die wahrheit: Heino nach Schanghai

Milch und Christbäume waren nur der Anfang. Chinesen verteuern alles in Deutschland.

Das Fahren der von ihnen so geliebten deutschen Autos müssen die Chinesen aber noch lernen. Bild: reuters

Der Speckgürtel von Peking sieht genauso aus, wie er heißt. Eine ranzige Fabrikbude reiht sich an die andere. Hier schuften unzählige Wanderchinesen und bescheren der Außenhandelsbilanz des roten Reichs fette Gewinne. Besonders auffällig ragt eine Halle in den versmogten Himmel. In jeder der vier Etagen sitzen hunderte Arbeiterinnen in blauer Kluft an einem langen Fertigungsband. Über ihren Köpfen hängt auf schwarz-rot-gelbem Stoff ein Aufruf zum sozialistischen Wettbewerb.

Alles sieht sehr ordentlich, ja deutsch aus. Vor allem die Dinge, an denen die Billiglöhner herumfingern: Gartenzwerge, Kuckucksuhren, Hirschgeweihe - die ganze Palette klassischer deutscher Heimkunst. Es handelt sich samt und sonders um Plagiate, mit denen der deutsche Markt überrollt wird. Was für die einen die hässliche Fratze der Globalisierung ist für die anderen ein Segen. Den Chinesen ists wurscht.

Doch der wild gewordene Drachen beißt sich irgendwann in den eigenen Schwanz, wie ein chinesisches Sprichwort sagt. Anders ausgedrückt: Die Globalisierungsrevolution frisst ihre Kinder. Angefressen sind zumindest die Leute in der Fabrik "Xang Ging". Bisher wurden ihre hübschen Imitate nicht nur exportiert, sondern auch in China gut verkauft. Doch die Binnennachfrage ist eingebrochen. Deshalb drohen nun Entlassungen, sagt Fabrikdirektor Herr Li während unserer Recherche. "Viele Bevölkerungsgruppen verdienen immer besser und geben sich nicht mehr mit billigem Ramsch zufrieden. Wer es sich leisten kann, möchte die Originale, und die Produkte aus Deutschland haben einen besonders guten Ruf."

Plötzlich erklärt sich so manch mysteriöser Preisschub in Deutschland in den letzten Monaten. Nicht nur Milch und Käse sind bekanntlich teurer geworden, angeblich weil der Chinese neuerdings auch gern am Shake nippt. Selbst die Preise für Weihnachtsbäume stiegen, weil der Chinamann laut Christbaumbranche inzwischen ebenfalls gern eine grüne Tanne in seine Wohnzelle stellt. Dabei feiert das Volk der Buddhisten, Konfuzianer und Atheisten gar kein christliches Weihnachtsfest.

"Aber es stimmt", erzählt uns Herr Li, "unsere Leute finden alles schick, was aus dem Westen kommt und kopieren es. Weihnachten verstehen sie als Konsumfest. Das ist bei Ihnen doch nicht anders", sagt er grinsend. Ansonsten hat er wenig zu lachen, denn mit seinen Räuchermänneln und Weihnachtskugeln faked for Germany kann er beim chinesischen Kunden ja kaum noch landen, weil ausgerechnet in seinem Land der Trend zum Original geht.

Dass gerade den Deutschen deshalb das Lachen bald vergehen wird, bestätigt uns ein selbstbewusster Herr Dong von der chinesischen Plankommission. "Früher hieß es ja bei Ihnen in Deutschland: Was interessierts mich, wenn in China ein Sack Reis umfällt. Nun, ich glaube, Sie müssen umdenken." Was er damit konkret meint, muss jedem anständigem Deutschen einen Schauder durchs Gemüt und Portmonee jagen. "Nach unseren Erhebungen stehen echte typisch deutsche Produkte auf der Wunschliste der chinesischen Konsumenten ganz oben." Zum Beispiel? "Natürlich Autos, Weißbier und Bratwürste, aber auch Autobahnen, die Telefonseelsorge und Benjamin Blümchen, am liebsten jedoch Lederhosen, Karnevalskostüme und Volksmusikanten." Volksmusikanten?! "Ja, auch die. Seit der Karl Moik mit seinem ,Musikantenstadl' vor einigen Jahren mal hier war, sind die Leute bei uns völlig aus dem Häuschen."

Wir erzählen Herrn Dong, dass Marianne und Michael kürzlich beim ZDF ausrangiert wurden und ihre Riesenfangemeinde darüber sehr erzürnt war. Wenn die nun hört, dass ihre Idole bald alle von China aufgekauft und dadurch die wenigen Konzerte in Deutschland noch teurer werden, dürfte das die Stimmung nicht eben chinafreundlicher gestalten. Und das, wo China momentan schon genug schlechte Presse wegen der Ereignisse in Tibet hat.

"Kann sein", sagt Herr Dong, "aber so ist nun mal die freie Marktwirtschaft: Angebot und Nachfrage. Bei uns können die alten Volksmusikstars noch mal richtig Kohle machen. Dieser Heino kriegt doch in Deutschland gar nicht mehr die Hallen voll." Unser Einwand, ob das nicht für das kulturelle Weltklima eine Katastrophe sei, beeindruckt Herrn Dong nicht. "Ach, Ihr Deutschen jammert jetzt rum, aber wir wollen doch auch nur ein klein bisschen deutsche Gemütlichkeit."

Als wir zum Abschied fragen, welche Dinge China wohl noch vom deutschen Markt wegkaufen und damit dort verteuern wird, blättert Herr Dong aufreizend lässig in seiner Konsumstudie. "Da gibts noch einiges, aber ich kann sie beruhigen: keine deutschen Schäferhunde, wir werden auch so satt." Ein Witz, noch billiger als die Wackeldackel, die demnächst in der Fabrik von Herrn Li vom Band laufen.

GUNNAR LEUE

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