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Stefan Niggemeiers Blog"Ad absurdum geführt"

Blogger Niggemeier hätte einen User-Kommentar prüfen müssen - vor Erscheinen, so das Landgericht Hamburg.

Potentielle Niggemeier-Userin Bild: dpa

Darüber, ob der Nutzerkommentar, der in Stefan Niggemeiers Blog erschien, zulässig war, besteht kein Streit: Er war es nicht. Der Kommentar war nachts erschienen, am Morgen darauf, als er wieder am Computer saß, löschte ihn Niggemeier daher.

Nun jedoch hat Niggemeier, Medienjournalist und Betreiber von stefan-niggemeier.de, einem der meistverlinkten deutschen Weblogs, vor dem Landgericht Hamburg verloren. Eine einstweilige Verfügung, die die Firma Callactive gegen ihn erwirkt hatte, wurde bestätigt: Er als Seitenbetreiber soll für den Kommentar verantwortlich sein.

Dem Gerichtsstreit zwischen der Firma, die Call-In-Shows im Fernsehen produziert, und Niggemeier ging dessen Beschäftigung mit Anrufsendungen voraus - etwa mit der Frage, ob Zuschauer darin betrogen würden oder mit der Frage, "Warum Callactive versucht, Kritiker mundtot zu machen", wie die Überschrift eines Blog-Texts Niggemeiers lautete.

In einem im April veröffentlichten Text schrieb er, Callactive habe Abmahnungen gegen den Betreiber der Anrufshow-kritischen Webseite call-in-tv.de auseinander erwirkt. Im call-in-tv-Forum waren Moderatorinnen von Anrufshows wie "Money Express" von Nutzern - nicht vom Betreiber - zuvor "Animösen" genannt worden. Ein Besucher von Niggemeiers Blog schrieb schließlich am 12. August nachts um 3.37 Uhr unter den Artikel: "Sieg Heil, Money Express!" Niggemeier löschte den Kommentar am nächsten Morgen um 11.06 Uhr. "Natürlich ist das unzulässig", sagt er.

Das Gericht urteilte nun jedoch, bei einem solch brisanten Thema hätte er den Kommentar kontrollieren müssen - bevor er erschien. "Das würde den unmittelbaren Meinungsaustausch im Internet unmöglich machen", sagt Niggemeier aber - und schreibt in seinem Blog: "Nach der Argumentation des Gerichts könnte man kritischen Journalismus per se als gefährlich werten, weil er die Menschen zu negativen Meinungsäußerungen über das animieren könnte, was er aufdeckt oder anprangert."

Die Blogger stehen eher auf Niggemeiers Seite. Mario Sixtus etwa, wie Niggemeier Journalist und Blogger, sagt: "99 Prozent der Blogs sind Hobby-Veranstaltungen. Wenn jeder Blogger über jeden Kommentar entscheiden müsste, der auf seiner Seite erscheint, würde das die Blogs, die vom Diskurs leben, ruinieren." Die Entscheidung des Gerichts halte er daher "für weltfremd und netzfremd".

Würde das Urteil bestätigt, so Niggemeier, würde man "als Blogger zu juristischen Ad-hoc-Entscheidungen gezwungen" - was ist ein brisantes Thema? Wann ist ein Kommentar zulässig? Urheberrechtsexperte Winfried Bullinger sagt: "Wenn das Urteil Bestand haben würde, hätte es grundlegende Auswirkungen. Die Vorabprüfungspflicht für Kommentare würde das Medium Blog ad absurdum führen." Wenn die Haftungsrisiken zu hoch würden, würde das den lebendigen Umgang zerstören, so Bullinger. Man müsse aber die höchstrichterliche Rechtsprechung vor dem Bundesgerichtshof abwarten, erst dann könne man von einem Grundsatzurteil sprechen. Niggemeier jedenfalls hat angekündigt, in Berufung zu gehen. Er sagt, es gehe ihm ums Prinzip.

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2 Kommentare

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  • JM
    John Martin Ungar

    So war das nicht gemeint, meine Lieben, mit der Pressefreiheit: Das zeigen Gerichte in Deutschland immer klarer auf. Pressefreiheit ist die ausschliessliche Freiheit der Plutokraten, ihre Propaganda zu verbreiten. Als Bürgerrecht im Internet dagegen gehört sie zu Lande zu Wasser und in der Luft bekäpft. Merke: Pressefreiheit als Pkutokratenrecht = gut, Pressefreiheit als Bürgerrecht = Sozialismus oder Schlimmeres.

  • S
    Segantini

    Was für eine weltfremde Entscheidung. Will das Gericht vielleicht künftig auch Kneipengespräche kontrolliert wissen, muß jeder Gast das Wort erst einmal an den Wirt richten, damit der es geprüft an den anderen weitergibt? Orwells 1984 läßt grüßen.