Kabarettist Reinald Grebe über 68: "Massenkompatibel werd ich nie"
In seinem neuen Programm katapultiert der Kabarettist Rainald Grebe sein Publikum ins Jahr 1968 - und stellt sich vor, wie Janis Joplin mit einer Energiesparlampe zurecht käme.
taz: Herr Grebe, in Ihrem aktuellen Programm "1968" singen Sie: "Die 68er sind an allem schuld". Mögen Sie diese Zeit nicht?
1971 geboren, wächst er in Köln-Frechen auf. Mit seiner Schüler-Comedy-Truppe feiert er frühe Erfolge und wird von Thomas Hermanns für den Hamburger Quatsch Comedy Club entdeckt. Der Zivildienstleistende pendelt zwischen Nervenheilanstalt und Bühne, dann ruft ihn der Osten. Anfang der 90er versucht er sich in Berlin als Straßenkünstler, reist nach Magdeburg und Bulgarien und studiert Russisch.
Von 1993 bis 1997 studiert er Puppenspiel an der Ernst-Busch-Schauspielschule. 2000 geht er mit einigen Kommilitonen ans Jenaer Theaterhaus. Neben seiner Arbeit als Regisseur und Schauspieler tritt er immer wieder als Kabarettsolist auf.
Im Jahr 2005 zieht er zurück nach Berlin und gründet die Band "Kapelle der Versöhnung". Mit seinen boshaft-melancholischen Klavier-"Hymnen" auf Brandenburg, Thüringen und Mecklenburg ("Wortkarger Wolfram") wird Grebe zum Publikumsliebling.
Nach "Volksmusik" (2007) drehen Grebe und die Kapelle jetzt die 68er durch den Comedy-Wolf: Das Programm "1968" läuft noch bis 6. April sowie vom 19. Mai bis 10. Juni im Tipi. www.tipi-das-zelt.de
Rainald Grebe: Im Gegenteil, heute wird so viel auf denen rumgeklopft, dass ich es schön finde, es auch mal wieder positiv zu sehen. Und dann ist da noch dieser Neid, den die immer bei mir erzeugt haben: Die haben etwas gerissen - und ich nicht. Das hat sich bei mir im Hinterkopf festgesetzt.
War dieser Neid das Motiv, die 68er in Ihrem neuen Programm mal so richtig in die Pfanne zu hauen?
Das mache ich doch gar nicht. Natürlich ging es mir auch um das Jubiläum; ich wollte etwas machen, bei dem keine historischen Kenntnisse vorausgesetzt werden müssen. Ich bin Jahrgang 1971, ich kenne die Zeit ja selbst nicht, und musste mir das alles anlesen. Mir ging es darum, die Themen dieser Zeit in Bezug zu heute zu setzen, Zeitsprünge zu machen. So taucht dann etwa Janis Joplin mit der Energiesparlampe auf.
Die so genannten Helden der linken Szene sind in Ihren Texten meist zu Revolutionskitsch verkommen: Andreas Baader ist Onaniervorlage für Germanistinnen, es gibt Che Guevara-Aschenbecher. Ihre Helden waren das offenbar nicht.
Sagen wir mal so: Wenn ich Rudi Dutschke reden höre, verstehe ich den gar nicht, wie vieles von den 68ern. Anders als meine Freunde aus dem Osten - die sind mit Marxismus-Leninismus großgeworden. Ich denke dann immer: Was verstehe ich da wieder nicht? Die Revolutionierung der Revolutionäre und fünf Fremdworte in einem Satz - diese Kaderkunde ist mir vollkommen fremd.
Sie hatten nie eine jungmarxistische Phase, in der Sie sich das "Kapital" von Karl Marx aus der Stadtbibliothek ausgeliehen haben?
Nee, hatte ich nicht. Die aus den Klassen über mir, bei denen gab es das noch, die waren so ... bewegt, Wackersdorf war das große Thema. Wir hatten noch einen in unserer Klasse, der Anschläge auf McDonald's gemacht hat, aber der galt schon als Verrückter. Meine Klassenkameraden wollten schnell fertig werden, BWL oder Jura studieren, was eben Geld bringt, ganz freudlos. Ich hing irgendwie dazwischen.
Sie sagen immer wieder, Sie haben keine politische Haltung.
Ja, ich könnte mich in der Parteienlandschaft schwer verorten und denke eher: Warum gehe ich überhaupt noch zur Wahl? Ich lese Zeitung auch nur im Internet, surfe da rum und sauge das auf. Aber es fällt mir bei diesen großen Themen schwer, eine Haltung zu beziehen. Ich weiß dazu zu wenig.
Dennoch trauern Sie - verkleidet als "Bild"-Chef Kai Diekmann - Zeiten hinterher, als "Bürgermeister noch hetero" waren. Das ist doch eine Haltung.
Der Werteverfall, die Selbstverwirklichung - diesen lausigen Anti-68-Tenor kann ich nicht ernst nehmen. Will ich auch nicht. Es gab ja gute Gründe, einiges wegzusprengen. Mir geht es darum, die Themen von damals in Bezug zu heute zu setzen: Recourcenschonung, Klimawandel - wenn heute Janis Joplin davon reden würde! Oder nehmen Sie "Nachhaltigkeit": Damals hieß es "die young" und: "Man kann schlafen, wenn man tot ist." 20-Jährige von heute reden ganz anders, die sind schon so straight drauf.
Trotzdem, Sie sind nicht immer nur ironisch: In Ihrem Song "Guido Knopp" haben Sie recht vehement gegen den TV-Historiker Stellung bezogen.
Damals hatte ich noch einen Fernseher. Dieses Historytainment, das mag ich nicht. Ich war mal in Großbritannien, da lief Guido Knopp im Fernsehen - der verkauft unser Bild nach Australien, in die ganze Welt, der hat ein Monopol!
Was regt Sie daran auf?
Allein diese Hitler-Vermarktung. Da werden Szenen nachgestellt, eine Hand kommt ins Bild, wie bei Aktenzeichen XY. Und alles wird vereinfacht. Fünf Minuten stehen für ein Jahr, die Bilder sind immer die gleichen: So, liebe Kinder, da stehen so ein paar nackte Männer und Frauen an der Wand, daneben ein Kind, das ist 1968. Mehr müsst ihr darüber nicht wissen. Wenn es um 1945 geht, sieht man den Führerbunker und einen GI mit Kaugummi.
Haben Sie deshalb den Fernseher abgeschafft?
Nein, ich bin fernsehsüchtig. Wenn ich einen habe, dann schaue ich ununterbrochen.
Sie rauchen auch sehr viel - Sie sind wohl eher ein Suchttyp?
Ja. Jetzt surfe ich halt im Internet. Irgendwas ist immer.
In der verknappten Wahrnehmung der Spätgeborenen steht Berlin für die deutsche 68er-Revolte. Geht Ihnen das auch so?
In der Verknappung sehe ich in San Francisco die Rock'n Roller stehen - und in Berlin die Dutschkes, diese Feuerköpfe mit ihren Büchertaschen, die alles so ernst nehmen. Von denen gab es 1990/1991 auch noch viele, als ich hierher kam.
Warum sind Sie denn damals nach Berlin gekommen?
Ich wollte vor allem in den kaputten Osten, Neuland entdecken. Da bot sich Berlin halt an. Bloß weit weg von Köln, wo ich herkomme. Ich weiß noch, ganz am Anfang, 1990, war ich mal in Magdeburg. Und mitten auf dem grau-braunen Bahnhofsvorplatz stand ein leuchtender EC-Automat und auf der anderen Seite leuchtende Bierwerbung. Ich fand: Die fangen neu an, ich fange auch neu an.
Wie sah Ihr Anfang im Neuland Berlin aus?
Ernüchternd: Ich war einen Tag lang Straßenkünstler. Auf dem Ku'damm vor der Gedächtniskirche habe ich Reliquien verkauft. Versiffte Eierschneider und was man auf der Straße halt so findet. Als Wunderheiler bin ich da aufgetreten. Ich habe sogar extra auf Karten dazu geschrieben, wogegen die Reliquien helfen, und Gedichte von mir kopiert. Das Dumme war nur: Die Leute wollten die Geschichten gerne hören, nur kaufen wollten sie nichts. Dabei hatte ich mir das so toll vorgestellt! Ich dachte, ich kann damit in Serie gehen und davon leben. Mit dem Geld wollte ich mir einen VW-Bulli kaufen und durch Deutschland ziehen.
Das hatten Sie doch überhaupt nicht mehr nötig - Sie waren doch bereits als Abiturient von dem Comedian Thomas Hermanns entdeckt worden!
Ja, bei einem Talentwettbewerb in Köln mit meiner Schülercombo Harakiri Eleyson. Fürchterlicher Name. Wir machten Kabarett mit Musik, eigentlich wie heute. Thomas Hermanns kam da an mit seinem Köfferchen und holte einen Vertrag raus. Er gründete gerade den Quatsch Comedy Club in Hamburg, eine Bühne für Comedians. Dafür suchte er Solisten. Das machte ich drei Jahre. Als dann das Fernsehen einstieg, hätte ich sehr schnell Geld und Karriere machen können. Aber ich wollte nicht in meiner eigenen Suppe kochen, ich wollte etwas lernen.
Was denn?
Zuerst habe ich ein Jahr lang Russisch studiert, der Osten hat mich einfach fasziniert. Ich hatte damals auch mit einem Bulgaren zusammengewohnt, mit dem bin ich oft in seine Heimat gefahren. Früher war das ja alles Ostblock - und auf einmal waren da so viele einzelne Länder. Und mit Russisch konnte man sich diese Kulturen erschließen. Das fand ich toll. An der Uni waren drei Russenmuttis, die uns ihre Sprache beigebracht haben. In unseren Abrissbuden haben wir Pelmeni gekocht und Wodka getrunken. Dann ging das Hauptstudium los: Ein Riesenhörsaal, vorne steht ein Typ und erzählt was über Stabreime - das war so unpersönlich. Ich bin ich einen Tag hingegangen und wusste: Der Zauber ist weg.
Den haben Sie dann ausgerechnet beim Puppenspiel-Studium wieder entdeckt?
Zufällig drückte mir ein Freund einen Wisch der Ernst-Busch-Schauspielschule in die Hand. Das Fach Puppenspiel klang nach einer Mischung aus Jahrmarkt, Zigeunertum und Hochschulstudium. Eine Art Universaldilettantentum. Das habe ich danach mit Studienkollegen am Theaterhaus Jena praktiziert: Klassisches Theater und Puppenspiel.
Jena, Magdeburg -in Ihren drei bekanntesten Liedern besingen Sie Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg. Fällt Ihnen zum Westen der Republik nichts ein?
Es würde mir schwer fallen, ein Lied über NRW zu schreiben oder über Köln. Ich hab da keinen Bezug mehr zu. Aber Jena fand ich toll. Als ich zurück nach Berlin zog, wollte ich eigentlich eine Berlin-Hymne schreiben...
...aus der dann eine Brandenburg-Hymne wurde, in der es heißt: "Es gibt Länder, in denen richtig was los ist. Und es gibt Brandenburg." Wenn Berlin in Ihren Liedern mal direkt vorkommt, etwa in "Castingallee" über die Kastanienallee in Prenzlauer Berg, klingt das, als fänden Sie Berlin doof.
Irgendwie mag ich es schon. Dieses Krude, dass man sich hier nicht begreift, dass immer alles so viel ist. Aber ich kann einfach nicht sagen: Ich bin hier in Berlin! Total geil, Berlin! Ich habe immer nah der Grenze gewohnt, mal im Wedding, mal weiter unten, immer an der Umbruchstelle. Um die Kapelle der Versöhnung rum.
Daher auch der Name Ihrer Band?
Ja, ich bewege mich hier seit zehn Jahren, aber es ist mittlerweile alles sehr schick und renoviert. Neulich habe ich mich mit einem Freund gestritten, der sich gefreut hat, dass endlich mal die ganzen Freiflächen wegkommen. Das mochte ich gerade, diese komischen Plätze, nicht überall Einfamilienhäuser. Ein anderer Freund ist jetzt nach Rügen gezogen. In ein ausgebautes Bauernhaus. Ich kann das nicht: Irgendwie ist es doch schön, keinen wirklichen Ort zu haben.
Aber Sie wohnen immerhin seit 16 Jahren in Berlin.
Ja, aber richtig heimisch bin ich hier nicht. Ich bin ja fast nur weg. Immerhin darf ich jetzt hier arbeiten, das macht schon was aus.
Sie singen: "Alle wollen nach Berlin, ich auch, ich auch." Sind Sie nun endlich im Mainstream angekommen?
Ja, wo sollte ich auch sonst hin? Es ist doch auch schön, endlich mal irgendwo dazu zu gehören, irgendwo dabei gewesen zu sein. Ich war nicht auf der Love Parade, ich hab die im Fernsehen gesehen.
Aber jetzt sind Sie Teil des Comedy-Booms
Ja, stimmt, jetzt bin ich voll drin.
Aber so ganz glücklich wirken Sie dabei auch nicht.
Nee. Das liegt am "Katzeklo"-Effekt: Wie bei meinem Kollegen Helge Schneider wollen alle nur noch den Hit hören. Früher dachte ich: Ich komm auf die Bühne und mach was Neues, das Publikum ist überrascht. Jetzt kennen die Zuschauer vieles aus dem Radio, fordern bestimmte Lieder und singen mit. Das ist Gift. Im Theater ist das undenkbar: "Mach doch nochmal deinen Faust-Monolog!"
Aber Ihr letztes Programm hieß doch "Volksmusik". Gehört denn da Mitschunkeln nicht dazu?
Für mich ist Popmusik heute Volksmusik, Sätze wie "Wir sind gekommen, um zu bleiben" von Wir sind Helden hat man dauernd im Ohr, das sind Lutschformeln: Große Situationen, in einfachen Texten beschrieben, Lieder für einen zersplitterten Alltag. Trotzdem: So richtig massenkompatibel, dass es für "Wetten dass..?", Bild-Zeitung und Kai Diekmann taugt, werd ich wohl nie.
INTERVIEW: NINA APIN & ANNE HAEMING
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!