Afghanische Flüchtlinge: Abschiebung ins Nichts

Immer mehr afghanische Flüchtlinge werden aus Pakistan und dem Iran abgeschoben. Die iranische Regierung droht, Illegale zu inhaftieren. Kabul steht unter Druck.

Platznot, Armut, Arbeitslosigkeit: Bei der Rückkehr erwarten afghanische Flüchtlinge viele Probleme. : dpa

DSCHALALABAD/HERAT taz Schon von weitem sind die Zelte und Häuser des Flüchtlingslagers Char Bagh im Osten Afghanistans zu erkennen. Kein Baum und kein Strauch - die Flüchtlinge leben in der Wüste. Safiurrahman, 22, war nie zuvor in Afghanistan gewesen. Er wurde in einem Flüchtlingscamp in Pakistan geboren, in das seine afghanischen Eltern vor 28 Jahren geflohen sind. Jetzt hockt er unter einer Plane des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR und langweilt sich. Arbeit gibt es nicht, Schulen und Krankenhäuser auch nicht.

"Unser Lager in der Nähe von Peschawar ist geschlossen worden", berichtet er. "Wir hätten in andere Provinzen Pakistans gehen können, aber wir wollten auf das Land meiner Großeltern zurückkehren."

Unten am Abhang liegt eine Reihe Höhlen, die nun als Lagerräume genutzt werden. "Früher hat meine Familie darin gewohnt", sagt er. Doch so primitiv will die Flüchtlingsgemeinschaft heute nicht mehr leben. Sie hat daher mit dem Bau von Häusern begonnen, auf Land allerdings, das von den Behörden als Staatsland bezeichnet wird. Nun liegt der Fall vor Gericht. Es ist nur einer von Tausenden, da zahlreiche Rückkehrer solche Ansprüche geltend machen.

Rund 350.000 afghanische Flüchtlinge sind im letzten Jahr vor allem aus dem Iran und Pakistan zurückgekehrt. Viele von ihnen wurden von den Gastregierungen ausgewiesen. Das UN-Flüchtlingswerk UNHCR schätzt, dass es 2008 noch einmal so viele werden könnten. "Die Absorptionsfähigkeit des Landes ist eigentlich erschöpft", erklärt Farhad Nader, Sprecher des UNHCR in Kabul. So gibt es zum Beispiel für 100.000 Rückkehrer in der ostafghanischen Provinz Nangarhar nur 4.000 Grundstücke. "Als die Familien in den 70er-Jahren flohen, bestanden sie vielleicht aus vier oder fünf Personen", erläutert Mirwais Ahmadsai, Anwalt beim Norwegian Refugee Council (NRC) in Dschalalabad. "Jetzt sind daraus oft drei Familien geworden." Rund vier Millionen Flüchtlinge sind laut UNHCR seit 2002 nach Afghanistan zurückgekehrt. Die meisten von ihnen leiden unter mangelnder Sicherheit, Platznot und Armut. Arbeit gibt es für die wenigsten.

Ramasan hockt auf einem Sofa in der Flüchtlingsbehörde der westafghanischen Stadt Herat. Der Dreißigjährige stammt aus einem der umliegenden Dörfer und wurde im letzten Jahr aus dem Iran abgeschoben. "Ich habe in Teheran als Müllsammler gearbeitet", berichtet er. "Als ich nachts noch etwas zu essen kaufen wollte, wurde ich festgenommen. Die Polizisten haben mich geschlagen und mir die 1.000 Toman (etwa 80 Cent), die ich dabeihatte, abgenommen." Ramasan gehört zu den 120.000 Flüchtlingen ohne Visa, die der Iran im vergangenen Jahr deportiert hat. Ramasan war vor eineinhalb Jahren auf der Suche nach Arbeit illegal in das Nachbarland eingereist. "Ich selbst habe vier Kinder, als mein Vater starb, war ich auch noch für meine Mutter, zwei Schwestern und vier Brüder verantwortlich", sagt er. "Ich fand keine Arbeit. Da blieb mir nichts anderes übrig, als fortzugehen."

Die Abschiebepolitik des Irans hat bereits im vergangenen Jahr für Konflikte gesorgt. Vergangene Woche drohte die iranische Regierung, alle illegalen Afghanen - geschätzte ca. 360.000 - festzunehmen und für Jahre ins Gefängnis zu stecken. Das afghanische Außenministerium bat, diese Maßnahme auszusetzen.

"Der Iran will Druck auf die afghanische Regierung ausüben und unsere Probleme vergrößern", meint Schamsuddin Hamed, Chef der Flüchtlingsbehörde in Herat. Den Vorwurf, politische Motive für die Ausweisung zu haben, weist der Iran hingegen zurück. Laut dem iranischen Konsul in Herat, Nadschafi Manesch, leben bereits eine Million legale Flüchtlinge im Iran, und jeden Tag stelle die Botschaft 400 bis 500 Visa für Afghanen aus. Die Zahl der illegalen Flüchtlinge schätzt Manesch auf eine weitere Million. Auch wenn gegen die Position Teherans rechtlich nichts einzuwenden ist, so Experten, stelle eine mögliche neue Ausweisungswelle ein effektives Instrument dar, um die Regierung in Kabul unter Druck zu setzen.

"Wir drängen daher darauf, dass weitere Ausweisungen mit der afghanischen Regierung abgesprochen werden und es einen organisierten Mechanismus dafür gibt", sagt Nader Farhad vom UNHCR. Mit Pakistan erzielte das UN-Flüchtlingshilfswerk 2007 eine Einigung, wonach das Lager Dschalosai in der Nordwestprovinz bis zum kommenden Frühjahr nicht aufgelöst wird. Die Regierung in Islamabad will Dschalosai sowie zwei weitere Lager in Belutschistan so schnell wie möglich loswerden, da sie Brutstätten für Terroristen seien. Mirwais Ahmadsai vom NRC argwöhnt jedoch, dass Islamabad ebenso wie Teheran "politische Gründe" für die Drohung habe, weil Kabul der Regierung Pakistans permanent vorwirft, die Taliban zu unterstützen.

Wenn im Frühjahr die vom UNHCR ausgehandelte Schonfrist ausläuft, muss sich Ostafghanistan deshalb auf weitere Rückkehrerströme einstellen. "Es leben noch drei Millionen Afghanen außerhalb des Landes", sagt Farhad Nader. "Es bringt aber nichts, Menschen in ein Land auszuweisen, wo sie nicht leben können." Die Flüchtlinge werden weitgehend auf sich gestellt bleiben, denn das UN-Flüchtlingswerk hat lediglich das Mandat, den "am meisten Verletzlichen" unter ihnen zu helfen, das heißt Frauen und Kindern sowie Alten und kranken Menschen.

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