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Weltwirtschaftsgipfel in JapanAcht ohne Willen

Wo die G-8-Staaten könnten, wollen sie nicht: Die Weltwirtschaft war auf dem Gipfel in Toyako trotz der globalen Finanzkrise kein Thema.

400 Milliarden US-Dollar haben die Banken bislang verloren, es könnten viermal so viel werden Bild: dpa

BERLIN taz Als die G 8 im Jahr 1975 gegründet wurde, ging es in erster Linie um globale Finanzfragen. Aber ausgerechnet jetzt, mitten in einer Finanzkrise, war das für die in Toyako versammelten Staats- und Regierungschefs kaum noch ein Thema. Stattdessen befassten sie sich lieber mit Fragen, bei denen ohnehin nichts herauskommt: mit der Emission von Treibhausgasen um das Jahr 2050 herum oder den Erdölpreisen, auf die die G 8 nun wirklich keinen Einfluss hat. Bezeichnend war das Statement von Angela Merkel über die Hypotheken in den USA, die die aktuelle Krise auslösten: "Wir haben eine subprime crisis gehabt. Heute läuft die irgendwie wieder aus."

Ist die Finanzkrise wirklich vorbei? Die US-Amerikaner, die infolge der Krise ihr Haus verloren haben, und die Briten, die aufgrund der geplatzten Immobilienblase gerade in eine Rezession steuern, haben zu diesem Thema wahrscheinlich ihre eigene Meinung. Allein im März fanden in den USA 2,5 Millionen Zwangsversteigerungen statt. Jeder dritte Hausverkauf geschieht unfreiwillig. Und auch an Deutschland geht die Krise nicht spurlos vorbei.

Gerade wurde bekannt, dass zwei Hypothekenfinanzierer in den USA dringend mal eben 75 Milliarden Dollar frisches Kapital brauchen. Peanuts? Das ist mehr als die jährliche Wirtschaftsleistung eines Landes wie der Slowakei. Zugleich sieht sich die US-Zentralbank zur Bereitstellung weiterer Notkredite für die Geschäftsbanken des Landes gezwungen. 400 Milliarden Verluste hat die Finanzbranche seit Ausbruch der Krise vor einem Jahr eingeräumt. Von sagenhaften 1,6 Billionen gehen manche Experten aus.

Und die G 8 meint, sie hätte das alles im Griff? Oder haben sich die G-8-Staatschefs nur davor gedrückt, sich mit der Finanzkrise und den notwendigen Folgerungen daraus näher zu beschäftigen? Vieles spricht für Letzteres. Am liebsten richten sich die obersten Politiker nach der Devise: Die Wirtschaft wird schon selbst wissen, was am besten für sie ist. Hedgefonds und Banken haben die Signale begierig aufgegriffen und wollen nun mithilfe freiwilliger Selbstverpflichtungen strengere gesetzliche Regelungen verhindern. Die Politik ist zufrieden - zumindest bis die nächste Krise ausbricht.

Darauf, wie die aussehen könnte, gibt es erste Hinweise. So ähnlich wie sich der letzte Finanzboom um Wertpapiere drehte, die auf den hoch riskanten US-Hypotheken aufbauten, so wird jetzt zunehmend mit Wertpapieren spekuliert, die auf Öl und anderen Rohstoffen basieren. Welche Auswirkungen haben diese hoch spekulativen Finanzprodukte auf die Öl- und Lebensmittelpreise und damit auf die Ernährung der Weltbevölkerung? Und was passiert, wenn die Blase platzt? Die Aufsichtsbehörden sind überfragt. Sie haben nur noch sehr begrenzt Einfluss darauf, was auf den Finanzmärkten passiert.

Und das hat System. Großbritannien und die USA haben die weitgehende Nichtregulierung zum Geschäftsmodell erhoben. Die City of London und die Wall Street könnten sonst ja Einbußen erleiden. Von diesen Finanzzentren hängt ein erheblicher Teil der Wirtschaft der beiden Länder ab. An dieser Blockade scheiterten schon im vergangenen Jahr die Bemühungen der Bundesregierung, in Heiligendamm wenigstens eine Minimalregulierung der Hedgefonds durchzusetzen.

Doch anders die Krisen der vergangenen Jahre, die weit weg, in Asien und Argentinien, stattfanden, trifft die aktuelle Finanzkrise ausgerechnet diese Staaten am stärksten. Auf einmal müssten sogar sie ein Interesse daran haben, die Finanzmärkte unter Kontrolle zu bringen und auf ihre eigentliche Aufgabe zurückzustutzen: die reibungslose Abwicklung der realwirtschaftlichen Transaktionen, des Warenhandels und der Investitionen - und nicht die Spekulation als Selbstzweck, wobei die enormen Gewinne aus Boomzeiten in die Taschen weniger fließen, während die Verluste in Krisenzeiten möglichst auf die Allgemeinheit umgelegt werden.

Zahlreiche Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch, nicht nur von Globalisierungskritikern wie Attac, sondern auch von den Finanzmarktaufsehern selbst. Eine kleine Auswahl: Banken sollen für riskante Geschäfte mehr Eigenkapital zurücklegen; der Weiterverkauf von Krediten oder Hypotheken soll nur unter den Augen der Bankenaufsicht stattfinden; besonders exotische Finanzprodukte müssen ein Zulassungsverfahren durchlaufen; für die Rating-Agenturen, die die riskanten Finanzpapiere billigen, müssen strenge Regeln eingeführt werden. Und schließlich könnte die ungehemmte Spekulation durch eine Besteuerung von Finanztransaktionen zumindest gebremst werden - Stichwort: Tobinsteuer. NICOLA LIEBERT

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