Portrait Cristiano Ronaldo: Der Star als Zahnrad
Cristiano Ronaldo ist der beste Spieler der Welt. Sagen seine Kollegen und glauben die Fans. Und, haben sie recht?
Es gab am Samstag wieder die Szenen, in denen der Cristiano Ronaldo des Jahres 2008 fatal an den Cristiano Ronaldo des Jahres 2004 erinnerte: Er dominierte Portugals Spiel nicht, nein, der Herr Superstar perfektionierte anfangs lieber seine Übersteigertechnik.
Vier Jahre ist es nun her, dass Ronaldo in den Kreis der womöglich besten Fußballspieler der Welt überstieg. Damals, bei der Europameisterschaft 2004, gehörte er bereits zu den Entdeckungen des Turniers. Man lässt sich schließlich gerne verzaubern von ansehnlichen Aktionen, und es war schon damals besonders ansehnlich, wenn Ronaldo den rechten Fuß über den Ball hob und ihn mit dem linken Fuß am Gegner vorbeispitzelte. Am Ende wurde Portugal dann Vizeeuropameister. Cristiano Ronaldo hatte sein Team durch sein Halbfinaltor gegen die Niederlande überraschend mit ins Finale geschossen und dort dann kein Mittel gefunden gegen das Defensivkollektiv der Griechen. Und Ronaldo weinte.
Für die einen galt er von da an als der Welt größtes Talent. Und die anderen hatten es hinterher selbstverständlich schon vorher gewusst: Ronaldo, ohnehin unter Lart-pour-lart-Verdacht, konnte nicht einmal die vermeintlich zweitklassigen Griechen schlagen. In den Foren, in denen die Udo Latteks des Landes ihr Frühstücksbier trinken, verlautbart bis heute, Cristiano Ronaldo sei exzentrisch, eigennützig, eine Heulsuse, ball- und selbstverliebt. Außerdem habe er ja die Haare schön. Ronaldo, der beste Spieler der Welt. In der Welt der Bolzplätze.
"Wenn ich Ronaldo das nächste Mal sehe, breche ich ihn in zwei Teile."
Der Engländer Wayne Rooney wetterte über seinen Mannschaftskollegen bei Manchester United. Ronaldo hatte bei der WM 2006 bei Englands Viertelfinal-Aus gegen Portugal Rooneys Platzverweis gefordert und zudem den entscheidenden Elfmeter verwandelt. Doch der Portugiese scheint Rooneys Attacke gut überstanden zu haben - und rennt nach wie vor unversehrt über den Rasen.
Ein kompletter Fußballer also. Doch dieser Fall zeigt: Cristiano Ronaldo dos Santos Aveiro hat es faustdick hinter den Ohren. Gegenspieler anschwärzen, Schwalben und Revancheaktionen hinlegen, Stinkefinger zeigen. Und wenn es nicht so läuft, wie er es sich vorstellt, heult der Junge mit dem Eimer Gel im Haar hemmungslos rum.
Dass er trotz dieser Schrullen einer der besten Spieler der Welt ist, hat er in dieser Saison wieder bewiesen: Mit 31 Treffern wurde er Torschützenkönig der Premier League; sieben Tore erzielte er für seinen Verein in der Champions League. Und er wurde sowohl von seinen Premier-League-Kollegen als auch von englischen Sportjournalisten zum "Spieler des Jahres" gewählt.
In seiner Familie ist Ronaldo jedoch nicht der einzige Superstar: Seine Schwester Liliana Cátia ist in Portugal eine bekannte Sängerin - unter dem schönen Künstlernamen: Ronalda. JH
Eine Umfrage des Fachmagazins kicker unter den Bundesliga-Fußballprofis, gerade veröffentlicht, zeitigt jedoch folgendes Ergebnis: "Wer ist derzeit der beste Spieler der Welt?", lautet die Frage. Und die Antwort: 1,5 Prozent der 268 teilnehmenden Profis nennen Franck Ribéry vom FC Bayern München, 3,7 Prozent Michael Ballack vom FC Chelsea. Es folgen Messi und Kaka. 51,4 Prozent sagen: Cristiano Ronaldo von Manchester United.
Nach seinem ersten Auftritt bei der Europameisterschaft bei Portugals 2:0 am Samstag gegen die Türkei ist klar: Die Fachleute wissen schon, was sie sagen. Er hat sich in den ersten 20 Minuten manchmal festgedribbelt. Er ragte nicht 90 Minuten lang hervor. "Ronaldo blieb lange blass", schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Selbst Gunnar Gerisch sagt: "Er hatte einen guten Tag, keinen absoluten Glanztag." Und trotzdem findet er: "Er war ganz ausgezeichnet."
Gerisch, der Leiter der Fußballausbildung an der Deutschen Sporthochschule Köln, der mit Gero Bisanz über ein komplexes Spiel das Buch mit dem hübsch einfachen Titel "Fußball" verfasst hat, sagt: "Man muss ihn im Kontext sehen." Erstens im Kontext seiner Entwicklung: Ronaldo habe dazugelernt seit 2004. Er habe "die Erfahrung gemacht: nicht mit dem Kopf durch die Wand. Wenn der seine Übersteiger macht, dann will der nicht nur tanzen. Er will am Gegenspieler vorbei", sagt Gerisch. Und zweitens im Kontext seiner Mannschaft. "Ronaldo geht über rechts, dann taucht er plötzlich über links auf", sagt er. "Er zieht zwei, drei Gegenspieler auf sich, und das schafft seinen Mitspielern Freiräume."
Cristiano Ronaldo, der herausragende Einzelspieler, lässt sich immer besser in eine auf ihn zugeschnittene Mannschaft integrieren, und wozu das führen kann, hat er mit seinem Verein Manchester United im Champions-League-Halbfinale gegen den FC Barcelona vorgeführt: 16 Sekunden dauerte es von der Eroberung des Balls im eigenen Strafraum bis zum entscheidenden Tor von Paul Scholes. Die Zwischenstation: Cristiano Ronaldo.
Ein vertikaler Pass aus der Abwehr wurde zu ihm weitergeleitet, er wuselte um Barcelonas Gianluca Zambrotta herum, der den Ball zwar bekam, aber, bedrängt von Ronaldo, den entscheidenden individuellen Fehler dieser Champions-League-Saison beging und den Ball direkt in die Füße von Scholes spielte. Der zog einfach ab.
"Fußball ist Gott sei Dank ein überraschender Sport", sagt Jens Urlbauer, was man an just dieser Szene sehen könne. "Aber natürlich", so Urlbauer, "kann man anhand der physischen Werte sehen, was den Unterschied zwischen einem großen und einem großartigen Team ausmacht." Einer dieser Unterschiede heißt Cristiano Ronaldo. Der Star in seiner Rolle als Zahnrad - in dieser Szene war der moderne Fußball beispielhaft zu bewundern. Schnelle Balleroberung, Fehler des Gegners erzwingen, Glück beim Schuss - und Ronaldo, der Fehler und Glück erzwingt.
Urlbauer ist der Geschäftsführer von Mastercoach International, einer Düsseldorfer Firma, die Klubs und Verbände mit Datenmaterial versorgt. Bei der Europameisterschaft setzen der Deutsche und der Österreichische Fußball-Bund Software und Personal der Firma ein; sie liefert Informationen, die die Trainern dann bei der qualitativen Spielanalyse nutzen.
Was man aus den Daten über Ronaldo sehen könne, die das Unternehmen vergangene Saison sammelte, seien, sagt Urlbauer, "die hohen Intensitäten, die auch mit dem Sprintverhalten zu tun haben". Ronaldo lege in einem Spiel immer wieder 40- bis 50-Meter-Sprints ein, "mit einer Geschwindigkeit von bis zu 30 km/h - und hat dabei auch noch den Ball am Fuß".
Ronaldo ist schnell wie ein frisiertes Mofa, wendig wie ein Slalomläufer, ballsicher wie ein Jongleur, und wenn ihm ein schwieriger Ball vor die Füße fällt, wie im Spiel gegen die Türkei im Zweikampf mit Hamit Altintop, dann weiß er, was er damit macht: Er bringt ihn unter Kontrolle, schießt - und zwar gefährlich.
Deshalb schneidet Portugals Teamchef Luiz Felipe Scolari das Spiel auf ihn zu, auch wenn er, wie gegen die Türkei, stellenweise gar nicht augenscheinlich brilliert. Denn selbst wenn nicht: Reibt er sich gegen drei Gegenspieler auf, schafft er Freiräume für seine Kollegen. Deco, Nuno Gomes, Pepe - alle wichtig. Doch Ronaldo ist das Zentrum des Spiels, das Zentrum, das über die Flügel kommt.
Als Nuno Gomes, 31, am Samstag in der 69. Minute ausgewechselt wurde, übergab er seine Spielführerbinde nicht nur deshalb an Cristiano Ronaldo, 23, weil der zufällig gerade im Weg herumstand. Gomes suchte gezielt Ronaldo für diesen Akt der Führungsrollenübergabe. Ronaldo ist der, den seine Mitspieler suchen. Er nimmt sich seine Freiheiten - das ist die Exzentrik, die ihm früher vorgeworfen wurde. Aber er bekommt sie von Trainer und Team auch - weil sie wissen, dass er sie nutzen wird.
Dass er nicht nur individuell glänzen will wie noch 2004, sondern mit nun 23 Jahren tatsächlich der Führungsspieler eines Turnierfavoriten ist, der die Hierarchie seiner Mannschaft von oben anführt, das macht den Cristiano Ronaldo des Jahres 2008 aus. Die Ich-AG ist ein Mannschaftsindividualist geworden.
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