Begeisterung beim Giro d'Italia: Über Doping wird hinweg gesehen

Der Giro d'Italia gerät zum Triumphzug für den Radsport. Die Medien in Italien feiern die Erfolge einheimischer Profis. Das Thema Doping ist tabu.

Esel oder rosa Schafe an der Radstrecke sollen dem italienischen Team Beine machen. Bild: ap

Hält in Deutschland die Mehrheit der Ullrich-Enttäuschten Profiradsport nur noch für ein rollendes Pharmazielabor, so ist im Land von Marco Pantani die Begeisterung für diesen Sport ungebrochen. Im Etappenort San Vincenzo wies der rosa gekleidete Einheizer der Massen auf der Giro-Bühne zwar auf die extremen Windungen der Karriere des Klettergottes hin, zum Schluss aber fragte er rhetorisch: "Wir lieben ihn doch alle?" Ein lautes, langes, aus tiefstem Herzen kommendes und über die lange Zielgerade in den Himmel schießendes "Siiiiiiii!" war die Antwort. In Deutschland wäre die Antwort, wahlweise gemünzt auf Jan Ullrich oder die gesamten Telekom-Buben, sicherlich nicht von so homogener Begeisterung getragen gewesen.

Doch der rosa Kurs sorgt auch für eine rosa Perspektive. Junge fesche Städterinnen hüllen sich in rosa Kleidungsstücke, Kinder sind vom bunten Zirkus ohnehin begeistert. Selbst alte Männer mit zerfurchten Gesichtern hüllen sich in rosa Fummel. Dass dies für Beobachter von außen mit ihrer traditionell homophoben Einstellung kollidiert, scheint die Alten nicht zu stören. Auf den Hängen entlang der Straße sieht man sogar Schafe, deren Wolle vom Besitzer rosa getönt ist. "Die sind alle di Luca", sagt der Schäfer Donato. Der Landmann aus den Abruzzen hält den ebenfalls aus dieser Gegend stammenden Rennfahrer keinesfalls für ein Schaf. Er will ihn mit seiner Aktion ehren.

Die Gazzetta dello Sport kann das auf diese Art schon nicht mehr tun. Herausgegeben vom Mischkonzern RCS, der auch den Giro organisiert, erscheint sie seit Jahrzehnten in Rosa. Auf ihren Seiten hat der Giro inzwischen die normale Radsportpräsenz von einer Seite verzehnfacht. Die Storys, die da zu lesen sind, feiern vor allem die einheimischen Fahrer. Zum Teil zu Recht. Die italienischen Rennfahrer dominieren bislang den Kurs. Daniele Bennati, ein Cipollini-Schüler, ist mit zwei Siegen und einem dritten Platz das Maß der Sprinter. Blondschopf Franco Pellizotti und Giovanni Visconti haben sich das rosa Trikot überstreifen können. Den Sieg im Einzelzeitfahren über 39,4 Kilometer sicherte sich am Dienstag Marzio Bruseghin. Titelverteidiger Danilo di Luca bestimmt mit seinem auf dem Papier zweitklassigen Team LPR die Pace im Peloton. Der "Killer" aus den Abruzzen greift sogar regelmäßig selbst an. Seinen Meister bei den Bergsprints findet er allerdings im Jungstar Riccardo Ricco, der schon zu zwei Etappensiegen eilte. Außerdem ist da noch die Tragikomödie des Paolo Bettini, der zwar bei WM und Olympia gewinnen kann, bei diesem Giro trotz aller Versuche aber immer einen Jüngeren vor der Nase hat.

Die ausländische Konkurrenz kommt nur bei Etappenerfolgen ins Blatt. Die famose Leistung des jungen Gerolsteiners Matthias Ruß, der seit Tagen auf Platz zwei im Gesamtklassement lauert, wird kaum gewürdigt. Ausnahme dieser nationalstolzen Berichterstattung ist allein das Astana-Team. Da ging es unter anderem um den formstarken Andreas Klöden, der sich in der Gazetta dello Sport über die Berichterstattung deutscher Medien beschwert hat und mit den Worten zitiert wurde, er wolle nicht mehr für Deutschland starten. Das hat er inzwischen dementiert und wird zur Kenntnis genommen haben, dass der deutsche Verband durchaus mit ihm plant. Vor allem aber Alberto Contador ist immer wieder ein Thema. Aufgrund seiner sehr ordentlichen Form - im Rennen gegen die Uhr von Pesaro nach Urbino wurde er Zweiter - wird daran gezweifelt, dass er sich tatsächlich im Urlaub am Meer befunden hat, als ihn der Ruf zum Giro ereilte. Contador hat zum Beweis der Richtigkeit seiner Aussage für Fotografen sogar schon das Trikot gelüftet und eine für Radrennfahrer ungewöhnliche Bauchbräune gezeigt.

Hinweise auf den noch immer vorhandenen Dopingschatten dieses Sports fehlen derweil fast völlig. Fast alleiniger Aufrechter in diesem Sinne ist der Radsportexperte der römischen Repubblica. Eugenio Capodacqua, selbst ein sehr ehrgeiziger Amateurradsportler, listet immer wieder die schwarzen Flecken der Kombattanten auf: di Lucas Verwicklung in die Affäre "Oil for Drug", Riccos Lizenz zum Blutverdicken (die UCI erlaubt dem jungen Mann wegen eines natürlich hohen Eisengehalts des Bluts einen Hämatokritwert von 51 Prozent statt wie üblich 50 Prozent) oder auch den hohen Salbutamolkonsum von dessen Edelhelfer Leonardi Piepoli. Capodacqua hat auch bei Matteo Priamo, einem Teamgefährten des wegen Stanozolol-Dopings aussortierten Argentiniers Ariel Richeze, bei dessen Tagessieger-Pressekonferenz nachgefragt, wie das CSF-Team mit dem Fall umgehe. "Als Freund und Teamgefährte möchte ich glauben, dass es sich um eine nicht deklarierte Verunreinigung eines Nahrungsergänzungsmittels handelt", sagte Priamo treuherzig.

Capodacqua ist einer der wenigen Italiener, der im Giro-Zirkus noch nach dem Halt sucht, den Wahrheit manchmal bieten kann. Weil dem so ist, hat Danilo di Luca auf einer Pressekonferenz erklärt, dem Journalisten in den nächsten Wochen keine einzige Frage zu beantworten. Der Aufschrei der Kollegen angesichts dieses Affronts war nur ein maues Murren.

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