Neurologie und Psychiatrie: Mehr Kranke bei unveränderter Arztzahl
Drei Berufsverbände der Neurologen und Psychiater stellten eine neue Studie vor - und forderten: mehr Geld.
BERLIN taz Immer mehr Menschen erkranken an Geist und Seele. Sie werden aber von nahezu gleich vielen Fachärzten wie noch vor zehn Jahren behandelt. Jeder dieser Ärzte muss heute also deutlich mehr Patienten betreuen - und bekommt dafür pro Behandlung deutlich weniger Honorar. Das sind die Ergebnisse einer Studie, die drei Facharzt-Berufsverbände am Donnerstag in Berlin vorstellten.
"Neurologische und psychiatrische Erkrankungen sind auf dem Vormarsch", sagte Frank Bergmann vom Berufsverband Deutscher Nervenärzte (BVDN) bei der Vorstellung der Studie. Neurologische Krankheiten sind zum Beispiel Parkinson, Schlaganfall, psychiatrische können Demenz, Depression oder Süchte sein.
Die Zunahme lassen sich ablesen an 36 Prozent mehr Krankenhausaufenthalten wegen psychischer und verhaltensbezogener Erkrankungen, die es im Jahr 2005 im Vergleich zu 1994 gab. Auch die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage wegen neuropsychiatrischer Erkrankungen sei zwischen 1997 und 2006 um 64 Prozent gestiegen. Die Studie kalkuliert, dass Arbeitsunfähigkeit in Folge von neuropsychiatrischen Erkrankungen im Jahr 2006 für rund sieben Milliarden Euro Ausfall an Bruttowertschöpfung in Deutschland verantwortlich gewesen sei.
Für den Vormarsch neuropsychiatrischer Erkrankungen gibt es zwei Erklärungen: Psychisch Erkrankte würden nicht mehr wie früher stigmatisiert, "und deswegen werden die Erkrankungen heute häufiger auch korrekt diagnostiziert", erläuterte Gunther Carl vom BDVN. Und außerdem führe immer mehr Leistungsdruck am Arbeitsplatz dazu, dass immer mehr Menschen über ihre "psychischen Leistungsgrenzen" hinausgingen. Die Zunahme der Fälle von Altersdemenz schließlich erkläre sich demografisch.
Den deutlich mehr Kranken stehen heute jedoch nur unwesentlich mehr Facharztpraxen offen, so Uwe Meier vom Berufsverband Deutscher Neurologen. Die Folge: Jeder Neurologe oder Nervenarzt musste sich 2004 um rund 1.000 Krankheitsfälle mehr als vor zehn Jahren kümmern. Und Patienten mussten oft warten und sahen ihren Arzt nur kurz. Christa Roth-Sackenheim vom Berufsverband Deutscher Psychiater sprach von statistisch "sieben Minuten" Zeit für die Betreuung eines schwer depressiven Patienten.
Die Fachärztevertreter beklagten außerdem ihre nach eigener Ansicht schlechte Bezahlung. Das Honorar pro Patient betrage heute 40 Euro im Quartal. Es sei seit 1994 stark geschrumpft, sodass viele Praxen heute weniger Geld verdienten, obwohl sie mehr leisteten. Für den Ärztenachwuchs sei die Tätigkeit im neuropsychiatrischen Bereich deshalb kaum attraktiv.
Die Ärztevertreter forderten also im Einklang mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung: mehr Geld.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Diskussion um US-Raketen
Entscheidung mit kleiner Reichweite