die wahrheit: Extremes EM-Training in Emden

Ein Turnier wie die Fußball-EM verlangt einem Körper alles ab, speziell dem eines Langzeitzuschauers, wie ich es einer bin...

Ein Turnier wie die Fußball-EM verlangt einem Körper alles ab, speziell dem eines Langzeitzuschauers, wie ich es einer bin. Ständig muss dem geschundenen Leib zur Beruhigung der aufgepeitschten Nerven Nahrung in fester und flüssiger Form zugeführt werden. Für diese geradezu übermenschliche Leistung aber braucht es Training und vor allem ein Trainingslager. Mediziner empfehlen Fernsehsportlern gern ausgiebige Bewegung und leichte Ernährung, um die Belastungen eines Turniers unbeschadet durchzustehen. Völlig falsch! Der Körper muss im Gegenteil auf fettreiche und zuckrige Speisen, besonders aber auf die zu erwartende Überdosis Alkohol eingeeicht werden.

Früher zog es die deutsche Nationalmannschaft zur Vorbereitung auf Welt- oder Europameisterschaften immer nach Malente, und ich dachte lange Zeit, der Ort liege irgendwo in südlichen Gefilden, ja sei eine Art Arkadien des Fußballs. Dabei ist Malente ein schlichter Ort in Schleswig-Holstein. Mein Malente sollte Emden heißen und in der äußersten Nordwestecke Deutschlands, in Ostfriesland, liegen. Denn Ostfriesen sind ein herzlicher, aber auch rustikaler Menschenschlag. Fett ist ihre Hauptnahrungsquelle, neben dem friesisch herben Grundantriebsstoff Bier. Drei Tage gab ich mir Zeit, auf Vordermann zu kommen. Fünf Kilo zusätzliches Gewicht wollte ich mir antrainieren.

Gleich am ersten Morgen wurde im Hotel eine Mahlzeit für Landsknechte gereicht. Autoreifenbreite Speckscheiben umwickelten matrosenfingerdicke Würstchen - und das zum Frühstück! Für ein, zwei Nutella-Brötchen war da noch locker Platz.

Zu Mittag gab es ein sogenanntes Wikingerbrötchen. Wobei das niedliche Wort "Brötchen" es nicht ganz trifft. Die offenbar von einem sehr hungrigen Nordmann entwickelte Zwischenmahlzeit war ungefähr so groß wie ein gewickeltes Baby und mit allem belegt, was der Fischimbiss hergab: Von Backfisch über Tomaten und Eier bis zu Röstzwiebeln und Majonnaise und, und, und … Gut wäre es allerdings gewesen, wenn die Wikingerbrötchenschmiede an ihrem Imbisswagen eine Dusche installiert hätte, denn die braucht man nach der eisenharten Essübung genauso wie ein frisches Hemd und eine saubere Hose. Aber vielleicht springen die ostfriesischen Wikinger ja auch nach dem Essen vollbekleidet ins Meer nebenan.

Als Hauptmahlzeit bot die ostfriesische Küche einen Gourmetschmaus, der alles hielt, was er bereits im Namen versprach: "Emder Hafenarbeiter". Auf einem alpenhohen Berg Bratkartoffeln thronten zwei Schweinerückensteaks, groß wie die Hände von Hafenarbeitern, bedeckt von einem dünenbreiten Spiegelei. Das Gesamtensemble versank in einer daumendicken Fettsuppe, die direkt dem Hafenbecken entnommen zu sein schien. Danach mussten ein Küstennebel, ein Leuchtfeuer und ein Friesengeist helfen, die ölige Masse vom Magen in die nächsttiefere Abteilung hinabgleiten zu lassen.

Die fünf Kilogramm mehr an Kampfgewicht waren ein Klacks. Und die erste EM-Woche brachte ein herrlich leichtes Spiel für den ostfriesisch gestählten Körper. Emden - das steht seitdem auch abgekürzt für: "Eine Metropole der extremen Nährstoffe".

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kari

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