Löws Fußball-Philosophie auf dem Prüfstand: Typisch deutsch. Was ist das?

Kampf um die wahre Fußballlehre: Joachim Löws Projekt, die Nationalmannschaft zu modernisieren, droht bei einer Niederlage gegen Österreich zu scheitern.

Nach dem Desaster gegen Kroatien steht Löws Taktik auf dem Prüfstand. Bild: dpa

TENERO taz Es ist das erste Endspiel für den Bundestrainer. Es geht um viel. Nicht nur der Einzug der DFB-Mannschaft ins Viertelfinale der Europameisterschaft steht auf dem Spiel. Es geht um mehr. Um nichts weniger als die Zukunft des deutschen Fußballs.

ÖSTERREICH - DEUTSCHLAND

20.45 Uhr, Wien, ARD

POLEN - KROATIEN

20.45, Klagenfurt, EinsFestival

Denn Joachim Löw, der akribische Taktiktüftler, steht in der Kritik. Eine Niederlage gegen Österreich am Montagabend und seine Mission könnte zu Ende sein. Der Glaube an die beinahe wissenschaftliche Planbarkeit des sportlichen Erfolgs, er kann nach dem Desaster gegen Kroatien mit einer weiteren Niederlage erschüttert werden. Mit der Trainerfrage, die nach einem erneuten Vorrundenaus einer deutschen Mannschaft unweigerlich gestellt würde, geht die Frage einher, was die Arbeit der letzten Jahre im DFB-Trainerstab wert gewesen ist. Es geht um alles oder nichts.

Joachim Löw hat eine klare Vorstellung davon, wie eine Mannschaft Fußball zu spielen hat. Ziel seiner Arbeit war es von Anfang an, auch als Co-Trainer unter/neben Jürgen Klinsmann, eine neue deutsche Fußballkultur zu installieren, eine spielerische. Er arbeitet an der Perfektionierung seiner taktischen Vorstellung. "Bei uns gibt es das klare Bekenntnis zu 4-4-2", sagt er immer wieder, spricht vom Offensivfußball. Am schnellen Spiel nach vorne soll man eine deutsche Nationalmannschaft erkennen. Wenn dereinst eine Mannschaft mit schnellen vertikalen Pässen die gegnerischen Abwehrreihen durcheinanderwirbelt und alle Welt sagt, das sei jetzt typisch deutsch gewesen, dann hätte er sein Ziel erreicht.

Die Erfolge bei der WM 2006, die souveränen Auftritte in der Qualifikation für die Euro, sie haben gezeigt, dass sein Weg der richtige sein kann. Sie haben zu einem grundsätzlichen Paradigmenwechsel in Fußballdeutschland geführt. Die sportliche Leitung des DFB war nicht mehr länger Insolvenzverwalter einer Sportart im Niedergang, kein Bademeister mehr am Sammelbecken deutscher Rumpelfüßler. Der DFB präsentiert sich seit zwei Jahren als Kompetenzzentrum des deutschen Fußballs.

Die Vereine der Bundesliga haben im Ideenwettbewerb um das moderne Spiel den Anschluss verloren. Löw und sein Betreuerstab geben den Takt vor. Die Liga konnte zwei Jahre lang nur hinterherhecheln. Es gab nicht viel einzuwenden gegen die Kritik, die Löw und auch Teammanager Oliver Bierhoff immer wieder an der Arbeit in den Klubs, am Ligafußball geäußert haben. Das Spiel der deutschen Vereinsteams ist zu langsam, zu wenig nach vorne orientiert. Das Training ist zu wenig auf die Bedürfnisse der einzelnen Spieler abgestimmt. Das Abwehrverhalten vieler Bundesligaspieler ist arg rustikal.

Die Ligatrainer beschwerten sich zwar. Man wollte sich nicht in die Arbeit hineinreden lassen. An der Analyse jedoch gab es nichts zu deuteln. Löw hat einfach recht. Und so lange er Erfolg hat, wird ihm auch jeder recht geben.

Die Idee für den neuen deutschen Fußball, Löw hat sie tief im DFB implantiert. Kurz vor der EM begann eine neue Ausbildungsrunde für die Fußballlehrer. Der neue Chefausbilder Frank Wormuth, einst Spieler beim SC Freiburg, ist nicht nur ein guter Freund des Bundestrainers. Er ist auch einer, der dessen Ideen zur Ausbildung der Trainer in die Vereine tragen soll. "Wir orientieren uns absolut an der Nationalmannschaft", sagte Wormuth kurz vor Beginn des EM-Turniers.

Ambitionierte Bundesligisten wie der Hamburger SV oder Schalke 04 haben mit Martin Jol beziehungsweise Fred Rutten Trainer aus den Niederlanden verpflichtet. In Zukunft, das ist ein Ziel von Wormuth, sollen deutsche Trainer erste Wahl sein. Trainer, die für den typisch deutschen Fußball im Sinne von Joachim Löw stehen. Matthias Sammer, als Sportdirektor beim DFB auch für den Bereich der Trainerausbildung zuständig, verkündete bei Wormuths Amtseinführung, dass mit der Neuausrichtung der Trainerausbildung die "Leitfunktion des DFB" gestärkt werde.

Als Sportdirektor, dem die Koordinierung der gesamten Nachwuchsarbeit unterliegt, ist auch Matthias Sammer eine der zentralen Figuren des deutschen Fußballs. Auch er gibt den Modernisierer, gibt sich geläutert. Früher habe er viel "aus dem Bauch" gemacht, sagt er. Heute aber wisse er, dass ihm die wissenschaftlichen Grundlagen als Trainer gefehlt hätten.

Als Sammer im April 2006 gegen den erklärten Willen des damaligen Bundestrainers Jürgen Klinsmann Sportdirektor wurde, stöhnten viele auf. Der DFB sei doch nicht reformierbar, hieß es. Heute schimpft der einst an der Linie so impulsive Sammer darüber, dass die Liga immer noch zu häufig auf Motivationszampanos setze. Der Europameister von 1996 präsentiert sich als gelehriger Schüler der Fußballmoderne. Und doch weiß man beinahe nichts über seine Idee vom Fußballspiel. Fast scheint es, als habe er sich in den letzten zwei Jahren selbst aufgebaut als möglichen Nachfolger von Joachim Löw. Als einen, der den neuen organisatorischen Aufbau des DFB in eine Ära nach Löw mitnehmen kann und doch eine andere Fußballphilosophie vertritt. Nach Löw, ohne Löw könnte bald schon wieder vieles anders werden im deutschen Fußball.

Ist das Ende der Ära Löw bei einem Vorrundenaus der Deutschen wirklich unausweichlich? Oliver Bierhoff will nicht wahrhaben, dass zerbrechen könnte, "was wir uns in den letzten vier Jahren aufgebaut haben".

Christoph Metzelder, der Innenverteidiger von Real Madrid, der sich immer noch im Formaufbau befindet, mag recht haben, wenn er sagt, dass ein Trainer die entscheidende Arbeit in den zwei Jahren zwischen großen Turnieren leisten müsse. Doch nur während eines Turniers kann sich zeigen, ob diese Arbeit auch fruchtet.

Löw selbst ist es, der seiner Überzeugung, dass seine Arbeit mit den Spielern beinahe zwangsläufig zum Erfolg führe, immer wieder Ausdruck verleiht. An diesen Aussagen muss er sich messen lassen. Es kann ihm und der Öffentlichkeit auch nicht egal sein, auf welche Weise seine Mannschaft zum Erfolg kommt. Quält sich das Team ins EM-Finale statt es spielerisch zu erreichen, Löw wäre gescheitert, auch wenn ihn dann diejenigen, die schon vor dem Spiel gegen Österreich zur Treibjagd auf den Trainer geblasen haben, auf Händen tragen werden. Der Bundestrainer will nicht nur sportlichen, er will auch spielerischen Erfolg. Die Latte, die es zu überspringen gilt, Joachim Löw selbst hat sie hoch gelegt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.