Bildungsreformen - aber richtig: Leistung statt Habitus

Bildungsreformen in Deutschland sollten unterschiedlichen Prinzipien folgen: Bei Schulen brauchen Gleichwertigkeit - Unis verschiedene "signalfähige" Typen.

Die "Exzellenzinitiative", in der ausgewählte Hochschulen fast 1,9 Milliarden Euro über mehrere Jahre verteilt erhalten, ist Beispiel für den Paradigmenwechsel in Deutschland. Bild: ap

Die deutsche Hochschullandschaft befindet sich in einer Phase intensiver Veränderungen. In den 1970er Jahren zielten die Bildungsreformen darauf, die Chancengleichheit zu erhöhen und bildungsferne Schichten an die Hochschulen zu holen. Heute geht es eher um die effiziente Verteilung öffentlicher Mittel.

Die "Exzellenzinitiative", in der ausgewählte Hochschulen fast 1,9 Milliarden Euro über mehrere Jahre verteilt erhalten, ist ein Beispiel für den Paradigmenwechsel. Durch sie wandte sich die Regierungspolitik erstmals vom Leitbild der Gleichwertigkeit der Unis ab - hin zu einer Ausdifferenzierung mit "Elite"-Universitäten an der Spitze.

Es gab viel Lob, aber auch Kritik an der Exzellenzinitiative. Am schärfsten war die Kritik daran, dass die Ausdifferenzierung der Hochschullandschaft eine Elitisierung des Zugangs zu Bildung zur Folge habe. Dazu möchte ich eine Gegenthese aufstellen: Die Ausdifferenzierung der Hochschullandschaft kann langfristig zu einer Verbesserung der Leistungsgerechtigkeit des deutschen Bildungs- und Beschäftigungssystems führen. Dies stärkt auch die Dimension der sozialen Gerechtigkeit - denn der Zugang zu Beschäftigung erfolgt dann nach Leistungskriterien und nicht mehr über private Netzwerke oder den "Habitus".

In der Debatte um die Exzellenzinitiative bleiben die Schnittstellen zwischen Hochschul- und Schulsystem oft unbeachtet. Die Pisa-Studien haben aber gezeigt, dass Deutschland im Vergleich zu anderen OECD-Ländern ein besonders starkes Maß an sozialer Stratifizierung aufweist. Anstatt Klassenunterschiede abzubauen, verstärkt es sie. Die berufliche Ausbildung war für Jugendliche mit schwächeren Bildungsqualifikationen lange Zeit eine Alternative, kann aber die Schwächen des allgemeinen Bildungssystems nicht mehr kompensieren - wie die zunehmende Zahl der Jugendlichen in Warteschleifen zeigt.

Es darf aber nicht der Fehlschluss gezogen werden, dass in allen Bildungssektoren die gleichen Reformprinzipien angewendet werden sollen. Die Überwindung und Abschaffung des gegliederten Schulwesens ist längst überfällig. Hier muss das Leitbild der Ungleichheit der Abschlüsse durch das neue Paradigma der Gleichwertigkeit und Durchlässigkeit abgelöst werden. Im Hochschulsystem aber sollte Gleichwertigkeit nicht unbedingt das Ziel sein. Hier ist es wichtig, die "Signale" zur Kenntnis zu nehmen, die von einer differenzierten Hochschullandschaft an den Arbeitsmarkt gesendet werden.

Im US-amerikanische Hochschulsystem besteht beispielsweise ein effektiver und hochtransparenter Signalmechanismus, der eine eindeutige Hierarchie der Hochschulen begründet. Für Unternehmen ist das eigentliche Studienfach zweitrangig im Vergleich zum Prestige der besuchten Hochschule.

In der deutschen Hochschulbildung ist die Entwicklung anders. Vor der Bildungsexpansion der 1970er Jahre war der Signaleffekt des Erreichens eines Universitätsabschlusses groß genug. Nach der Bildungsexpansion verwässerte der Signaleffekt eines Uni-Abschlusses zunehmend. Ein Examen, selbst mit einer guten Note, ist nicht mehr ausreichend, sich im Wettbewerb um gute Arbeitsplätze oder Elitenpositionen durchzusetzen. Wenn das Bildungssystem aber keine eindeutigen Signale aussendet, ist die Gefahr groß, dass Unternehmen sich bei der Einstellung auf sekundäre Kriterien verlassen. Michael Hartmann hat in seinen Studien zu deutschen Wirtschaftseliten festgestellt, dass sich der Zugang eben nicht an tatsächlich erbrachten Leistungen oder Qualifikationsvoraussetzungen orientiert, sondern sehr stark an "weichen" Faktoren wie "Habitus", unterschwellig kommunizierten Benimmcodes oder persönlichen Netzwerken. Das macht es "Aufsteigern" aus unteren Schichten schwer, den Zugang zu Wirtschaftseliten zu bekommen.

Eine Uni-Reform müsste also drei Voraussetzung erfüllen.

Erstens muss sie zusammengehen mit einer Reform des Sekundarschulwesens. Nur wenn der Zugang zu Hochschulen weiter geöffnet wird, kann das Hochschulwesen zum zentralen Mechanismus des sozialen Aufstiegs werden. Konkrete Maßnahmen wären zum Beispiel die Abschaffung der Hauptschule oder die Verbesserung der Durchlässigkeit zwischen beruflicher und Hochschulbildung.

Zweitens muss das Hochschulsystem weiter im Kern allgemein zugänglich und öffentlich bleiben. Wenn die öffentlichen Hochschulen im Wettbewerb der Bildungsinstitutionen von privaten verdrängt werden, birgt das die Gefahr, dass der Zugang zu Bildungs- und Wirtschaftselite weiter geschlossen wird. Daher muss es um die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der öffentlichen Unis gehen.

Drittens sind Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik weiter gefordert, grobe soziale Ungleichheiten zu vermeiden. Dabei ist zunächst zu beachten, dass der Kurzschluss, eine Ausdifferenzierung der Bildungsmöglichkeiten führe zu einer Ausdifferenzierung der Beschäftigungsformen, einfach falsch ist. Natürlich gibt es in Deutschland heute schon ausgeprägte Ungleichheiten im Zugang zur Beschäftigung. Eine Ausdifferenzierung der Hochschulbildung an sich verschärft diese Ungleichheiten nicht, sondern führt im Idealfall dazu, dass die Zugänge zu Beschäftigung sich am Bildungssystem orientieren - und nicht an den sekundären Kriterien.

Wer den Schritt der Differenzierung von Hochschulen nicht tut, geht ein nicht geringes Risiko ein: Diejenigen gutsituierten Schichten, die die hohen Kosten für Studiengebühren und Lebenshaltung in Oxford, Zürich oder Boston tragen können, werden ihre Kinder lieber dorthin als an deutsche Massenunis schicken - was wiederum ein starkes Signal an Arbeitgeber aussendet. Ein undifferenziertes Hochschulsystem mag damit zwar dem Leitbild der Gleichheit der Unis gerecht werden; das nützt jedoch nicht viel, wenn die Abschlüsse alle gleich wertlos sind und die attraktiven Arbeitsplätze den Absolventen ausländischer Spitzenunis vorbehalten sind.

Die Schaffung von hochwertigen und international wettbewerbsfähigen Universitäten in Deutschland, die in einem öffentlichen Bildungssystem immer auch ein Eingreifen der Politik erfordert, könnte den Abwanderungsdruck mindern.

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