taz-Serie "Haben Sie noch Feuer?" (Teil 2): "Nicht rauchen wäre ein schmerzlicher Verlust"
Der Neurochirurg Christian Sprung weiß, wie Raucherlungen auf dem Seziertisch aussehen. Trotzdem fragt er sich, warum er auf das Vergnügen verzichten soll.
taz: Herr Sprung, Sie sind Neurochirurg und damit Gehirnspezialist. Wie viele Menschen haben Sie in Ihrem Leben schon operiert?
CHRISTIAN SPRUNG, 60, ist Neurochirurg am Virchow-Klinikum der Charité. Und er raucht - seit seinem 14. Lebensjahr. In der Klinik gehört der rauchende Oberarzt mittlerweile zur absoluten Minderheit. Er hat die Hoffnung noch nicht begraben, einmal Nichtraucher zu werden.
Ab dem 1. Januar 2008 ist das Rauchen in öffentlichen Gebäuden und in Gaststätten in Berlin verboten. In Restaurants und Kneipen darf nur noch in abgetrennten Raucherräumen gequalmt werden.
Aus diesem Anlass spricht die taz Berlin mit passionierten Rauchern über Vorzüge und Nachteile dieser Sucht, den gesellschaftlichen Vormarsch der Nichtraucherbewegung, das Rauchen als Kulturtechnik und als Ausdruck von Lebensqualität. Den Anfang machte gestern die Kreuzberger Schriftstellerin Iris Hanika. Nach dem Neurochirurgen Christian Sprung kommt morgen Klaus Lederer, Landesvorsitzender der Linkspartei, zu Wort.
Christian Sprung: Zurzeit operiere ich circa jeden dritten Tag, früher öfter. 1.000 Menschen werden es insgesamt schon gewesen sein.
Sie sind Raucher. Beeinträchtigt das die Skalpellführung?
Nicht, dass ich wüsste. Ich hatte immer ruhige Hände. Auch in den Phasen, in denen ich nicht geraucht habe, habe ich keinen Unterschied festgestellt. Neben einer ruhigen Hand muss der Chirurg eine gewisse Selbstsicherheit haben. Der Augenarzt Professor Gasteiger hat mal gesagt: "Man kann als Operateur ruhig zittern. Man muss nur wissen, wann man zustechen muss."
Rauchen in der Neurochirurgie des Virchow viele Ärzte?
Ich gehöre zu einer ganz kleinen Minderheit. Von 25 Kolleginnen und Kollegen meiner Abteilung rauchen außer mir, glaube ich, nur noch zwei andere.
Nach Angaben der Gesellschaft für Nikotinforschung rauchen von den deutschen Ärzten circa 20 Prozent. Am meisten die Psychiater, die Chirurgen bilden das Mittelfeld, die Hausärzte das Schlusslicht.
Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, wo bei der Morgenbesprechung die große Mehrzahl der Kollegen geraucht hat. Dass muss so Mitte der 70er, Anfang der 80er gewesen sein. Jetzt bin ich unter meinen Kollegen, die praktisch alle jünger sind als ich, fast der Einzige.
Worauf führen Sie das zurück?
Das Bewusstsein des Gesundlebens hat sich unwahrscheinlich durchgesetzt. Ich finde es immer wieder überraschend, wie viele Kollegen mit dem Fahrrad zur Arbeit kommen und dabei auch weite Strecke zurücklegen. Oder wie viele Kollegen sich zum Joggen verabreden. Früher wäre keiner auf so eine Idee gekommen.
An Ihnen ist diese Entwicklung vorbeigegangen?
Das würde ich nicht so sagen. Meine Geschichte ist ein bisschen komplizierter.
Wann haben Sie angefangen zu rauchen?
Als ich 13, 14 Jahre alt war. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich die Kippen auf der Straße zusammengesucht habe, ohne die geringste Ahnung, dass das schädlich sein könnte.
Sie sind in Eschwege, einer nordhessischen Kleinstadt, aufgewachsen.
Alle meine Kumpels rauchten. In den Sportvereinen wurde geraucht. Mein Vater war starker Raucher.
Was war er von Beruf?
Warengroßhändler. Garne und Wolle für Strickfabrikanten. Er kaufte billig und verkaufte teuer.
Die Bude zu Hause war also immer vernebelt?
Vernebelt nicht gerade. Mein Vater war ein sehr angenehmer, gemütlicher Mensch. Er rauchte starken Tobak. Ein für mich wunderbarer Geruch lag immer über der Wohnung. Er hat bis ins hohe Alter geraucht.
Wie alt ist er geworden?
72. In den letzten Jahren hatte er Bluthochdruck. Das war bestimmt eine Folge seines starken Rauchens. Er hatte größte Schwierigkeiten aufzuhören. Er war ein genussvoller Mensch, der sehr gern geraucht hat.
Welche Marke haben Sie in Ihrer Jugend geraucht?
Reval ohne Filter, aus Angabe, um mich von den Roth-Händle-Rauchern abzuheben. Roth Händle war hart, Reval exotisch. Gleichzeitig habe ich aber immer viel Sport getrieben. Ich war ein guter Tennisspieler. Bis zum Alter von 45 hatte ich deshalb eine ausgesprochen gute Kondition. Das hat mir ein moralisches Recht gegenüber meiner Gesundheit gegeben. Als Mediziner kann man die Folgen des Rauchens ja nicht leugnen, zumal man die Raucherlungen aus dem Anatomieunterricht kennt.
Was unterscheidet eine Raucherlunge auf dem Sektionstisch von anderen Lungen?
Sie hat eine schwarzdunkle Färbung. Gesunde Lungen sind rosa.
Und Ihre Lunge?
Als ich das letzte Mal beim Röntgen war, war ich erstaunt, dass sie noch relativ gut aussieht. Ich hatte auch noch nie Beschwerden. Mein großes Problem ist, dass ich seit ein paar Jahren keinen Sport mehr machen kann. Im Jahr 2000 hatte ich in Australien einen schweren Motorradunfall, bei dem mein rechtes Bein zertrümmert wurde. Damit ist jeder Ausgleich zum Rauchen weggefallen. Mit 50 bin ich noch auf den Kilimandscharo gestiegen und durch den Himalaja gewandert. Auch Tennis und Joggen geht jetzt wegen der Schmerzen im Kniegelenk nicht mehr. Eigentlich kann ich nur noch spazieren gehen.
Wie oft haben Sie versucht, das Rauchen aufzugeben?
Ich würde sagen, fünf ernsthafte Versuche habe ich hinter mir. Das Längste, was ich geschafft habe, waren fünf Monate.
Woran scheitert es?
Ich rauche, weil das Nikotin oder die anderen Stoffe bei mir eine Sucht erzeugt. Rauchen beruhigt mich aber auch. Ich bin ein Mensch, der schlecht warten kann. Das war schon bei meiner Großmutter und meinem Vater so. Es treibt mich fast zum Wahnsinn, wenn ich im Stau stehe. In solchen Situationen spannt sich in mir eine Feder an. Wenn ich dann das Radio anmache und eine rauche, geht es. Oder um Spannungen abzubauen. Zum Beispiel vor großen Operationen.
Warum gerade dann?
Das Schlimmste an der neurochirurgischen Tätigkeit sind die Nachtdienste, wo man um drei Uhr morgens zu einer lebensgefährlichen Operation in die Klinik gerufen wird, weil ein Mensch ein Schädelhirntrauma erlitten hat, zum Beispiel nach einem Autounfall, man ihm den Kopf aufmachen muss - trepanieren - die Gefahr besteht, dass es ihm nach der Operation nicht besser geht oder er sogar in tabula - auf dem Tisch - stirbt. Bei der Autofahrt zur Klinik kann Rauchen äußerst spannungsabbauend sein. Seit ich 60 bin, brauche ich allerdings keine Nachtdienste mehr zu machen.
Haben Sie wirklich ernsthaft versucht aufzuhören?
Ich habe alles durch. Nikotinpflaster, Kräuterzigaretten, Akupunktur. Ich bin bei der mildesten Zigarettensorte gelandet, die noch einigermaßen schmeckt. Jetzt trage ich mich mit dem Gedanken, eine Hypnose zu machen. Meine Ratio sagt mir, hör auf. Ich bin nah dran. Ich habe auch verschiedenste Bücher gelesen, von der Art: Wie werde ich Nichtraucher. Die Autoren tun so, als werde man als Nichtraucher ein wahnsinnig glücklicher Mensch. Das regt mich auf. Auch aus wissenschaftlicher Sicht finde ich das unlauter. Das zweifelsohne vorhandene Krankheits- und Krebsrisiko wird nicht fair abgewogen gegen die meiner Meinung nach eindeutigen Vorzüge des Rauchens.
Welche sind das?
Rauchen ist für mich auch Ausdruck von Lebensqualität. Aus dem Theater oder Kino kommen und eine anstecken. Schön! Auf dem Gipfel eines Berges oder nach dem Tennis, wenn man 7:6, 6:7, 7:6 gewonnen hat. Herrlich! Leute, mit denen ich mich gut verstehe, sind Genussmenschen, die einem Glas Wein oder Bier, einem Zigarettchen oder einer Zigarre nicht abgeneigt sind, wenn sie Zeit haben. Die sind mir näher als diese militanten Nichtraucher, die von morgens bis abends asketisch leben.
Und was würden Sie gern in Nichtraucherbüchern lesen?
Dass es Raucher wie mich gibt, für die es immer ein schrecklicher Verlust sein würde, auf die Zigarette zu verzichten. Klar werde ich ohne besser durchatmen können. Aber ich werde nie, was in den Büchern steht, eine irre Freude empfinden.
Was halten Sie vom Rauchverbot in Kneipen?
Ich verstehe, dass ich als Raucher Nichtrauchern einiges zumute. Ich hoffe, dass es vielen Restaurants gelingt, getrennte Räume einzurichten. Aber dass in einer Bar nicht mehr geraucht werden darf, kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Dass kommt mir vor wie ein Schwimmbad im Hochsommer ohne Menschen.
Wie reagieren Ihre Patienten darauf, dass Sie rauchen?
Die sehen mich nicht rauchen. Das tue ich in der Klinik nur in meinem privaten Arztzimmer, wo keine Untersuchungen stattfinden. Höchst selten werde ich mal darauf angesprochen, wenn jemand die Packung in meinem Kittel entdeckt. Je nachdem, ob der Patient raucht oder nicht, heißt es dann: Ach Doktor, das find ich aber aber toll! Oder: Um Gottes Willen, wie können Sie nur? Ich habe aber nie erlebt, dass jemand gesagt hätte: Von einem Raucher lasse ich mich nicht operieren. In Amerika existiert da ja ein regelrechter Hass.
Raten Sie Ihren Patienten aufzuhören?
Was mein Fachgebiet betrifft, hat noch niemand behauptet, Gehirntumore kämen vom Rauchen. Oder Bandscheibenschäden. Das wird vermutlich auch noch kommen. Natürlich rate ich jedem Patienten - nicht nur dicken, keuchenden Menschen - dass es besser ist, aufzuhören. Das wirkt vielleicht schizophren. Aber meiner elfjährigen Tochter sage ich auch, dass sie besser nicht damit anfängt, damit es ihr nicht so ergeht wie mir.
Berühmte Ärzte wie Freud und Alzheimer haben auch geraucht. Freud hat sogar nach einer Krebsoperation am Gaumen weitergepafft. Wie erklären Sie sich so ein Verhalten?
Heinrich Böll hat trotz schwerer Gefäßleiden weitergequarzt. Es gibt unzählige Beispiele. Hartnäckige Raucher wie Helmut Schmidt wissen, was sie mit sich anrichten. Philosophie als Erklärung dafür wäre wohl ein zu großes Wort. Ich sage mir: Sterben muss jeder. Warum soll ich Qualen auf mich nehmen und auf alle Vergnügungen verzichten. Sehr wahrscheinlich ist es auch eine Charakterschwäche von mir. Es gibt auch die These, dass Rauchen genetisch bedingt ist.
Glauben Sie, jede weitere Zigarette verkürzt Ihr Leben?
Natürlich. Die Statistik ist da unbestechlich. Wenn ich morgen aufhören würde zu rauchen, wären meine Chancen entschieden größer, das 80. Lebensjahr zu erreichen, als wenn ich so weitermache wie bisher. Herzkreislauferkrankung, Bluthochdruck - ich nehme die möglichen Folgen so wie Herr Böll und Herr Schmidt sehenden Auges in Kauf.
Wagen Sie eine Prognose. Werden Sie als Raucher oder als Nichtraucher ins Grab gehen?
Ich hoffe, als Nichtraucher. Aber ich befürchte, dass ich als Raucher ins Grab gehe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen