Kommentar Gesundheitsreform: Das Prinzip Chaos

Vor einem Jahr hat die Große Koalition die Gesundheitsreform beschlossen. Für SPD und Union zählt nun nur noch, wem man das absehbare Chaos in die Schuhe schieben kann.

Als die Gesundheitsreform vor einem Jahr beschlossen wurde, hatten fachfremde Beobachter nur eines verstanden: Es handelte sich um den irgendwie unmöglichen Versuch, das SPD-Modell Bürgerversicherung mit dem CDU-Modell Kopfpauschale zu verbinden: ein einheitlicher Beitragssatz wenn schon nicht unter Einschluss der Privatkassen, so doch wenigstens für alle gesetzlich Versicherten; und gleichzeitig eine zusätzliche Kopfpauschale für die Kassen, die mit eben diesem Beitragssatz nicht auskommen. Und das alles rechtzeitig zur Bundestagswahl 2009, auf dass den verfeindeten Berliner Großkoalitionären die Wahlkampfthemen nicht ausgehen.

In der Koalition geht es daher längst nicht mehr um Kosten und Nutzen für die Versicherten, jedenfalls nicht in erster Linie. Für Union und SPD zählt nur noch, wem man das absehbare Chaos im Wahljahr in die Schuhe schieben kann. Die SPD baut schon mal vor und gibt in stets gleichlautender Formulierung die Parole aus, den Fonds habe ja nur die Kanzlerin gewollt. Sprich: Sind vom 1. Januar 2009 bei möglichst vielen Kassen möglichst hohe Kopfpauschalen zu berappen, kommt das den Sozialdemokraten nur gelegen. Dann gewinnt ihre Forderung nach einer Bürgerversicherung, die bislang reichlich abstrakt daherkam, für die Wähler erst lebenspraktische Bedeutung. Umgekehrt kann die CDU hoffen, für chaotische Zustände die zuständige SPD-Ministerin Ulla Schmidt verantwortlich zu machen. Unruhig wird dagegen die bayerische CSU, die im Gesundheitsstreit zwischen den Berliner Fronten steht und im Herbst Landtagswahlen zu bestehen hat.

Das beantwortet auch die Frage, warum Union und SPD den Start des Fonds aufs Wahljahr 2009 terminiert haben. Bei den Landtagswahlen dieses Jahres, wo die Parteien jeweils einzeln antreten, können sie das Thema nicht gebrauchen. Im Bund dagegen, wo beide regieren, kann sich jeder der beiden Koalitionspartner taktische Gewinne versprechen. Das sollten sich alle merken, die einst die vermeintliche Entscheidungsstärke großer Koalitionen rühmten: Hier geht es nicht darum, Probleme zu lösen, sondern sie für den nächsten Wahlkampf aufzusparen.

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