Kommentar Sorgerechtsentzug: Jugendämter unter Druck

Immer mehr verwahrloste Kinder werden aus Familien entzogen. Das Gute an der Nachricht: Jugendämter und Gerichte sind wachgerüttelt. Die schlechte: Die Situation in den Pflegeheimen.

Dass 2007 mehr Kinder als zuvor aus ihren Familien geholt wurden, um sie vor Gewalt oder Verwahrlosung zu schützen, ist kein Grund zur Freude. 28.000 Kinder wurden in staatliche Obhut gegeben, in fast 11.000 Fällen mussten Eltern das Sorgerecht abgeben. Die schockierenden Fälle der verhungerten Lea-Sophie aus Schwerin oder des zweijährigen Kevin aus Bremen scheinen die Jugendämter und Gerichte endlich wachgerüttelt zu haben. Das ist das einzig Gute an dieser Nachricht. Doch wie es Kindern in der Bundesrepublik geht, darüber sagen diese Statistiken wenig aus.

Wie sieht es mit der Ausstattung der Pflegeheime aus, personell wie finanziell? Welche Umfrage beschreibt, wie sich die Kinder dort fühlen, welche Zukunftsaussichten sie haben? Die 28.000 Kinder in staatlicher Obhut müssen sich im Heim einleben, ein zerrüttetes Verhältnis zu den Eltern ertragen und zugleich für die Schule lernen. Sie wissen nicht, ob und wann sie nach Hause zurückkehren werden, und müssen sich entscheiden, ob sie das überhaupt wollen. Eine Statistik, die nur erzählt, dass mehr Kinder aus Familien "gerettet" wurden, lässt diese Aspekte aus.

Die Kinderarmut in Deutschland nimmt zu. Viele Jugendämter sind überfordert und verweisen eher Kinder ins Heim, als gefährdete Familien rechtzeitig präventiv zu begleiten. Verständlich, denn der Druck auf Jugendamtsmitarbeiter ist enorm: Handeln sie zu spät und kommt gar ein Kind zu Schaden, stehen sie zuerst in der Kritik. Fällt ein Kind durch das Netz, müssen sie damit rechnen, selbst vor Gericht zu landen. Greifen sie aber in die Familien ein und stecken Kinder ins Heim, dann hebt sich so manche Augenbraue, und es wird von Übereifer und staatlicher Überwachung von privatem Familienleben gesprochen.

Dringend nötig wäre es, bundesweit klare Ziele zu definieren und Geld für Programme bereitzustellen, um Familien präventiv zu betreuen, damit es gar nicht erst zum Entzug des Sorgerechts oder einer Unterbringung im Heim kommen muss. Über den Erfolg solcher Präventivkonzepte könnte man sich dann tatsächlich freuen.

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