Ringer ohne Nachwuchs: "Jeder will Kinder abhaben"

Bisher hat sich nur ein Ringkämpfer für Peking qualifiziert: Deutschlands Ringern fehlt der Nachschub. Die Kinder wollen sich nicht mehr quälen.

Einsamer Leistungsträger: Olympiateilnehmer Konstantin Schneider. Bild: dpa

120 Kilo Mensch können fliegen. Nico Schmidt führt den Beweis. Kurzer Anlauf, Radwende und hopp: Salto rückwärts. Der Koloss landet behände auf den Füßen. Zugegeben, ein Fabian Hambüchen fliegt graziler. Aber Schmidts eigentliche Profession ist auch nicht das Turnen. Er ist Ringer. Und der Salto ein Ritual. Wenn Schmidt gewinnt, fliegt er. Am Samstag in Bonn galt sein Sprung dem Sieg bei den Deutschen Meisterschaften im griechisch-römischen Stil. Der 29-Jährige aus Frankfurt an der Oder hatte vor knapp 600 Zuschauern in der Hardtberghalle gerade seinen siebten Schwergewichts-Titel in Serie gewonnen.

Im Finale ließ Schmidt seinem Klubkollegen Roland Kraft in zwei Runden keine Chance und feierte einen souveränen 3:0-Punktsieg. Was nach Routine aussah, kostete den Serien-Meister in diesem Jahr besonders viele Nerven. "Ich bin immer der Gejagte", sagte er, "aber in diesem Jahr war ich besonders nervös." Im Olympiajahr. Einem Jahr, in dem es für die deutschen Ringer noch so manche Hürde zu überqueren gilt.

Bislang ist nur ein einziger Athlet im griechisch-römischen Stil für die Spiele im August in Peking qualifiziert: Konstantin Schneider vom KSV Köllerbach in der 74-Kilo-Klasse. Er ist auch der einzige deutsche Ringer, der in diesem Jahrtausend Erfolge bei Weltmeisterschaften sammeln konnte. 2003 wurde er Zweiter, 2005 Dritter. In den 90er-Jahren war das anders. Da gewannen die Ringer immer zwei bis drei WM-Medaillen und hatten mit Maik Bullmann (Olympiasieger 1992) und seinem Freistil-Kollegen Alexander Leipold (Weltmeister 1994) zwei einer breiten Öffentlichkeit bekannte Aushängeschilder. Für Schlagzeilen sorgte Leipold noch einmal im Jahr 2000, als ihm olympisches Gold aberkannt wurde. In seinem Blut war das Steroid Nandrolon gefunden worden. Der Franke beteuerte damals, nicht gedopt zu haben und führte verunreinigte Nahrungsergänzungsmittel als Erklärung für die erhöhten Werte an. Danach wurde es ruhig ums deutsche Ringen.

Von einer Krise seines Sports will Maik Bullmann, inzwischen Bundestrainer im griechisch-römischen Stil, allerdings nicht sprechen. "Wir sind in einigen Gewichtsklassen nicht mehr konkurrenzfähig", sagt er. Das schon. "Aber der deutsche Amateursport insgesamt steckt in einer Krise." Den Boxern, Judoka oder Leichtathleten gehe es schließlich ähnlich. "Es ist ein grundsätzliches Problem in Deutschland, dass Kinder keinen Sport mehr treiben wollen." Die wenigen, die noch bereit sind, sich "aus lauter Idealismus" zu quälen, seien von den verschiedenen Sportarten hart umkämpft. "Jeder will Kinder abhaben."

Florian Crusius wäre beinahe beim Fußball gelandet. Aber seiner Mutter gefiel das nicht, sie schickte ihren Sohn lieber mit einem seiner Klassenkameraden zum Ringen. "Damals war ich neun, da hört man noch auf seine Eltern", sagt Crusius. Inzwischen ist er 21 Jahre alt und immer noch Ringer. Er ist einer von denen, die bei der EM in zwei Wochen im finnischen Tampere oder bei einem der beiden Qualifikationsturniere im Mai noch einen Olympia-Startplatz ergattern soll. Bei den Deutschen Meisterschaften verlor er sein Finale in der 55-Kilo-Klasse allerdings gegen den Leipziger Dustin Scherf. Damit handelte sich Crusius einen bösen Blick von Bundestrainer Bullmann ein. "Ich sage jetzt nichts", meinte Bullmann nur, während der Athlet geknickt zu Boden schaute. Zur EM darf Crusius trotzdem, weil Scherf noch in der Junioren-Klasse kämpft.

Die 55 Kilo am unteren und die 120 Kilo am oberen Ende der sieben Ringer-Gewichtsklassen sind ein wenig die Exoten des Sports. Jan Fischer aus Köllerbach, der in Bonn den Titel in der 84-Kilo-Klasse gewann, entspricht da schon eher dem Bild des klassischen Adonis. Groß, muskulös, durchtrainiert. Stark und wendig zugleich, weil Kraft und Technik in den mittleren Gewichtsklassen ausgeglichene Rollen spielen. So mag man sich die Männer vorstellen, die bereits bei den Olympischen Spielen der Antike gegeneinander angetreten sind. Jan Fischer sei ein Guter, sagt Bundestrainer Bullmann. Einer, der die Olympiaqualifikation noch schaffen kann.

Vier Olympiastartplätze für deutsche Ringer im griechisch-römischen Stil wünscht sich Bullmann insgesamt. Nico Schmidt ist nach seinem Sieg und Salto optimistisch: "Ich schätze meine Chancen hoch ein", sagt er. Bei der EM qualifiziert sich der Erste, der noch kein Olympiaticket hat. Crusius ist nach seiner Niederlage weniger optimistisch: "Von einer auf die andere Sekunde habe ich gar nichts mehr gezeigt, so etwas darf mir nicht passieren." Seine Chancen bei der EM? "Alles offen." Und dann sagt er noch einen Satz, der den Bundestrainer versöhnen dürfte: "Da muss jetzt noch was kommen von uns, wir müssen voll reinklotzen."

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