Tennisprofi Gremelmayr bei den Barcelona Open: Wanderarbeiters Traum

Denis Gremelmayr spielt in Barcelona das wohl beste Turnier seines Lebens und geht doch als der schlechteste Halbfinalist aller Zeiten in die Geschichte der Sandplatzveranstaltung ein.

Das Halbfinale spielen zu dürfen war eine Erfüllung für ihn. : dpa

BARCELONA taz Vor seinem ersten Aufschlag schaut Denis Gremelmayr zur prallen Sonne hinauf. Er will sicherstellen, dass die Strahlen ihn nicht blenden, wenn er sich gleich mächtig ins Kreuz legt und ausholt. Er ist Profi und er weiß, Details entscheiden. Er kann nicht wissen, dass an diesem Samstagnachmittag der Einfluss des Sonnenlichts auf Sieg oder Niederlage eher gering sein wird.

Denis Gremelmayr, 26, aus Lampertheim, hat am Samstag Geschichte geschrieben bei den Barcelona Open, der fünftgrößten Sandplatzveranstaltung im Tenniskalender. Er war Teil des "einseitigsten Halbfinals in den 55 Jahren des Turniers", wie das Sportblatt El Mundo Deportivo notierte. Er hatte 1:6, 0:6 verloren, war demoliert worden in nur 50 Minuten vom Zweiten der Weltrangliste, dem Spanier Rafael Nadal. "Glücklich kann ich jetzt nicht sein, klar", sagte Gremelmayr, als er später im Klubheim saß und leicht zu sehen war: Unglücklich konnte er jetzt auch nicht sein.

Ein 1:6, 0:6 als größten Tag der Karriere zu bezeichnen ist schwierig. Im Fall von Gremelmayr ist es wohl dennoch korrekt. Das Halbfinale spielen zu dürfen war eine Erfüllung für ihn. Er hat in der Woche in Barcelona die große Sehnsucht so vieler aus dem großen Heer der Tennis-Wanderarbeiter gestillt: einmal, nur einmal ein ganzes Turnier am oberen Rand der Möglichkeiten spielen und sehen, wie weit man kommt. Alle in der Weltrangliste zwischen Platz 50 und 200 sind exzellente Spieler, die irgendwann ein Spiel oder auch nur einen Satz hinlegen, nach dem sie denken: Mensch, wenn ich das nur einmal konstant zeigen könnte! Gremelmayr, Nummer 85 der Welt, der seit 1999 viel auf der Challenger-Tournee, der zweiten Turnierreihe, herumtrottet, schlug in Barcelona nacheinander James Blake, die Nummer 8 der Welt, Dimitri Tursunov, Nummer 32, und Nicolas Almagro, Nummer 22. Die 5.000 Zuschauer im Halbfinale hatten nicht vergessen, wo Gremelmayr herkommt. Als er im zweiten Satz irgendwann überhaupt keinen Punkt mehr machte, applaudierten sie ihm. Zur Aufmunterung, als Anerkennung.

"Er hat heute nicht seinen Tag gehabt", sagte Nadal über seinen Gegner, "aber Vorsicht - deswegen muss man ihn nicht schlachten, er hat vorher auf der Südamerikatournee respektable Resultate erzielt." Gremelmayr hörte es gerne, musste allerdings korrigieren: "Ich war gar nicht in Südamerika!" Die ATP, der Organisator der Profitour, hatte eine Biografie voller Fehler von ihm in Umlauf gebracht. Gremelmayr war alles andere als unzufrieden mit den Phantomspielen, die sich plötzlich in seinem Lebenslauf fanden: "Gute Ergebnisse haben sie mir da zugeschrieben." Die Anekdote verdeutlichte, aus welcher Anonymität er in Barcelona auftauchte: wenn selbst der allwissende Computer seine Ergebnisse nicht kannte.

Wie bei den meisten Tennis-Wanderarbeitern schreibt sich seine Geschichte im Konjunktiv: Was könnte sein, wenn … Wenn er nicht so oft verletzt wäre zum Beispiel, Sehnenanriss, Bandscheibe, "nach vier, fünf Turnieren hat es mich eigentlich immer erwischt". Dazwischen reiste er um die Welt und brachte, wie noch vor einem Monat in Saint-Brieuc, manchmal 310 Dollar Preisgeld nach Hause. Er hat einen Sponsor, "sonst ist es fast unmöglich, die Reisen zu finanzieren - durchzuhalten".

Nun wird er am heutigen Montag auf der Weltrangliste um Platz 60 stehen, so hoch wie nie zuvor. Schon im Turnier vor Barcelona, in Estoril, erreichte er das Halbfinale, da verlor er gegen den Weltbesten Roger Federer, dem er sogar einen Satz abknöpfte. Auf einmal öffnet sich eine Welt: Er verdient Geld, 37.700 Euro allein in Barcelona. Für alle Grand-Slam-Turniere des Jahres qualifiziert ihn nun sein Ranglistenplatz. Er hat geschafft, was so viele exzellente Tennisspieler eine Karriere lang vergeblich suchen: den Konjunktiv hinter sich zu lassen; einmal das, "was wäre, wenn" in ein "das kann ich also" verwandeln.

Als Denis Gremelmayr nach dem 1:6, 0:6 noch einmal zur prallen Sonne hinaufblickt, kommt von oben, von den Tribünen, noch einmal der herzliche Applaus der 5.000. Er grüßt mit erhobener Hand zurück. Er sieht wie ein Sieger aus.

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