Arbeitskampf beim Berliner Stadtmagazin "Tip": Familie im Streik
Von 15 auf 20 Prozent will der Mecom-Konzern auch beim "Tip" die Rendite erhöhen. Deshalb sollen weitere 17 Jobs wegfallen. Dabei ist die Redaktion schon völlig verschlankt.
In der 7. Etage des Berliner Verlags-Hochhauses war die Stimmung gestern super. Eine absolute Ausnahme, denn sonst ist die Atmosphäre hier gegenwärtig eher stickig. Vor ihren Redaktionsräumen, zwischen Aufzügen und im Treppenhaus, hatte sich die Belegschaft des Stadtmagazins tip versammelt, um ihre Arbeit für einen Tag niederzulegen. Das erste Mal in der 36-jährigen Geschichte des Magazins.
Adressat des Warnstreiks war die Geschäftsführung: "Für Stellungen und Standortsicherungen! Herr Depenbrock, Herr Rischke, verhandeln sie mit uns!", stand auf den Bannern. Bereits vor zwei Wochen gab es einen ersten, zweistündigen Warnstreik, der damit in die zweite Runde ging.
Hintergrund ist die drohende Streichung von 17 Stellen, um die Wirtschaftlichkeit des Stadtmagazins zu erhöhen. Als Reaktion darauf hatten die Gewerkschaft ver.di und Journalistenverbände die Geschäftsführung vor vier Wochen zu Gesprächen aufgefordert. Sie hatte nicht darauf reagiert. Erst als gestern zum Warnstreik aufgerufen wurde, erklärte man sich zu "Sondierungsgesprächen" bereit. Die Forderungen der Gewerkschaft sind beschäftigungssichernde Maßnahmen und die Übernahme der in der Zeitschriftenbranche üblichen Tarifverträge - momentan liegen die Löhne beim tip noch weit unter diesem Niveau.
Treibende Kraft der Verschlankungsmaßnahmen beim tip ist die britische Mecom-Holding (Berliner Zeitung, Netzeitung, Hamburger Morgenpost), die seit 2005 auf dem Berliner Markt aktiv ist und die Rendite von 15 auf über 20 Prozent erhöhen will.
Dass sie Teil eines Anlageimperiums sind und damit Spielball von Zahlenspekulationen, stößt den tip-Mitarbeitern ziemlich bitter auf. "Im Grunde genommen sind hier alle ziemlich angepisst von der Mecom", sagt Volker Gunske, der Sprecher des Redaktionsausschusses.
Mit den 17 Stellen sei nun eine Schmerzgrenze überschritten worden: "Bis hier hin, und nicht weiter." Derlei Spar-Schocks sind beim tip nicht unbedingt neu, denn bereits vor zwei Jahren wurden Kürzungen vorgenommen und einzelne Bereiche der Redaktion ausgelagert - eben um den Betrieb noch schlanker zu machen.
Für die Belegschaft war der tip immer auch ihr Magazin, so etwas wie ein "Familienbetrieb", sagt Gunske. Viele sind über 10 Jahre bei dem Blatt, man kennt sich. Seit man durch eine Investorengruppe "fremdbestimmt wird, die keine verlegerische Linie verfolgt", ist dieser Idealismus am Bröckeln. "Hier arbeiten alle unter Tarif. Das ist so weit o.k., wenn man sich mit dem Blatt identifiziert", sagt Gunske. "Wenn wir aber schon ein Mecom-Objekt sind, dann wollen wir wenigstens besser bezahlt werden."
Sollten die 17 Stellen gestrichen werden, sind hohe Abfindungen zu erwarten, rechnet Gunske vor. Diese mehrere Hundert Monatsgehälter dürften das Geschäftsergebnis von tip und damit der Mecom nachhaltig verschlechtern. Aus dieser Perspektive betrachtet würden sich diese Sparmaßnahmen nur langfristig wieder auszahlen, glaubt man in der Redaktion. Und Langfristigkeit sei eigentlich nicht gerade das Markenzeichen von Investitionsgesellschaften wie der Mecom.
Auch in Holland ist die Mecom Eigner von sieben Tageszeitungen des Verlagshauses Wegener. Dort stoßen die Reduktionsmaßnahmen auf starke Gegenwehr - und das mit mindestens aufschiebendem Erfolg: Im Juni kam ein Reorganisationsplan auf den Tisch, der die Zeitungen 400 Arbeitsplätze gekostet hätte. Unter der Androhung von Streiks und starkem öffentlichen Druck ist der Plan nun vom Tisch. Auch wenn die Gefahr dort für den Moment gebannt scheint - der nächste Plan ist bereits in Arbeit.
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