Hubsi hat der Jackie in der "Ochsenbraterei" den Ferrari-Schorsch getroffen, der gesagt hat, dass er den Hubsi überhaupt nicht kennt, und in der "Bräurosl" den dicken Kerl von dem Eventheft und sich mit beiden je eine Maß gekauft, und dann ist ihm der Hubsi wieder eingefallen, aber der dicke Kerl hat gesagt, er soll sitzenbleiben, weil auf der Wiesn noch niemand verlorengegangen ist, und so ist der Jackie halt sitzengeblieben und hat sich noch eine Maß gekauft und dann plötzlich Lust gekriegt, bei der Jacqueline vorbeizuschaun, weil er gedacht hat, dass da vielleicht noch was geht, und weil es ihm zu laut geworden ist und er auch nicht mehr genau gewusst hat, in welchem Zelt er jetzt eigentlich ist und so was.

Der dicke Kerl war inzwischen gegangen, ohne dass der Jackie was gemerkt hat, und draußen hat er sich dann aber verlaufen und weder das Klo noch den Ausgang gefunden, und auf einmal war er hinter einem Bierzelt, und da hat ihm jemand einen Eimer Wasser drübergeschüttet und gebrüllt, er solle sich verzupfen, weil das eine Sauerei sei.

Irgendwie hat der Jackie dann den Ausgang doch noch gefunden, und da ist der Hubsi am Boden gesessen und hat von einer Sibylle aus Oldenburg oder Altenberg geschwärmt, die er unterwegs irgendwo verloren hat. Der Jackie hat so dringend pinkeln müssen, dass er sich an eine Laterne gestellt und erst mittendrin gemerkt hat, dass er sein eigenes Radl anpinkelt, und dann hat er zum Hubsi gesagt, dass es ihm jetzt langt und er ihn schnell heimfährt, weil er noch zur Jacqueline wolle.

Beim Losfahren hat sich aber herausgestellt, dass im Vorderrad ein Riesenachter drin war. Der Jackie ist über den Lenker geflogen und der Hubsi ins Radl hinein, das dabei endgültig unbrauchbar geworden ist, und wie der Polizist gefragt hat, ob ihnen was passiert sei, und der Jackie gemerkt hat, dass er nur noch winken, aber nichts mehr sagen konnte, hat er sich gedacht, dass das mit der Jacqueline wahrscheinlich keinen großen Wert mehr hat und die Jacqueline ja übernächste Woche auch noch da ist, und so sind sie dageblieben und haben sich im "Winzerer Fähndl" noch eine Maß gekauft.

Am nächsten Tag hat der Jackie den Hubsi angerufen und gefragt, wie er heimgekommen sei und wo sein Radl ist. Der Hubsi hat erzählt, dass ihn, als er beim Heimgehen an der Paul-Heyse-Unterführung kurz Pause machen wollte, ein Kerl gefragt habe, ob er der sei, der dem Kovacz seine Tour übernehme, und weil er nicht mehr reden und nichts mehr sagen konnte, habe er vier Stunden lang als Zeitungsausträger arbeiten müssen und dann aber nicht gewusst, wo er sein Geld kriegt, und sich deswegen nicht einmal ein Taxi leisten können und wolle jetzt einfach nur noch seine Ruhe.

Und weil der Jackie überhaupt nicht kapiert hat, was der Hubsi von ihm will, hat er sich wieder hingelegt und durchgeschlafen, und es hat noch bis zum Samstag gedauert, bis ihm klargeworden ist, dass er wahrscheinlich ein brandneues Radl braucht.

MICHAEL SAILER

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.