die wahrheit: Verrußte Reiche

Deutschlands Wirtschaftselite durchlebt ein schwarzes Wochenende am Kamin.

Vor dem Flammwochenende waren die Kaminzimmer der Reichen idyllische Orte. : dpa

"Eine Katastrophe. Schlimm, ganz schlimm!" Mit blutrotunterlaufenen Augen sitzt Wendelin W. vor seinem immer noch rauchenden Kamin. Das Gesicht ist rußgeschwärzt, sein Schnauzbart an einer Seite angekokelt. Der ehemals weiße Jogginganzug ist zerknittert wie das Gesicht des 57-Jährigen. "Ich habe 48 Stunden nicht geschlafen", erklärt der mächtige Wirtschaftsboss. Normalerweise leitet W. ein großes deutsches Unternehmen, doch was an diesem Wochenende in seiner Villa vor sich ging, scheint seine Kräfte überfordert zu haben. "Ich habe geackert, geackert, geackert." Ununterbrochen habe er Papiere, aber auch CD-Roms in die lodernden Flammen geworfen, berichtet W. "Und meine Frau hat die ganze Zeit Holz gehackt", streichelt er seiner Gattin fast schon ein bisschen stolz die mit Blasen übersäten Hände.

"Mein Steuerberater ist im Urlaub auf Haiti und nicht erreichbar gewesen", berichtet W. weiter, "und als der Zumwinkel einfuhr, wusste ich nicht weiter." Allein im vergangenen Jahr habe er "irgendwas zwischen 50 und 60 Millionen" verdient, und davon sei sicher auch "irgendeine Summe irgendwo in einer Steueroase" gelandet, meint W. "Ob nun in Liechtenstein, kann ich nicht sagen." Als die Staatsanwaltschaft am Freitag nach der Vernehmung des Post-Chefs verlauten ließ, dass "am Montag im Morgengrauen vor vielen Villen in Düsseldorf, Meerbusch, Köln und Essen Dutzende Fahnder aufkreuzen" würden, glaubte W. handeln zu müssen. "Ein Glück, dass wir unser Kaminzimmer haben", meint Frau W. Vorsorglich habe man sich entschlossen, alle privaten Finanzpapiere zu verbrennen. "Nicht mal der Chauffeur oder der Gärtner konnten uns helfen. Es durfte ja keine Zeugen geben. Aber jetzt können die Steuerfahnder kommen", reibt sich Wendelin W. die schmutzigen Hände.

"Wir haben sie alle im Visier", erklärt Staatsanwalt Helmut Kwiatkowski von der zuständigen Bochumer Steuerbehörde. Und wer glaubt, dieser Mann im braunen Rollkragenpullover würde mitten in einem Berg vergilbter Akten sitzen, täuscht sich. Kwiatkowskis Schreibtisch ist blitzsauber, kein Papier ist zu sehen, nur ein nagelneues superflaches MacAirBook hat er aufgeklappt. Auf dem Bildschirm verfolgt der Einsatzleiter der Sonderkommission "Devotion" ständig einlaufende Satellitenbilder. "Devotion heißt Hingabe, und so hieß die Stiftung in Liechtenstein, mit der der Beschuldigte Klaus Zumwinkel Steuergelder am Fiskus vorbei hinterzogen hat", erklärt Kwiatkowski. "Wir fanden das so nett, deshalb haben wir uns den Namen ausgeliehen für unsere Großaktion." Gebannt starrt Deutschlands härtester Steuerstaatsanwalt auf den Bildschirm: "Wir sehen alles. Hier: das Haus von Norbert R. Der ist auch Chef einer großen deutschen Autofirma. Da brennt der Kamin ebenfalls seit zwei Tagen." Mit Hilfe der Aufklärungssatelliten, die bereits im Jahr 2006 von den Russen im Auftrag der Bochumer Staatsanwaltschaft im Orbit platziert wurden, schaue man durch die Schornsteine direkt in die Villen und Wochenendhäuser der Verdächtigen, erläutert Kwiatkowski. Längst habe man auf allen möglichen Wegen der modernen Kommunikationstechnik die verdächtigen Daten gesichert. "Das Verbrennen nützt also gar nichts. Aber wir lassen die armen Reichen ruhig mal zwei Tage zittern. Dann sind sie am Montag weichgeklopft."

"Verdammt, er will einfach nicht!", ruft Wendelin W. wütend. Denn die Flammen können dem großen schwarzen Geldkoffer nichts anhaben. "Bring doch mal bitte die Anzünder fürs Grillen", befiehlt W. seiner Frau. "So eine Schande", flüstert die, als der Koffer endlich doch noch lichterloh brennt. "Ich meine, da hängen ja auch viele Erinnerungen dran an dem Koffer. Die vielen Reisen in die Schweiz und nach Liechtenstein und nach Guernsey und, und, und ..." Mit einem Mal bricht Frau W. in Tränen aus, ihr Mann muss sie in die Arme nehmen und trösten. Es ist ein Bild des Jammers. Zwei völlig verrußte Reiche, deren Zukunft mehr als ungewiss ist. "Ich mein, wir sind doch auch nur Menschen", schluchzt Frau W.

Mitleid? Das habe er ganz sicher nicht mit diesen Kriminellen, redet sich Kwiatkowski nun in Rage. "Deutschland wird immer dümmer, heißt es. Und das ist richtig. Denn so einen dummen Verbrecher wie Zumwinkel zum Beispiel habe ich in meiner Karriere noch nicht erlebt", entrüstet sich der Staatsanwalt. "Aus der Portokasse würde er die Strafe zahlen, hat er uns bei der Vernehmung erklärt. Der Post-Chef - aus der Portokasse!", empört sich Kwiatkowski über das schrecklich schlechte Wortspiel. "Allein für diesen Kalauer werde ich beim Strafmaß zehn Jahre fordern." Tatsächlich wären zehn Jahre Verbannung ins trostlose brandenburgische Städtchen Calau für einen Kriminellen wie Klaus Zumwinkel wohl die gerechteste Strafe.

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