Schweizer Fußball-Depression: Chancenlos gegen das Schicksal

"Schlimmer hätte es nicht kommen können": Nach dem tragischen Ausfall von Kapitän Alexander Frei wartet Gastgeber Schweiz weiter tapfer auf die Zündung der großen nationalen EM-Euphorie.

Kein Trost nirgends: Frei muss vom Platz. Bild: ap

BASEL taz Genau 43 Minuten hat es gedauert, da hatte diese Europameisterschaft eines jener berühmten Bilder, die hängen bleiben von solchen Ereignissen. Bei der WM 2002 saß der fassungslose Oliver Kahn nach verlorenem Finale am Pfosten von Yokohama, 2006 war es Zidanes Kopfstoß, nun präsentierte die traurige Schweiz der Welt ihren weinenden Alexander Frei. Der Kapitän war gefoult worden und brach in Tränen aus.

Als der TV-Kommentator Bernhard Thurnherr, der als eine Art Marcel Reif der Schweiz gilt, das Bild des verzweifelten Spielers etwas vorschnell mit den Worten: "Das bedeutet, die EM ist für ihn vorbei", interpretierte, da schlugen die Menschen auf dem Basler Münsterplatz die Hände vors Gesicht. Manche wendeten sich entsetzt ab, blickten in den grauen Himmel oder kauten auf Fingernägeln. Plötzlich war es so still, dass die Glocken einer entfernten Kirche auf dem Festplatz zu hören waren. Thurnherrs Ahnung traf zu, der weinende Frei ist das Symbol dieses ersten EM-Tages. Und vielleicht wird es sogar zum Symbol dieses Schweizer Fußballsommers.

Es war einer von zwei Momenten an diesem verhängnisvollen Samstag, die das erwartungsfrohe Völkchen trafen wie Keulenschläge. Den zweiten Schock bescherte ihnen Vaclav Sverkos mit seinem Siegtor für die Tschechen, spitze Frauenschreie wurden auf dem Münsterplatz ausgestoßen, als der Stürmer den eidgenössischen Torhüter Diego Benaglio überwand. Die 0:1-Niederlage hat die nunmehr über Jahre gepflegten Hoffnungen auf eine Kopie des deutschen Euphoriesommers von 2006 bis auf Weiteres auf Eis gelegt.

"Das war zu heftig, schlimmer hätte es nicht kommen können", sagte der 28-jährige Beat Zwingler aus Basel hinterher. Wie so viele hat er diesem Tag entgegengefiebert, Schminke gekauft, um sich die Symbole der Alpennation ins Gesicht zu pinseln, und ein Trikot besorgt. Rund 100.000 Leute sollen sich während der Partie auf öffentlichen Plätzen der Stadt friedlich vergnügt haben, an ihnen lag es nicht.

Wenigstens die Stunden vor der Partie hatten frappierend an die Szenen der deutschen WM erinnert, mit dem kleinen Unterschied, dass der Himmel grau und die Luft kalt gewesen ist. Die Innenstadt knisterte trotzdem wie sonst nur zur berühmten Basler Fasnacht, es wurden Schlachtrufe gegrölt, aus den Gassen tönte das allgegenwärtige "Hopp Schwiiz", die Menschen hüpften und sangen. Später trösteten glückstrunkene Tschechen trauernde Schweizer.

Intensiv war dieser Tag in Basel in jedem Fall, und damit diente er wenigstens als Gegengewicht zu dem skeptischen Bild, das in den Tagen und Wochen vor Turnierstart gezeichnet worden war. Nein, feiern können die Schweizer, immerhin das haben sie an diesem ersten EM-Tag tatsächlich bewiesen, und ihre Herzen an die Nationalmannschaft verschenken können sie auch. Es fehlt ihnen einzig am deutschen Glück und an Fußballern von europäischem Spitzenniveau. Die Tschechen waren schlagbar, chancenlos war die Schweiz gegen das Schicksal.

"Wir hatten auch noch diesen unglaublichen Moment mit dem Neuville-Tor in der Nachspielzeit gegen Polen, so etwas kann es ja gar nicht zweimal geben", meinte Bernd Köhnle aus Ulm, der "einfach mal rübergefahren" ist, weil er dachte, hier gibt es etwas zu erleben. Eigentlich gehörte die Zündung der großen nationalen Euphorie fest zum sportlichen Konzept des Schweizer Trainers Jakob Kuhn, dem ein kleiner Trost bleibt. Sollte dieser Plan nach diesem katastrophalen Start jetzt doch noch aufgehen, dann wären die Gefühle umso heftiger. Denn nun wäre eine Schweizer Wiedergeburt eine echte Sensation.

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