Streikwege: Umland bis Mitte

streikwege

Ja, ich wohne am Stadtrand! Ja, ich fahre mit dem Auto zur Arbeit! Letzteres benutze ich allerdings nur noch selten - in der S-Bahn habe ich einfach mehr Ruhe zum Zeitung lesen, vor allem aber kann ich so pünktlich meine Termine wahrnehmen. Wenn ich aber am Abend lange in der Stadt bleibe, nehme ich morgens den quälenden Weg auf der Straße auf mich - abends werde ich dann mit einer bequemen Heimfahrt belohnt.

So auch in dieser Woche. Ich will nach der Arbeit eine Tüte Babysachen abholen, schwimmen gehen und einen Freund treffen. Für die Fahrt zur Arbeit plane ich eine halbe Stunde mehr ein - dennoch wird es eng.

Bis Kaulsdorf geht alles gut. Dann der Stau auf der B1, der deutlich früher als üblich beginnt. Wegen meines Zeitpuffers übermütig geworden, beschließe ich, um den Stau herumzufahren. Das bringt in der Regel an dieser Stelle zeitlich nichts, aber man hat das Gefühl voranzukommen. Ich kurve also durch Kaulsdorf, bewundere sanierte Villen und die neue Brücke am Bahnhof, schlängele mich nach Hellersdorf, vorbei am S-Bahnhof Wuhletal und stoße in Biesdorf zurück auf die B1. Das dauert eine Viertelstunde; auf der Hauptstraße wären es in normalen Zeiten fünf Minuten gewesen.

Richtung Innenstadt geht es schleichend weiter. So schlecht kann es um die Wirtschaft nicht stehen, denke ich - wenn so viel Verkehr ist! Schließlich stellt sich niemand morgens um acht freiwillig in den Stau oder quält sich in überfüllte S-Bahnen. Irgendwo wird schon eine Arbeit winken.

Eine knappe halbe Stunde später bin ich in Friedrichshain. Langsam werde ich ungeduldig. Um schneller voranzukommen, biege ich von der Frankfurter Allee links Richtung Boxhagener Platz ab. Klar, diese Idee hatten vor mir schon andere. An der Kreuzung Grünberger Straße/Ecke Warschauer stehen Dutzende Fahrzeuge vor mir. Fünf Minuten dauert es, bis ich endlich die Warschauer Straße überquert habe. Jetzt ist mein Zeitpuffer fast aufgebraucht, aber ich habe noch - im Normalfall - mindestens fünfzehn Minuten Weg vor mir.

Schlängelnd und manchmal drängelnd schiebe ich mich vorwärts. An einer Rechts-vor-links-Kreuzung kracht es fast, weil einer - von links kommend - noch vor mir über die Kreuzung rasen will. Aber er kommt noch rechtzeitig zum Stehen. Glück gehabt!

Die verstopfte Leipziger Straße umfahre ich weiträumig, indem ich schon an der Jannowitzbrücke ins südliche Mitte abbiege. Die Nebenstraßen dort sind ein einziges Wirrwarr. Zudem nerven in den engen Straßen Zweite-Reihe-Parker, und auf die derzeit vielen Radfahrer und Fußgänger muss man höllisch aufpassen. Erschöpft komme ich an unserem Bürohaus an.

Die Parkplatzsuche erweist sich als schwierig. Letztlich entscheide ich mich für eine nicht ganz legale Variante - und kritzle auf einen Zettel: "Liebe Kontrolleure! Ich stehe nicht freiwillig hier, sondern wäre lieber U-Bahn gefahren oder würde einen regulären Parkplatz nutzen." Das ist zwar etwas geflunkert, aber es hätte wahr sein können! Das Blatt lege ich in die Windschutzscheibe und renne in die Redaktion - zehn Minuten zu spät.

Hat der Zettel geholfen, oder sind die Kontrollettis an diesem Tag dort nicht ausgeschwärmt? Ich weiß es nicht, aber einen Strafzettel habe nicht bekommen. Bei BVG-Streik werde ich das Auto aber nur noch in Notfällen nutzen.

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Geboren 1969 in Ost-Berlin. Studium an der FU Berlin. Bei der taz seit 1999, zunächst im Berliner Lokalteil. Schwerpunkte sind Verkehrs- und Unternehmenspolitik.

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