Kolumne Katastrophen: Und Bob Dylan aß eine Okraschote

Was Nicolas Sarkozy mit einer Saugglocke gemein hat, und warum es besser ist, weniger über andere Menschen zu wissen.

Es gibt Dinge, die will man einfach nicht wissen. Die will man sich auch nicht vorstellen. Wenn Menschen auf einem Geburtstagsessen plötzlich in Bierkutscherlautstärke blutige Details ihres letzten Gebärens zum Besten geben: "Ich habe stundenlang geschrien und dann kam die Saugglocke"

Das ist nicht schön.

Auch nicht schön ist es, wenn sich beim arglosen Musikhören plötzlich faltig-solariumgebräunte Gesichter aus der internationalen Politik vor die Bildfläche des inneren Auges drängen. Aber das kann passieren, hört man die falschen Lieder.

Carla Bruni zum Beispiel. Bei so einer Abendgesellschaft kann man immerhin vorgeben, spontan mit dem Rauchen begonnen zu haben und sich außer Hörweite auf den Balkon verziehen. Dem Musikkino im Kopf zu entfliehen, ist schon schwieriger. Keine Ahnung, wo da der Pausenknopf ist.

Es passierte neulich auf dem Heimweg: Ich spazierte durch die Glastüren eines großen Musik- und Buchladens, da war ich plötzlich in einem Soundkokon gefangen. "Jaime les notes au goût de miel, dans le prénom de Raphaël." Die Kaffee-zum-Mitnehmen-Musik von 2002, der Soundtrack unzähliger Haselnuss-Latte-macchiatos von Pankow bis Paris. Carla Bruni. Inzwischen hat zwar Norah Jones den Platz am Kaffeeketten-Milchaufschäumer erobert - aber Frau Bruni hat sich einfach eingebrannt ins kollektive Gedächtnis der städtischen Kaffeekonsumenten. Keine schönen Gedanken: Mich paralysierten diese Klänge völlig.

Es ist nun nicht so, dass ich herumlaufe und mir andauernd andere Menschen beim Sex vorstelle. Gott bewahre. Ich muss das nicht sehen. (Genauso wenig übrigens, wie Tony Leungs schaukelnde Hoden in der Sexszene von Ang Lees letztem Film "Gefahr und Begierde"). Aber Frau Bruni singt eben nicht, sie haucht lasziv herum und flüstert beschwörend Männernamen. Zudem ließ sie sich für das Plattencover von "Quelquun ma dit" mit Nachthemd und Gitarre im Arm ablichten. Na ja. Jedenfalls wird im Kopfkino ein Raphael schnell zum Nicolas - und dann führt eins zum anderen. Das ist auch nicht schön. Man denke nur das ganze Make-up auf den Bettlaken, also: seines. Der Kerl soll ja über 34.000 (vierunddreißigtausend!) Euro für Wahlkampfschminke bezahlt haben. Dieses Detail hingegen ist, verglichen mit der Saugglocke, ungleich unterhaltsamer wie informativer.

Aber trotzdem: Andere Leute sind da doch auch zurückhaltender! Man denke nur an Robert de Niro. Vor ein paar Wochen geisterte diese "Information" durch die Boulevardblätter: "Supermodel Naomi Campbell gesteht, dass die große Liebe ihres Lebens Schauspieler Robert de Niro war." Weeeer? De Niro und Campbell? Waren offenbar über sechs Jahre lang ein Paar. Ich danke den beiden im Stillen für ihre Diskretion und jeden De-Niro-Film, den ich mir unbehelligt von Informationen über sein Privatleben anschauen durfte.

Oder Dylan. Weiß hier irgendjemand was über das Privatleben von Bob Dylan? Nein? Wunderbar. Ich auch nicht. In seiner Autobiografie "Chronicles. Volume one" spricht er lediglich von "my wife" und dass sie gelegentlich zusammen mit dem Motorrad herumfahren und Okraschoten essen. Einen einzigen wirklich persönlichen Satz gibt es zu dieser Liaison. Eigenartig persönlich für Dylan, aber auch irgendwie universell: "The one thing about her that I always loved was that she was never one of those people who think that someone else is the answer to their happiness." Dylans "my wife" ist also offenbar keine von den Menschen, die glauben dass eine andere Person der Schlüssel zu ihrem Glück ist. Schön.

Bruni, Sarkozy und die Saugglockenfrau sehen das wohl anders. Ihr Schlüssel zum Glück sind offenbar wir alle, die ihnen zusehen und zuhören müssen - und ihnen ihr "Glück" damit erst begreifbar machen.

Nur, dass wir das vielleicht gar nicht wollen und nägelkauend überlegen, wie zur Hölle wir aus dieser katastrophalen Situation herauskommen. Und den Stoppschalter suchen.

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