Autor de Luca über Neapels Müllkrise: "Prodi ist Komplize der Inkompetenz"
Die Müllkrise zeigt, woran Italien krankt. Politiker ignorieren, wenn die Gesundheit der Bevölkerung Schaden nimmt und machen mit der Mafia Geschäfte, so der Schriftsteller Erri de Luca.
taz: Herr De Luca, Ministerpräsident Prodi hat zur Müllkrise von Neapel erklärt, er werde jetzt das Problem "ein für alle Mal" lösen? Glauben Sie das?
Erri De Luca: Nein, ich glaube ihm nicht, ich glaube ihnen allen nicht. Das beginnt beim angeblichen "Notstand". Ein wirklicher Notstand in Neapel ist, wenn eine Epidemie oder wenn der Vulkan ausbricht. Die Abfuhr des Mülls ist nie und nimmer ein Notstand, sondern Verwaltungsalltag. Wenn eine politische Klasse einen gewöhnlichen Akt wie die Müllabfuhr in den Rang eines Notstandes erhebt, erklärt sie bloß ihre totale Inkompetenz. Prodi ist Komplize dieser allgemeinen Inkompetenz.
Erri de Luca (57) ist in Neapel geboren. In den 70er Jahren war er einer der führenden Köpfe der linksradikalen Bewegung Lotta Continua. Während des Krieges in Ex-Jugoslawien engagiert er sich als Kraftfahrer von Hilfslieferungen. 1989 erschien sein erstes Buch "Nicht hier und nicht jetzt" über seine Kindheit in Neapel. Auf deutsch erschienen zuletzt "Ich bin da" (Rowohlt 2004) und "Die Krümmung des Horizonts" (Hanser 2006).
Wieso das?
Weil er einer Regierung vorsteht, die einfach nichts getan hat in diesen Jahren, das macht ihn zum Komplizen, zusammen mit den in Neapel vor Ort Regierenden und mit der Vorgängerregierung in Rom. Seit 15 Jahren kann die Camorra ungestört ihre Geschäfte mit dem Müll machen.
Jetzt wurde doch aber sogar das Militär geschickt, um die Müllberge wegzuräumen. Ein bloß symbolischer Akt?
Keineswegs. Das Heer hat hervorragendes Gerät für die Räumarbeiten, und es ist gut, dass die zum Einsatz kommen. Das Problem ist nur: Es schafft den Müll einfach von einer Stelle zu einer anderen, wo er provisorisch zwischengelagert wird. Es kann die Straßen freimachen, nicht aber den Müll wirklich beseitigen.
Die Medien machen die Bürger Neapels und Kampaniens als Hauptschuldige aus, weil sie sich zum Beispiel gegen neue Deponien wehren wie jetzt in Pianura vor den Toren Neapels. Ein korrekter Befund?
Nehmen wir das Beispiel Pianura, da gibt es eine vor zehn Jahren geschlossene riesige Deponie, die 40 Jahre lang in Betrieb war - und zugleich gibt es weit überdurchschnittliche Krebsraten. Jetzt soll die Deponie wieder geöffnet werden; die Menschen reagieren darauf mit reiner Notwehr. Das hat nichts mit mangelnder Verantwortlichkeit der Bürger zu tun, sondern allein mit der Verantwortungslosigkeit der Politiker. Solange es um Arbeitslosigkeit oder schlecht funktionierende Schulen geht, haben die Bürger Geduld, nicht aber, wenn es um ihre Gesundheit geht. Der Staat weiß nicht einmal die Volksgesundheit zu verteidigen, das ist unser Drama.
Gilt das auch, wenn die Bürger gegen Müllverbrennungsanlagen Front machen?
Ich frage mich, warum die Politiker nicht den Weg gehen, solche Lösungen attraktiv zu machen, statt sie als Strafe erscheinen zu lassen. Warum gibt es keine Anreize, um die nötige Akzeptanz für eine solche Anlage zu schaffen? Steuervorteile oder ein neues Krankenhaus - dann würden die Kommunen Schlange stehen.
Warum kommt es nicht zu solchen Versuchen? Was funktioniert nicht im Verhältnis zwischen Politikern und Bürgern?
Von einem Verhältnis zwischen Politikern und Bürgern können wir gar nicht mehr reden. An seiner Stelle finden wir das Verhältnis zwischen Satrapen und ihren Untertanen.
Sie reden von Süditalien.
Nein, ich rede von ganz Italien. Denken wir an den Konflikt um die Eisenbahn-Hochgeschwindigkeitsstrecke im Susa-Tal bei Turin. Da rebellierte die gesamte Bevölkerung, nicht weil sie gegen eine neue Eisenbahnstrecke war, sondern weil da ein Berg durchbohrt werden sollte, der voller Asbest war. Auch da erlebten wir eine reine Notwehrhandlung. Unser Notstand ist heute: Die Bevölkerung setzt sich immer dann in Bewegung, wenn es um ihre Gesundheit geht, die von einer Politik aufs Spiel gesetzt wird, die bloß an Geschäfte denkt.
Wenn man in Neapel über Geschäfte redet, ist die Camorra nicht weit. Aber die seit 14 Jahren amtierenden Müllkommissare hatten doch die Hauptaufgabe, die Camorra aus dem Müll-Business rauszuhalten.
Das haben sie einfach nicht geschafft. Die staatlichen Stellen machen vor Ort weiter Geschäfte mit der Camorra. Auch die Müllkommissare haben sich immer an die Unternehmen vor Ort gewandt, beginnend bei den Firmen, die in Camorra-Geruch stehen. Die Regierung müsste einen drastischen Kurswechsel vornehmen, sie sollte etwa den Schriftsteller Roberto Saviano zum Müllkommissar ernennen, der wüsste, was zu tun ist.
Sie machen die Politiker durch die Bank verantwortlich. Gibt es gar keinen Unterschied zwischen rechts und links?
Nein, sobald es um Geschäfte geht, handeln sie gleich.
Sie sagen, die Lösung des Müll-Problems könne nur von den Bürgern kommen. Was meinten Sie damit?
Ich meine, dass ihre Geduld zur Neige geht. Die Bürger Neapels sind unendlich geduldig. Aber in ihrer Geschichte hat diese Stadt auch immer wieder heftige Revolten erlebt, als Zeichen, dass die Geduld zu Ende war. Ich denke, dass eine neue Revolte auch zur Geburt einer neuen politischen Klasse beitragen kann.
INTERVIEW: MICHAEL BRAUN
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