Nokia macht Bochum dicht: "Eine bodenlose Sauerei!"

Produktion in Deutschland angeblich zu teuer - Gewerkschaft angesichts hoher Profite empört. Nordrhein-Westfalen brüskiert, weil das Land 60 Millionen Euro Fördermittel zahlte.

Hier zu kaufen, aber bald nur noch im Ausland gefertigt: Nokia-Handy. Bild: nokia/reuters

BOCHUM taz Fassungslos trat Gisela Achenbach am gestrigen Dienstagmittag vor die Werkstore der Nokia-Niederlassung in Bochum. "Die Leute, die gleich hier rauskommen, werden Ende des Jahres arbeitslos sein", sagte die Betriebsratsvorsitzende mit tränenerstickter Stimme. Nicht nur sie hat die Entscheidung von Nokia wie ein Schlag getroffen: Im Sommer will der skandinavische Handyhersteller seinen Bochumer Standort schließen und die Produktion in andere europäische Werke verlagern - nach Rumänien, Finnland und Ungarn. 2.300 Arbeitsplätze sind betroffen.

Der skandinavische Nokia-Konzern ist der weltgrößte Handy-Hersteller. Knapp 40 Prozent aller Mobiltelefone entstehen auf seinen Fließbändern. Allein zwischen Juli und September 2007 produzierte der ehemalige Gummistiefel-Hersteller 112 Millionen Mobilfunkgeräte - und damit etwa so viele wie die Konkurrenten Motorola, Samsung und Sony Ericsson zusammen. Das Unternehmen mit Hauptsitz in der südfinnischen Stadt Espoo beschäftigt gut 112.000 Mitarbeiter, davon 60.000 in Europa. In Deutschland produziert Nokia in Bochum und fünf anderen Standorten.

"Wir sind uns bewusst, wie schwerwiegend diese Ankündigung für alle Betroffenen ist", sagte der Nokia-Aufsichtsratsvorsitzende Veli Sundbäck in Düsseldorf. Die Standortschließung sei "eine harte Entscheidung", aber sie sei "notwendig, um langfristig die Wettbewerbsfähigkeit von Nokia zu sichern". Der Standort Bochum sei im internationalen Vergleich nicht mehr rentabel.

"Das Werk in Bochum soll nicht geschlossen werden, weil es defizitär ist, sondern weil es der Gewinnsucht des Nokia-Managements nicht genügt: Das ist eine bodenlose Sauerei!", kritisierte demgegenüber der IG-Metall-Bezirksleiter für Nordrhein-Westfalen, Oliver Burkhard. Die IG Metall werde die Arbeitsplätze nicht kampflos aufgeben.

NRW-Wirtschaftsministerin Christa Thoben (CDU) bezeichnete die Nokia-Mitteilung als "außerordentlich schmerzhafte Ankündigung für die Stadt und für die Region". Angesichts erheblicher öffentlicher Gelder, die in die Weiterentwicklung des Nokia-Standorts in Bochum geflossen seien, erwarte die Landesregierung von dem Unternehmen "eine Überprüfung, ob das wirklich die endgültige Entscheidung ist", sagte Thoben. Zwischen 1995 und 1999 habe Nokia rund 60 Millionen Euro an Fördermitteln vom Land kassiert. Von einer "arbeitsmarktpolitischen Katastrophe" sprach Grünen-Landeschefin Daniela Schneckenburger. Der "Linke"-Landesvorsitzende Wolfgang Zimmermann sagte zur taz: "Es ist eine große Schweinerei, Rekordgewinne einzuheimsen und Massenentlassungen vornehmen zu wollen."

Nokia vermeldete im dritten Quartal 2007 einen Umsatz von 12,9 Milliarden Euro - ein Plus von 28 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Der Reingewinn betrug 1,56 Milliarden Euro, rund drei Viertel entfielen auf das Handygeschäft. Schneckenburger forderte die Landesregierung auf, "ihren politischen Einfluss zu nutzen, um ein zweites BenQ für NRW zu vermeiden".

Vor gut einem Jahr hatte die ehemalige Handysparte von Siemens Insolvenz anmelden müssen, nachdem der taiwanesische BenQ-Konzern seiner deutschen Tochter den Geldhahn zugedreht hatte. An den Standorten Kamp-Lintfort und Bocholt verloren rund 2.500 Beschäftige ihre Jobs. Das Bochumer Nokia-Werk ist hinter Opel der zweitgrößte industrielle Arbeitgeber in der Stadt Bochum.

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