Mehr Arbeit für weniger Geld: Der Leihmo machts für zwei Drittel

Bei Siemens ist jeder zehnte Mitarbeiter "Leiher". Viele hoffen auf einen Festvertrag. Die IG Metall kämpft um die neue Klientel und für gleiche Bezahlung.

Siemens-Zentrale in Berlin Bild: Reuters

Auf den ersten Blick sind sie schlicht Kollegen, die zusammen Mittagspause machen: Igor*, Ahmed* und Jörg Hansen. Sie arbeiten bei Siemens in Berlin, in einer hochspezialisierten kleinen Abteilung. Drei unter rund 14.000 Beschäftigten am größten deutschen Produktionsstandort des Konzerns. Igor trägt Jeans und einen Ohrring, Ahmed und Jörg haben ihre weinroten "Blaumänner" anbehalten und die dunkelgrünen Jacken. Aber das ist nebensächlich.

Die größten Unterschiede zwischen ihnen stehen im Kleingedruckten. Nur Ahmed hat einen Arbeitsvertrag mit Siemens, Igor und Jörg sind "Leiher", wie man hier sagt, Beschäftigte, die von ihren Zeitarbeitsfirmen ans Unternehmen ausgeborgt wurden. Laut Vertrag stehen ihnen nur 24 statt 30 Tage Urlaub zu, als Weihnachtsgeld sind 100 Euro und kein 13. Monatsgehalt vereinbart. Zudem verdienen sie etwa zwei Drittel der Summe, die "echte" Siemens-Mitarbeiter bekommen. Es ist der fest angestellte Ahmed, der sich am lautesten darüber beklagt: "Leiharbeit, das ist richtige Sklavenarbeit. Die müssen ranklotzen und trauen sich nicht um ihre Rechte zu kämpfen." Igor und Jörg stehen daneben und trinken Gewerkschaftskaffee aus schwarz-weißen Kaffeebechern. Auf der schwarzen Seite steht "Gleiche Arbeit?" und auf der weißen "Gleiches Geld!".

Die Industriegewerkschaft Metall hat in Siemensstadt Stände aufgebaut. Ein schwarz und weiß lackierter Truck parkt daneben. Mit dem Lkw ist die IG Metall zurzeit auf Deutschlandtour. Zwei Botschaften transportiert er: Leiharbeit ist ein Skandal. Gleichzeitig akzeptiert die Gewerkschaft sie. "Das ist keine Kampagne gegen Leiharbeit", sagt Kampagnenleiterin Petra Jentzsch. Ihre blond gefärbten Haare wippen entschlossen. "Leiharbeit muss geregelt werden und es muss verhindert werden, dass Stammarbeitsplätze verschwinden."

Genaugenommen kommen Jentzsch, die IG Metall und der Truck vier Jahre zu spät. 2004 setzte die rot-grüne Bundesregierung Leiharbeit mit unbefristeter Beschäftigung gleich. Ein Entgegenkommen an die Unternehmen, die somit jederzeit Arbeitskräfte einstellen und loswerden können. Zugleich soll Leiharbeit für gering Qualifizierte eine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt sein. Der Deutsche Gewerkschaftsbund nickte das wohlwollend ab.

Erst nachdem christliche Gewerkschaften Dumpinglöhne mit den Entleihbetrieben vereinbarten und immer mehr Betriebe Mitarbeiter auslieh, erkannte der DGB die Bedrohung für die Kernklientel, die Stammbelegschaften. Und drängte seinerseits auf Tarifabschlüsse. Mit dem für Berlin vereinbarten Mindestlohn von 6,36 Euro hat der DGB zwar die christliche Konkurrenz überboten, aber sein eigenes Ziel unterlaufen: gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Der Druck auf die Stammbelegschaften ist trotzdem gewachsen.

Die Zahl der Leiharbeiter hat sich seit 2004 mehr als verdoppelt. Sie wächst damit rasanter als traditionelle Beschäftigung. Die aktuellsten Zahlen der Agentur für Arbeit für Berlin stammen vom Juni 2007. Damals waren knapp 24.000 Menschen bei Zeitarbeitsfirmen angestellt. "Darunter sind auch immer mehr Facharbeiter", sagt Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaft in Berlin. Inzwischen dürften noch einige tausend hinzugekommen sein. "Jeder zweite neue Job entsteht inzwischen in der Leiharbeitsbranche", sagt Dieter Pienkny, Sprecher des DGB in Berlin. Leiharbeit ist ein Klassiker, nicht nur für Urlaubsvertretungen. Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung aus dem vergangenen Jahr stockt ein Drittel der Großbetriebe die eigene Belegschaft gezielt mit Leihpersonal auf, "über das Abfedern von Auftragsspitzen hinaus".

Das bestätigt die Sprecherin von Siemens Berlin, Ilona Thede: "Wir setzten Leiharbeiter auch ein, um längere Auftragswellen abzudecken." Zwischen 650 und 1.300 der Beschäftigten kommen nach Auskunft der Unternehmenssprecherin von außen. Unqualifiziert sei keiner der Entliehenen. "Wir beschäftigen ausschließlich Leute, die zumindest einen Facharbeiterabschluss haben", sagt Thede.

Jörg Hansen belegt seit drei Jahren einen Spind bei Siemens. Er prüft neuentwickelte Schaltungen und ist inzwischen Spezialist dafür. Als Kollegen vom Schanghaier Werk in Berlin hospitierten, hat er sie eingearbeitet. Das macht ihn manchen Festangestellten suspekt. Als er in die Abteilung kam, habe es arge Schwierigkeiten gegeben, erzählt Hansen. "Mein Spitzname war Leihmo - Leihmonteur." Das hielt er aus, genauso dass die Kollegen um ihn herum quatschten, während er schon wieder arbeitete.

Hansen war einst Leiharbeiter aus Überzeugung. Seit Beginn der 90er-Jahre ist er in der Branche. Die Berliner Firma, die ihn jahrelang angestellt hatte, ein Familienunternehmen, kümmerte sich um ihre Leute. "Da fühlte man sich nicht ausgenommen." Hansen genoss es, rumzukommen, neue Betriebe kennenzulernen. Als die Firma pleiteging, war Hansen gerade bei einem Großunternehmen im Einsatz. Andere Zeitarbeitsfirmen rissen sich um ihn. Doch nach Beendingung des Projektes klingelte am Abend der Briefträger. "Meine Kündigung. Ganz legal in der Probezeit. Da war ich dann angekommen im normalen Zeitarbeitsleben."

Der Kaffee ist alle, den Becher hält Hansen noch in der Hand. Gleiche Arbeit, gleicher Lohn? Schön wärs. Seit 2005 hat er keine Gehaltserhöhung bekommen. Von seiner Firma heißt es: "Sieh zu, dass du bei Siemens fest unterkommst."

Igor hat ein Angebot vom Konzern bekommen und überlegt noch, ob er es annimmt. Er ist in einer komfortablen Situation: Ingenieure wie er werden gesucht. Auch von Zeitarbeitsfirmen, die für ihre Kunden zunehmend als Head-Hunter agieren und Fachkräfte vermitteln sollen.

"Das ist ein absoluter Wachstumsmarkt", sagt Hannelore Rabe, die den Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen in Berlin vertritt. Ihre Firma aventa hat sich auch auf die Vermittlung von Ingenieuren spezialisiert. Um Fachkräfte an sich zu binden, bieten Zeitarbeitsunternehmen vermehrt Schulungen an, berichtet die Personalvermittlerin. "Erste Zeitarbeitsfirmen bilden auch besonders begehrte Fachrichtungen aus." Ihre Botschaft: Zeitarbeit ist im Trend, und sie ist attraktiv. Auch für Arbeitnehmer.

Igor hat es jedenfalls nicht eilig, sich fest anstellen zu lassen. "Geld ist erst mal nicht so wichtig, Hauptsache, die Kollegialität stimmt."

"Kollegialität findste nicht", wirft Ahmed von der Seite ein. Er hat bei Siemens gelernt und ist 1996 übernommen worden. Lange Zeit war er in der Monatage, wo besonders viele Leiharbeiter eingesetzt werden. "In manchen Arbeitsgruppen waren 15 von 20 Leuten Leiher", erzählt Ahmed. "Und das ist scheiße. Die meisten klotzen richtig ran, selbst wenn man ihnen sagt, ihr müsst nicht das Doppelte machen, es reicht, wenn ihr ein, zwei Stück mehr macht." Klar, er könne das auch verstehen. "Die wollen bleiben."

Wer einen Festvertrag bekommt, hat das große Los gezogen. Jeder dritte Leiharbeiter bleibt nach Auskunft des Bundesverbandes der Zeitarbeit "kleben". Die Gewerkschaften sprechen von lediglich 15 Prozent.

"Alle spekulieren natürlich auf eine Festanstellung", berichtet Björn. Er gehört dazu. Auf dem Weg zur Spätschicht hat er am IG-Metall-Stand geparkt. Kaum dass er den Motorradhelm abgesetzt hat, ist ein Metaller mit rotem Basecap an seiner Seite: "Erst mal in die Gewerkschaft eintreten", sagt der und zückt einen der vorbereiteten Anträge. Auch Gewerkschaften buhlen um die Leiharbeiter.

Nach seiner Lehre als Energieelektroniker fand Björn nur bei Randstad eine Stelle. Industriebetriebe schickten seine Unterlagen zurück. "Zeitarbeit ist der einzige Weg, um überhaupt in Unternehmen reinzukommen", ist Björn mittlerweile überzeugt.

Seit 18 Monaten arbeitet er bei Siemens. Die Konkurrenz unter den Leihern sei schon zu spüren, aber die Spannung entlädt sich in Scherzen. "Die Moral leidet natürlich, wenn man immer neben Festen arbeitet. Man sieht, was die für Autos fahren und wo die Urlaub machen."

Wer fest eingestellt wird, entscheidt die Produktionsleitung des Werkes in Absprache mit den Gruppenleitern. Aktuell stünden die Chancen auf eine Festanstellung natürlich nicht besonders gut, meint Wolfgang Walter. Er ist seit über 20 Jahren bei Siemens, mittlerweile als Betriebsrat in einem großen Berliner Werk. "Wenn Siemens Stellen abbaut, dann wird das auch Rückwirkungen auf die Leiharbeiter haben", ist Walter überzeugt. Gerade weil die nicht im Stellenplan auftauchen. "Flexibler, immer bereit zu Samstagsschichten und ängstlicher", so beschreibt Walter den typischen Leiharbeiter. Er meint das nicht als Vorwurf. "Den Leuten bleibt gar nichts anderes übrig. Es ist das System, das fördert Opportunismus."

Ihn stört etwas anderes: "Selbst wenn jemand als Leiharbeiter schon zwei Jahre und länger bei uns arbeitet, kann er von heute auf morgen zurückgeschickt werden." Der Betriebsrat würde das gerne ändern. Aber erst im zweiten Schritt. Erst einmal geht es um gleiche Bezahlung. Und bis dahin sei es noch ein langer Weg.

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