Wieczorek-Zeul über Afghanistan: "Wie der Blinde von der Farbe"
Die Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul erklärt, warum sie für den Tornado-Einsatz in Afghanistan ist und was "links sein" für sie nicht bedeutet.
taz: Frau Wieczorek-Zeul, Hilfsorganisationen kritisierten diese Woche, Ihr Ministerium lasse sich vom Verteidigungsministerium instrumentalisieren. Nehmen Sie das einfach so hin?
Heidemarie Wieczorek-Zeul: Das ist völliger Blödsinn. Die Hilfsorganisationen sagen doch nur, dass sie nicht unmittelbar mit dem Militär in Verbindung gebracht werden wollen. Wir haben das Konzept, dass die Ressorts der Bundesregierung zusammenarbeiten, aber jedes Ressort seine eigene Verantwortung hat. Mein Haus entscheidet vor Ort über unsere Projekte. Über militärische Fragen entscheidet Herr Jung. Aber wir haben natürlich unser Afghanistan-Gesamtkonzept, und es wäre ja schlimm, wenn die rechte nicht wüsste, was die linke Hand tut. Wir haben eine gemeinsame Verantwortung für Afghanistan. Wir handeln entsprechend unserer jeweiligen Verantwortung als Minister.
Mittags gaben die Hilfsorganisationen eine Pressekonferenz, auf der sie das Konzept der Zusammenarbeit von Entwicklungshelfern und Militärs massiv kritisierten. Abends lobte Jung dasselbe Konzept in den höchsten Tönen. Leben sie in unterschiedlichen Welten?
Die afghanische Wirklichkeit ist viel mehr als zwei Welten. Manche reden ja darüber wie der Blinde von der Farbe. Aber keine Entwicklungsorganisation würde infrage stellen, dass die Schutztruppe wichtig ist für ein Klima der Sicherheit. Und wie nahe die Hilfsorganisationen am Militär dran sein wollen, das müssen sie selbst entscheiden. Ich wiederum bin für den Schutz der staatlichen Entwicklungshelferinnen und -helfer verantwortlich.
Würden Sie lieber verstärkt in anderen Regionen als dem Norden, wo die Bundeswehr ist, und nach strengeren entwicklungspolitischen Kriterien aktiv werden?
Wir haben zwar unseren Schwerpunkt im Norden, aber wir sind auch in anderen Regionen aktiv, etwa in Khost und Paktia. Außerdem tun hier manche immer so, als handele es sich um eine bilaterale Angelegenheit zwischen Deutschland und Afghanistan. In Wirklichkeit geht es aber um eine große Gemeinschaftsaufgabe aller Geber - und der afghanischen Regierung und der Provinzregierungen bzw. der Stammesräte.
Jung belegt die Sinnhaftigkeit des Einsatzes vor allem damit, dass die Tornados kaputte Brücken und Straßen identifizieren können und so zum Wiederaufbau beitragen. Wie finden Sie es, dass ein militärisches Mittel für Ihre Zwecke verwendet wird?
In Afghanistan muss es solche Formen der Aufklärung geben, weil es ein riesiges Land ist und man auf dem Landweg viele Dinge überhaupt nicht mitbekommt. Die Tornados sind also ein Aufklärungsinstrument, das hat sich doch inzwischen herumgesprochen. Sie sollen ja auch keine Bilder für Kampfeinsätze liefern.
Das hört sich fast an, als hätten die Tornados keine militärische Funktion.
Sie haben eine Aufklärungsfunktion, und das ist eine militärische Funktion. Aber nicht für den Antiterroreinsatz Operation Endouring Freedom (OEF).
Das kann man auch tatsächlich immer so klar trennen?
Ja, wir haben das mit allen beteiligten Militärs besprochen.
Aus der SPD hörte man in letzter Zeit vermehrt Stimmen, die ein Ende der deutschen Beteiligung an OEF fordern. Wie ernst nehmen Sie die?
Das Friedensforschungsinstitut hat gesagt, es wird vergleichsweise wenig über die Militäreinsätze diskutiert. Wir tun das. Auch auf unserem Parteitag. Und das ist gut so.
Warum kommt für Sie als Linke und Amerika-Kritikerin ein Nein zu OEF nicht infrage?
Ich bin für einen Strategiewechsel, der die Zivilisten schützt, und ich bin für eine Klausel, so dass der OEF-Einsatz nur mit Zustimmung der afghanischen Regierung stattfinden kann. Beides können wir nur durchsetzen, wenn Deutschland engagiert bleibt. Ich kritisiere aber die Angewohnheit der jetzigen US-Regierung, alles in der Welt durch die Antiterrorismus-Brille zu sehen. Aber ich kritisiere dort, wo es um die Realität geht und nicht um Symbole. Ich finde im Übrigen, "Raus aus Afghanistan" ist keine linke Position. Eine linke Position ist, dazu beizutragen, dass Menschen, die über Jahrzehnte geknechtet wurden, die Chance haben, selbst über sich zu bestimmen.
Wo wurden die Vorgaben des Afghanistan-Konzepts erfüllt?
Im Bildungsbereich wurden gute Fortschritte gemacht. Auch bei der Entwicklung der Infrastruktur und bei der Ausweitung von Mikrokrediten gibt es große Fortschritte, im Bezug auf die rechtliche Gleichstellung der Frau gibt es Fortschritte. Die Wirklichkeit ist immer noch schrecklich, aber die müssen wir verändern, darum geht es.
Deutschland hat die Polizeiausbildung übernommen, warum ist das Ergebnis so schlecht?
Die Ausbildung als solche ist gut, aber es werden viel zu wenige Polizisten ausgebildet, die Wirkung ist viel zu gering. Die Europäische Union müsste mehr Polizisten als Ausbilder nach Afghanistan schicken. Das geht noch zu langsam.
Es gab immer wieder den Vorwurf, die Deutschen seien zu gründlich.
Das stimmt nicht, man muss die angehenden afghanischen Polizisten vernünftig ausbilden, man muss sie auf die Verfassung verpflichten.
Was ist ihre Schlussforderung?
Es muss schneller gehen, und es muss noch mal ordentlich zahlenmäßig zugelegt werden.
Wie viel mehr?
Ich kann für die EU keine Zahlen nennen. Wir werden die Polizeiausbildung in Masar-i-Scharif voranbringen. Dazu sind ja die Mittel des Auswärtigen Amtes aufgestockt worden. Was den Wiederaufbau anbetrifft: Wir haben gerade als Entwicklungsministerium um 20 Millionen Euro aufgestockt, das AA wird um 25 Millionen aufstocken.
Doch schon jetzt werden nicht alle Mittel abgerufen. Ist es dann nicht Quatsch, mehr Geld draufzulegen?
Das ist immer eine Gratwanderung. Einerseits fordern viele Politiker in Deutschland mehr Mittel, anderseits müssen sie effektiv eingesetzt und Korruption verhindert werden. Das setzt natürlich Kontrolle voraus und dann geht das nicht ganz so freihändig, wie es diejenigen gerne hätten, denen es zu langsam geht.
Hilfsorganisationen fordern, stärker mit regionalen Machthabern zusammenzuarbeiten, damit Mittel schneller abfließen können, als wenn immer alles über die Zentralregierung in Kabul geschieht. Sehen Sie die Gefahr, dass dadurch undemokratische Stammesfürsten wieder an Macht gewinnen?
Nicht alle Stammesfürsten sind Taliban. Wir arbeiten längst im Rahmen der Nothilfe mit Provinzregierungen zusammen. Die brauchen ja auch Geld, um ihre Politik umsetzen zu können und damit die Menschen sehen, es passiert tatsächlich etwas.
Sie haben die Korruption schon erwähnt, die dazu führt, dass bestimmte Mittel nur verzögert abgerufen wurden.
Der afghanische Finanzminister möchte natürlich, dass alles in sein Budget eingezahlt wird. Und ehrlich gesagt, bei einigen Ministerien ist es tatsächlich so, dass wir die Gelder lieber an den Trust Fonds geben, weil der von der Weltbank kontrolliert wird.
Zivilgesellschaftliche Gruppen in Afghanistan klagen, sie bekämen zu wenig Unterstützung.
Mir sind solche Klagen nie zu Ohr gekommen. Wenn das so wäre, würde ich mich gerne persönlich um Abhilfe kümmern.
In welche Bereiche werden die 125 Millionen Euro nächstes Jahr fließen?
In die Unterstützung von Frauen, ihre Ausbildung, ihre berufliche Förderung, aber auch die Rechtshilfe für Frauen im Gefängnis zum Beispiel. In die Bildung, in die Ausbildung vor allem von Lehrerinnen, das ist ja ganz wichtig, sonst gehen die Kinder auf Koranschulen und werden dort aufgehetzt. In die Reintegration von Flüchtlingen, in die Stärkung des Rechtssystems. Das ist ganz wichtig, denn was hilft es, wenn die Polizei es schafft, Verbrecher festzunehmen, aber dann fehlt die Justiz, um ihnen den Prozess zu machen.
Auf dem neuen Afghanistan-Konzept lächeln uns Polizistinnen an, 300 sind bisher ausgebildet worden. Wie viel sind davon im Einsatz?
Das sind sie alle. Aber wichtig ist, dass sie nicht nur in der Verwaltung eingesetzt werden, sondern auch in der Öffentlichkeit. Obwohl auch in der Verwaltung noch ein Umdenken einsetzen muss. Ich kenne kein Land, dass strukturell so patriarchalisch, also männerdominiert aufgebaut ist wie Afghanistan.
Wie schwer ist es, Frauen zu rekrutieren? Man hört immer wieder, dass diese Frauen sehr gefährdet sind?
Als wir in der Polizeiakademie waren, wurden wir gebeten, Wohnungen für die afghanischen Polizistinnen zu schaffen, wo diese Schutz genießen. Noch wichtiger ist aber, dass vonseiten der Politik in Afghanistan immer wieder klargemacht wird: Wir nehmen Frauendiskriminierung nicht hin.
Zuletzt wurde immer wieder kritisiert, dass das Verhältnis von militärischen zu zivilen Mitteln 5 zu 1 beträgt. Die Grünen fordern eine Verdopplung der zivilen Mittel auf 200 Millionen Euro. Kann so eine Kehrtwende stattfinden, und wenn ja, wie?
Ich habe oft das Gefühl, dass das eine Ersatzhandlung ist. Ich fordere sonst immer mehr Geld, aber diesmal glaube ich, es ist nicht der richtige Zeitpunkt. Nicht alle Leistungen müssen von Deutschland erbracht werden. Entscheidend ist die gute Koordinierung.
INTERVIEW: ANNETT KELLER UND KATHARINA KOUFEN
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