die wahrheit: Nieten in Nylonjacken

Führungskräfte in der Krise: Spitzenmanager auf der anderen Seite der Gesellschaft.

"Ja Grüezi Gott, Herr Ackermann! Haben wir heute wieder einmal einen Brückentag eingelegt?" Bananen-Edes Stimme klingt wie ein rostiges Reibeisen, daran ändert auch der Sechsämtertropfen nichts, mit dem er regelmäßig seine Stimmbänder benetzt. Aber es ist offenkundig, dass er sich über den hohen Besuch des Bankers freut. Er macht sich sogar die Mühe, die speckige Matratze, auf der er seine Nächte unter der Mainbrücke verbringt, glatt zu streichen und Josef Ackermann einen Platz anzubieten. Der aber bleibt lieber stehen. Er hegt die nicht ganz unbegründete Angst, dass sein nagelneuer Nylon-Trainingsanzug, den er sich tags zuvor von seiner Sekretärin bei Aldi hat besorgen lassen, auf Bananen-Edes Schlafstatt Flecken bekommen könnte. Es ist eben nicht ganz einfach, die elegante Welt der Hochglanzfinanz mit dem Siff des Lumpenprekariats zu tauschen.

Maßlose Gehaltserhöhungen, überzogene Bonuszahlungen und Millionen-Abfindungen für gescheiterte Manager haben den deutschen Führungskräften einen schweren Imageschaden zugefügt. Um dem drohenden totalen Glaubwürdigkeitsverlust entgegenzuwirken, entschlossen sich etliche Spitzenmanager Sympathiepunkte im Low-Cost-Segment unseres Gemeinwesens zu sammeln.

Dies ist der Grund, weshalb Deutschlands mächtigster Banker einmal im Monat seinen persönlichen "Brückentag" einlegt - um die Sorgen und Nöte der Untersten der Gesellschaft aus nächster Nähe kennenzulernen. Ist es nur sein schlechtes Gewissen, das den Multimillionär Ackermann unter die Obdachlosen treibt, oder will er die Ausgestoßenen und Gedemütigten auf den goldenen Weg des Shareholder-Value führen, will er ihnen beweisen, dass Leistung aus Leidenschaft sich immer und gerade auch für sie lohnt? So ganz genau weiß er es wohl selbst nicht. Jedenfalls hat die selbst auferlegte Kasteiung ungeahnte Potenziale bei dem sympathischen Finanzjongleur freigesetzt.

Seine Lernfähigkeit hat Ackermann schnell unter Beweis gestellt: Brachte er bei seinem ersten Besuch noch Jahrgangschampagner als Begrüßungsgetränk mit, hat er sich mittlerweile auf den üblichen Billigfusel aus dem Discounterregal eingestellt. Auch dass er beim ersten Mal meinte, unterm Brückenbogen einen Stehempfang mit Currywurst-Canapés arrangieren zu müssen, trug nicht unbedingt zur Erhöhung seiner Street-Credibility bei. Doch das sind längst vergessene Anfängersünden. Acki, wie sie ihn hier fast liebevoll nennen, hat sich seinen Platz im Herzen der Outcasts durch Beharrlichkeit, Bescheidenheit und jede Menge Freibier längst gesichert. "Seine Sozialkompetenz möchte ich als außergewöhnlich bezeichnen", meint auch Bananen-Ede nach einem tüchtigen Schluck aus der mitgebrachten Pulle. "Jedenfalls ist sie weitaus besser als seine Hypotheken-Expertise - wenn Sie wissen, was ich meine …"

Ackermanns Auszeit an den dunklen Rändern der Gesellschaft ist selbstverständlich auch den anderen Wirtschaftsbossen nicht verborgen geblieben. Und wie üblich in diesen Kreisen, ist aus Ackis "Brückentagen" ein veritabler Trend geworden: Heinrich von Pierer, der ehemalige Siemens-Chef, verkürzt sich seine langen Tage mit Gesprächen über Gott und die Welt unter der Münchner Wittelsbacherbrücke, und Porsche-Boss Wendelin Wiedeking schließlich hat es sich angewöhnt, immerhin einmal im Monat mit der Straßenbahn in die Arbeit zu fahren, um auf diese Weise ganz nah bei den Mühseligen und Beladenen zu sein. Diese und viele andere Beispiele zeigen, dass die Kapitäne des Wirtschaftsdampfers Deutschland den Elfenbeinturm ihrer vollklimatisierten Vorstandsetagen verlassen haben und in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind.

Dass derlei Charity-Anbiederungen bei Proll, Prek & Co auch mal in die Anzughose gehen können, beweist das Beispiel Klaus Zumwinkels, der sich nach dem Vorbild der Kollegen auch mal bei den Billigheimern tummeln wollte. Der "approach" des früheren Post-Chefs war dabei aber weitaus radikaler: Statt punktueller Berührung mit dem Bodensatz der Gesellschaft im eng gefassten Zeitfenster war Zumwinkels Vision ein dauerhafteres Eintauchen. Allein - der Ex-Postler mit der zugegebenermaßen hohen Steuerhinterziehungskompetenz ging den Gelegenheits-Minijobbern der Bonner Arbeitslosenszene mit seinen umständlich erklärten 1.000 Steuerspartricks dermaßen auf den Wecker, dass sie ihn von ihren Treffen in Wolfgangs Pils-Klause ausschlossen. Klaus Zumwinkel: ein Ausgestoßener unter Ausgestoßenen - welch Schicksal könnte härter sein?

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kari

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