Streik-Republik Deutschland: Counter-Strike für alle

Die Kampfform "Streik" gibt es inzwischen in einer bunten Typologie. Kinderlose gehören ebenso wie Orchestermusiker dazu. Das erfordert Orientierung. Eine Übersicht.

Diese Frau hat Arbeit im öffentlichen Dienst, will aber mehr Geld. Bild: dpa

"Streik": das Wort entspricht dem englischen "Strike", was "schlagen" und "stoßen" bedeutet. Streik bedeutet Kampf. Nur, was für ein Kampf? Und gegen wen und mit welchen Aussichten? Die Streikkultur in Deutschland wird immer bunter.

Die schlimmsten Streiks

sind Ausstände im Privaten, etwa der "Zeugungsstreik", in dem sich viele Männer im Alter zwischen 30 und 40 Jahren befinden. Der "Zeugungsstreik" gilt inzwischen manchen Bevölkerungswissenschaftlern als eine Ursache unseres Geburtenrückgangs und bereitet Rentenexperten Kopfzerbrechen. Denn wo nicht gezeugt wird, gibt es keine künftigen Beitragszahler.

Ähnlich gelagert, aber schon länger im Gespräch ist der "Gebärstreik", wonach gerade gebildete Frauen der Mittelschicht den Nachwuchs verweigern, weil die Umstände nicht danach sind. Der "Gebärstreik", wenn es ihn überhaupt gibt, verfehlt allerdings jede Wirkung, wenn gleichzeitig die Männer zeugungsstreiken. Was auf einen Kernkonflikt dieser Kampfmaßnahmen verweist: Um erfolgreich streiken zu können, muss man eine Handlung verweigern können, die andere gerne hätten.

Die absurdesten Streiks

sind daher immer Ausstände, in denen jemand etwas verweigert, was andere sowieso nicht mehr haben wollen. Geradezu paradox ist etwa der Werksschließungsverhinderungsstreik. So legten beispielsweise die Mitarbeiter im Nürnberger AEG-Werk vor fast zwei Jahren die Arbeit nieder, weil der Betrieb geschlossen werden sollte. Glücklicherweise war der Konzern zu diesem Zeitpunkt auf die Arbeitskraft der Beschäftigten noch angewiesen, so dass annehmbare Sozialpläne ausgehandelt wurden.

Ähnlich heikel sind auch Uni-Streiks gegen Studiengebühren oder schlechtere Arbeitsbedingungen, weil nun mal kaum jemand danach kräht, ob Germanisten in die Vorlesungen gehen oder nicht. Hier zählt vor allem die mediale Wirkung, wenn zu einem "Streik" aufgerufen wird.

Die spürbarsten Streiks

sind Arbeitskämpfe, bei denen möglichst viele Leute spüren, dass irgendwo jemand nicht arbeitet. Deswegen gehen die aktuellen Kita-Streiks abends durch das Nachrichtenfernsehen, denn Eltern müssen aufgrund der Ausstände für Ersatzbetreuung sorgen. Busfahrerstreiks, aber auch die Arbeitskämpfe von Müllfahrern, sind ein großes Medienthema, weil liegengebliebene Abfälle das Hygieneempfinden aufwühlen. Das Problem dieser Ausstände: Es gibt keinen mächtigen Gegner. Denn die Entgelte im öffentlichen Dienst werden durch die steuerzahlenden Bürger finanziert.

Neid erzeugende Streiks

werden leicht Ausstände von Berufsgruppen, die schon ein gewisses elitäres Image haben und dann auch noch regelmäßig höhere Lohnforderungen stellen als das Proletariat. Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund beispielsweise fordert jetzt wieder im Durchschnitt zehn Prozent mehr Gehalt, während sich die Gewerkschaft Ver.di bei den Kitaerzieherinnen und Müllfahrern nur acht Prozent mehr zu wünschen traut. Auch Piloten und Lokführer, also die Berufe, von denen kleine Jungs träumen, fielen in der Vergangenheit durch hohe Entgeltforderungen auf.

Die unsichtbaren Streiks

betreffen meist Berufsgruppen, die von hohen Gehaltssteigerungen nur träumen können, weil es bei ihnen um das Blockieren von Verschlechterungen geht. Dazu gehört beispielsweise der immer noch herrschende punktuelle Ausstand von MitarbeiterInnen im Einzelhandel, der von den Kunden gar nicht bemerkt wird, weil die Unternehmen flugs Leiharbeiter oder andere Ersatzkräfte bereitstellen. Die Beschäftigten, vor allem Frauen, protestieren mit dem Ausstand gegen die Kappung von Zuschlägen für Spätdienste.

Unauffällig ist auch der Ausstand der Orchestermusiker, durch den die Künstler an die Tarifsteigerungen im öffentlichen Dienst angekoppelt bleiben wollen. Als Kampfmaßnahme proben die Musiker etwas weniger. Aufführungen aber finden statt. Schließlich kann man sich nicht leisten, die zahlenden BesucherInnen zu vergraulen.

Der klassische Streik

ist demgegenüber erfrischend klar strukturiert. Es gibt einen fassbaren Gegner, der durch die Arbeitsniederlegung Umsatzeinbußen erleidet und deshalb lieber den höheren Lohn zahlt. 5,2 Prozent mehr Geld haben westdeutsche Stahlarbeiter durch ihren Streik von den Arbeitgebern erkämpft. 5,2 Prozent! Mindestens so viel haben auch die zeugungsstreikenden Männern verdient.

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