Rationierungen beim Ärzt: Am Quartalsende ist die Praxis dicht

Ärzte reden Klartext: Behandlungen werden jetzt schon rationiert. Nicht jeder bekommt die notwendige Therapie. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt widerspricht.

Wenn das Ärztebudget am Quartalsende überzogen ist, stehen sie auch schon mal ohne Medizin da. Bild: dpa

BERLIN taz Gefühlt hat es jeder, aber nun ist es heraus: Nicht jeder Patient erhält die medizinische Behandlung von seinem Arzt, die er bräuchte. "Rationierung findet statt", steht schwarz auf weiß in der Ulmer Erklärung, den gesundheitspolitischen Leitsätzen, welche die deutsche Ärzteschaft auf ihrem alljährlichen Deutschlandtreffen verabschiedete. Der 111. Deutsche Ärztetag ging am Freitag in Ulm zu Ende.

In der Erklärung heißt es, notwendige medizinische Versorgung könne heute nicht mehr allen Menschen zur Verfügung gestellt werden. Auch mangele es an Zeit für ein aufklärendes Gespräch und an ärztlicher Zuwendung.

Die Ursache für die neue Zuteilungsmedizin sieht die Ärzteschaft in einer dramatischen Unterfinanzierung des Gesundheitssystems. Der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, bezifferte die Lücke zwischen Ausgaben und Einnahmen auf 20 Prozent. Das entspräche etwa 30 Milliarden Euro. Dieses Minus könne nicht allein durch Umverteilungen im System wettgemacht werden. Die Ausgaben, also medizinische Leistungen müssten gekürzt werden. Die Ärzteschaft schlägt einen Rat der Weisen vor, der ihnen die Entscheidung über Einschnitte abnimmt.

Einen Fehlbetrag in der gesetzlichen Krankenversicherung hat auch das privatwirtschaftliche Iges-Institut errechnet. Allerdings ist das Minus in der Bilanz nicht ganz so gewaltig, wie von den Ärzten beziffert. In den Arztpraxen fehlten insgesamt mindestens 2,5 Milliarden Euro, die Krankenhäuser bräuchten etwa die gleiche Summe, um ihre nötigsten Investitionen zu tätigen, rechnet Torsten Fürstenberg, beim Iges für Vergütungsfragen zuständig, vor. Noch nicht eingerechnet wären etliche Milliarden Euro für die tariflich ausgehandelten Gehaltssteigerungen. "Diese Unterfinanzierung führt zu indirekter Rationierung", bestätigt Fürstenberg. Medizinische Behandlungen würden den Patienten zwar nicht vorenthalten, aber verzögert oder verschoben.

Viele Praxen schließen etwa zwei Wochen vor Ende des Quartals, die Patienten müssen sich bis zum Beginn des nächsten Monats gedulden. Grund ist, dass die Ärzte nur eine bestimmte Anzahl von Leistungen pro Quartal abrechnen dürfen. Behandeln sie über diese Grenze hinaus, sinkt ihre Vergütung. Auch Patientenberater berichten aus ihren täglichen Gesprächen mit Ratsuchenden, dass Ärzte Augentropfen oder Physiotherapien nicht mehr verschrieben - mit Verweis darauf, dass ihr Budget ausgeschöpft sei.

Im Gesundheitsministerium streitet man dies ab. Unterfinanzierung gebe es nur aus Sicht der Ärzte, die für sich mehr Geld wollten, sagt ein Sprecher. Rationierung finde nicht statt, denn das sei ja gegen die Vorschrift: "Im Gesetz steht eindeutig, dass alle Patienten Anspruch auf medizinisch notwendige Behandlungen haben." SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach schlägt eine Umverteilungen innerhalb der Ärzteschaft vor.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.