die wahrheit: Besuch aus dem Westen

Ratzfatz wird den thüringischen Gastgebern alles leergetrunken und weggefuttert.

Nachdem der gefräßige Gast weg war, mussten die Thüringer erst mal ein paar Kleinigkeiten einkaufen. Bild: ap

… von Frank Schäfer können Wahrheit und andere Leser am 24. Januar in Hamburg, bei einer Lesung aus seinem neuen Buch "Homestories", das er im Textem-Verlag veröffentlicht. Im Hafenklang Exil, Große Bergstraße 178, wird Frank Schäfer ab 20 Uhr über längere Hausbesuche bei Autoren wie Harry Rowohlt, Thomas Kapielski, Eugen Egner, Frank Schulz, Helge Schneider und anderen mehr berichten. Unterstützt wird er dabei unter anderem von den DJs Nina Schwabe und Gregor Kessler. Der Eintritt beträgt 6 Euro.

Die Operation war gut vorbereitet. Ich hatte mich beim Kollegen B. einquartiert, der im Thüringischen beheimatet ist, dort, wo es Berge hat, Burgen und Rostbratwürste und - ja, sonst eigentlich nichts. Egal, ich wollte ja keinen Urlaub machen, sondern anderntags ins entfernte Greiz reisen, um einem vor einiger Zeit verstorbenen Freund die letzte Ehre zu erweisen, und es schien meinem Ansinnen sehr zuträglich, dass Kollege B. ein Auto hatte und noch nichts besseres vor, außer sein Bad zu fliesen, aber das ließe sich ja wohl auch noch um ein Wochenende verschieben. B. war spontan begeistert von meinem Plan. "Und du versprichst mir, dass Du dann nicht mehr jeden Tag anrufst?", sagte er. Na, da wollte ich mal kein Unmensch sein.

Er holte mich vom Zug ab, der gastfreundliche Mann hatte sich auf mein Drängen hin sofort dazu bereit erklärt und machte anschließend eine kurze Rundfahrt durchs Städtchen. "Da hinten", er wies auf eine ganz ansehnliche Gastwirtschaft, "können wir nachher was essen, wenn du hungrig bist." - "Ach, bloß keine Umstände", winkte ich ab. "Du schmierst ein paar Schnittchen oder kochst uns eine Klitzekleinigkeit, das passt schon."

Dann fuhr er noch einen Schlenker, zeigte mir eine einladende, fast anheimelnde Distille. "Oder wollen wir erstmal ein Bier zischen?" - "Ach, ich bin eigentlich kein großer Biertrinker", winkte ich ab, "zumal wir ja morgen früh rausmüssen die zwei, drei Flaschen, die können wir auch bei dir zu Hause erledigen."

B. seufzte schwer. "Wir sind gleich da." Er parkte umständlich den Wagen in der Garage, denn er wusste ja, wir würden ihn heute Abend nicht mehr benötigen. Kurz bevor er mich seiner Frau und seiner Tochter vorstellen konnte, hieb ich mir mit flacher Hand schallend an die Stirn, so, dass es tüchtig klatschte, aber noch nicht wehtat. "Wir müssen sofort zurück in die Stadt, in einen Blumenladen, ich habe ja gar nichts in der Hand für dein Ehegespons."

Er beachtete mich gar nicht, schob mich einfach durch die Wohnungtür, wo ich mit freudlichen Worten empfangen und sogleich in die gute Stube geleitet wurde, während sich Mann und Frau kurz in der Küche zurückzogen und beratschlagten. Satzfetzen wehten zu mir herüber: " wolltet doch Essen gehen nichts Rechtes im Haus die waren doch für Sonntag "

Nach einer Weile kehrte mein Kollege mit einem verzerrten Grinsen, das ich als seine Version eines fröhlichen Lächelns interpretierte, und zwei Halben eines einheimischen Bieres zurück. Die waren schnell getrunken. Alsbald holte er neue. Dann nochmal. Und dann musste er auch schon im Keller die Vorräte seiner Eltern angreifen, die glücklicherweise ebenfalls in dem geräumigen Zweifamilienhaus wohnten. "Also ich habe ja immer einen vollen Kasten auf Reserve zu Hause", setzte ich ihm auseinander. "Es könnte ja wer kommen."

Während er sich ein weiteres Mal in den Keller verfügte, trug die Dame des Hauses auf. Ein Dutzend Steaks, jedes mit zwei Spiegeleiern dekoriert, Bratkartoffeln, ein halb aufgeschnittener Laib Brot und eine Schüssel mit gemischtem Salat der Saison. Ein leichtes, frugales Mahl. Ich war beruhigt. Sie hatte sich zum Glück nicht so viel Arbeit gemacht.

Die Steaks waren gut gewürzt. "Na, du bist wohl verliebt?", schäkerte ich mit der Hausfrau. Und so musste Kollege B. an diesem Abend noch häufiger in den Keller. Irgendwann riet ich ihm, er könne sich viel Laufarbeit ersparen, wenn er die Kiste gleich mit nach oben brächte, was er dann auch tat. Später lag mir das viele Essen und Trinken doch etwas schwer im Magen. Um niemandem besondere Umstände zu machen, öffnete ich das Fenster im ersten Stock und übergab mich in den Vorgarten.

Am nächsten Morgen frühstückten wir erst einmal ausgiebig. Als wir uns gerade auf den Weg machen wollten, ich hatte mir noch drei Doppeldeckerbrötchen mit Wurst und Käse für die immerhin zweistündige Fahrt einpacken lassen, winkte uns eine freundliche alte Dame aus dem offenen Parterre-Fenster zu. Er kurbelte die Scheibe runter. "Was ist denn, Mama?" - "Junge, komm mal rein", versetzte sie bissig. "Ich habe mit dir zu reden." - "Kann das nicht warten, bis wir wieder zurück sind?", stöhnte ich und tippte auf meine Uhr. Er sah mich mit einem merkwürdigen Blick an, schoss dann mit quietschenden Reifen durch die Hofeinfahrt und überfuhr einen streunenden Teckel.

"Das war Purzel", sagte er tonlos. Er fuhr die Gänge jetzt voll aus. Sein Skoda-Kombi brüllte. Recht so, schließlich hatten wir es eilig.

"Den hat meine Tochter zu ihrem zehnten Geburtstag bekommen." - "Er hat nicht gelitten", sagte ich, der es gewohnt war, als angenehmer Gast nur den besten Eindruck zu hinterlassen.

FRANK SCHÄFER

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