Kolumne Einen Versuch legen: Apfelpo und Aggressionspotenzial

Manchmal muss man feststellen, dass Unsportlichkeit aus Überzeugung erst zum Problem wird, wenn man Kinder bekommen hat.

Es gibt nichts zu beschönigen. Ich, Luci van Org, bin hoffnungslos und unwiederbringlich unsportlich. Nach unzähligen Jahren teuren Karteileichendaseins in Fitnessstudios, Badmintonclubs und Yogaschulen kann ich mir da nicht einmal mehr selbst etwas vormachen. Schon während meiner Schulzeit hatte ich vor den Bundesjugendspielen größere Angst als vor den Abiturklausuren. Und heute genügt ein dreiminütiger Jogging-Versuch, um mich mit einer bösartigen Schleimbeutelentzündung am Knie wochenlang lahmzulegen.

Wenigstens schaffe ich es seit einigen Jahren relativ konsequent, eine asiatische Kampfkunst zu betreiben. Was aber vor allem daran liegt, dass diese Kampfkunst zum Ziel hat, jede auch nur im Ansatz überflüssige Bewegung zu vermeiden. Und an meinem etwas ausufernden Aggressionspotenzial, das ich aufgrund der aktuellen Gesetzeslage in legale Bahnen lenken muss. Doch abgesehen von meinem recht häufigen Verlangen, nervigen Zeitgenossen in die Fresse zu hauen, fehlt mir leider jede Art von Bewegungsdrang.

Wenigstens habe ich daraus vor geraumer Zeit die richtigen Schlüsse gezogen: Wer es in über 30 Jahren nicht schafft, sich Kondition und Apfelpo anzutrainieren, braucht es nicht noch weitere 30 Jahre zu versuchen. Zeit, aufzugeben und sich eine gute Ausrede zuzulegen: Angesichts der Welternährungskrise ist das absichtliche Verbrennen von Kalorien ohnehin eine Todsünde. Außerdem können auch unsportliche Menschen glücklich sein, basta!

Und ich war es auch. Ehrlich!

Bis ich beschloss, ein Kind zu bekommen.

Denn mögen unsportliche Menschen noch glücklich sein können - unsportliche Mütter können es nicht. Dabei fing es gar nicht so übel an: Der gnadenlose Badeanzug-Figurenvergleich beim Babyschwimmen blieb mir erspart. Es war der einzige positive Nebeneffekt der Asthmaneigung meines Sohnes. Und beim unvermeidlichen Kinderturnen parierte ich immerhin gekonnt die hämischen Kommentare sportgestählter Mitmütter zu meinen völlig aus der Mode gekommenen Nineties-Turnschuhen: "Mit High Heels kenne ich mich besser aus. Mein Mann und ich haben nämlich noch Sex, ätsch!" Leider hielt mein Triumph nur bis zum ersten Kommando der Turnlehrerin: "Und jetzt sagen wir mit den Fingerspitzen unseren Zehen guten Tag - auuuch die Muttis!" Autsch! Mal abgesehen vom teuflischen Schmerz an meinen sportabstinenten Sehnen, schmerzt es vor allem, den eigenen Sohn feixen zu hören: "Ha, ha, du kannst es nicht! Ha, ha, du kannst es nicht!"

Hat alles auch sein Gutes, redete ich mir ein: Der Ansporn, die eigene Mutter körperlich in Rekordzeit überflügeln zu können, würde meinen Sprössling sicher genau zu dem Supersportler machen, der ich nie war. Denkste! Zwar ist mein Sohn im Gegensatz zu mir tatsächlich ein Ausbund an Bewegungsfreude. Trotzdem benötigt auch er leider von Zeit zu Zeit etwas Extramotivation.

"Mama, ich will nicht Fahrradfahren! Ich habe Angst!" - "Aber Fahrradfahren ist toll, mein Schatz! ALLE fahren Fahrrad!" - "DU auch, Mama?" Rumms! Da war er, der Todesstoß! Bis eben noch glühende Anhängerin der "Eltern sollten immer ehrlich zu ihren Kindern sein"-Fraktion, beschloss ich beschämt, meinem Nachwuchs die traurige Wahrheit zu ersparen. Die Wahrheit über Mamas Fahrrad, das seit Jahren als plattreifiges, verstaubtes Mahnmahl körperlicher Untätigkeit in der dunkelsten Ecke unseres Kellers dahinvegetiert. Weil ich nun mal einfach zu faul bin, das Auto stehenzulassen und mit Muskelkraft die eigene CO2-Bilanz schönzufrisieren.

Während ich noch fieberhaft nach einer angenehmeren Antwortvariante suchte, kam einer dieser Superfahrradväter vorbei. Presswurstig in knallbunte Fahrradfunktionskleidung gehüllt und mit seinem käferartigen Helm Kafkas schlimmstem Albtraum entstiegen. Gleich zwei Kindersitze hatte er an sein überteuertes Alugefährt geschnallt und sah mich herablassend an: "Man muss immer Vorbild sein für die Kinder", sprach sein Blick. Erwähnte ich schon meinen bisweilen fast unstillbaren Drang zu körperlicher Gewalt?

Glücklicherweise hat mein Sohn wie von Zauberhand auch ohne Mamis Vorbild Fahrradfahren gelernt. Und ich habe mich - aus Dankbarkeit, noch mal davongekommen zu sein - zum aller-aller-allerletzten Versuch durchgerungen, meinen inneren Schweinehund zu überwinden. Dieses Fitnessstudio bei mir um die Ecke bietet Mutter-Kind-Kurse an. Ganz preiswert, wenn man gleich einen Fünfjahresvertrag unterschreibt. Zwar habe ich in den nächsten Wochen wirklich keine Zeit, aber dann fange ich an. Ganz sicher …!

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