die wahrheit: Der homosexuelle Mann

...stellt keine Fragen mehr. War die Wissenschaft vor dreißig Jahren noch seine Verbündete und sollte ihm Geleitschutz geben, seine Lebensweise zu legitimieren, scheint heute alles paletti und geklärt...

… stellt keine Fragen mehr. War die Wissenschaft vor dreißig Jahren noch seine Verbündete und sollte ihm Geleitschutz geben, seine Lebensweise zu legitimieren, scheint heute alles paletti und geklärt. Keine Fragen mehr an die Geschichte, an die Psychologie, an die Medizin, an die Soziologie, an die Literatur - die neuen Generationen finden einen vergleichsweise konfliktfreien Ablauf eines homosexuellen Alltags vor, warum sich also mit scheinbar unnützen und offensichtlich antiquierten Fragen und Problemen herumschlagen?

So sind viele der hoffnungsvollen wissenschaftlichen Ansätze aus der Hochphase schwuler Bewegung Ende der Siebzigerjahre längst wieder aus der Öffentlichkeit verschwunden, auch das Forum Homosexualität und Literatur stellt dieser Tage sein Erscheinen ein. Die Zeitschrift, die sich 20 Jahre lang geist- und kenntnisreich um das Schwule in der Literatur kümmerte, findet - so die Herausgeber - nicht mehr ausreichend Beiträge, die eine Veröffentlichung wert sind. Im akademischen Bereich hat die Beschäftigung mit dem Thema Homosexualität und Literatur oder anderen Wissenschaftsfeldern wieder an Bedeutung verloren. Der emeritierte Professor der Universität Siegen, Wolfgang Popp, Initiator und Mitherausgeber des Forums, geht bei Erklärungsversuchen noch einen Schritt weiter: "Seinen Wissenschafts- und Forschungsschwerpunkt in diesem Themenbereich anzusiedeln, ist auch heute noch (oder wieder) für eine wissenschaftliche Karriere eher abträglich als nützlich." Popp weiß, wovon er spricht, sein "Forschungsschwerpunkt Homosexualität und Literatur" steht seit seinem Ausscheiden aus dem Hochschulbetrieb nur noch auf dem Papier, und die "Schwullesbischen Studien" an der Uni Bremen sind über die Phase der Finanzierung durch Drittmittel nicht hinausgekommen.

Dabei hatte, wenn es um schwule Literatur ging, einst alles so neugierig angefangen. Einen Klaus Mann gab es zu entdecken ebenso wie den Vater Thomas, dazu Hans Henny Jahnn, Hubert Fichte sowieso und August von Platen. Plus die sich ständig ergänzende Liste von Autoren aus anderen Ländern. Ihnen allen galt über die Jahre die Aufmerksamkeit im Forum, rund 120 Autoren wurden mit Leben und Werk vorgestellt. Auch Grundsätzliches blieb nicht ausgespart: Ist die Homosexualität eines Autors von Bedeutung für die Interpretation seines Werkes? Oder: Welche Bedeutung hat das Anale für die Ästhetik homosexueller Literatur? Oder: Ob und in welcher Weise schreibt sich Homosexualität in Texte ein?

Fragen über Fragen, die in ihrer Zeit einen Forschungsdrang und eine Emphase an den Tag legten, um sich einer eigenständigen Identität jenseits gesellschaftlicher Zuschreibungen zu vergewissern. Ein Echo darauf ist ausgeblieben, niemand im vorwiegend heterosexuell-männlichem Wissenschaftsbetrieb hat auf all die neuen Überlegungen reagiert. Dass Marcel Proust oder Hans Christian Andersen auch schwul waren, will eigentlich niemand wissen, es soll ihr kleines schmutziges Geheimnis bleiben. Und die jungen Schwulen? Die Frage, ob es ein Partyleben nach Britney Spears gibt, ist weitaus bedeutender für ihre aktuelle Lebensführung als die nach einer Homotextualität.

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.