Leben ohne Rohstoffe (IV): Die Rucksäcke sind zu schwer

Leben ohne Rohstoffe (IV): Bei der Produktion von Gütern und Dienstleistungen wird viel mehr Natur verbraucht, als uns bewusst ist. Nötig ist eine industrielle Revolution.

Wir müssen den Mut haben, eine neue Welt zu riskieren - sonst riskieren wir unsere Zukunft. Carl Christian von Weizsäckers unerschütterlicher Glaube, der heutige Markt könne die Dinge richten, entbehrt gewisser Einsichten. Es geht nicht um die theoretische Funktion des Marktes. Es geht darum, ob der heutige Markt die richtigen Leitplanken von der Politik erhält, um in Richtung Nachhaltigkeit zu wirken. Genau das aber ist nicht der Fall.

Der Normalverbraucher richtet sich nach den günstigsten Preisen und nagt dabei unbewusst und unentwegt an der Zukunft seiner Kinder und Enkel. Denn die Umwelt als Besitzer von Schätzen kommt in unserem derzeitigen Wirtschaftsmodell nicht vor. Der Mensch bedient sich kostenlos.

Je stärker und schneller wir die Natur auszehren und mit unseren großen Maschinen verändern, desto mehr zwingen wir sie, sich den neuen Bedingungen anzupassen. Die gewohnten Leistungen der Natur, ohne die wir nicht leben können, nehmen ab. Deutliche Zeichen sind die fortschreitende Erwärmung des Klimas, der gewaltige Verlust von Ackerböden durch Erosion, die Ausbreitung von Wüsten, eine weltweite Verknappung von Frischwasser, die Zunahme von Überschwemmungen und Wirbelstürmen, aber auch das Ausbleiben von Bienen für die Befruchtung von Blüten.

Hinzu kommt, dass mehr Menschen in Wohlstand leben möchten - die Globalisierung unseres Lebensstiles aber schon deshalb nicht möglich ist, weil wir dazu über mehr als zwei Planeten Erde als Ressourcenbasis verfügen müssten. Die steigenden Preise für Rohstoffe sprechen eine deutliche Sprache und führen tatsächlich zu einer ständig besseren Nutzung im Sinne Carl Christian von Weizsäckers. Sie heizen aber zugleich die Suche nach neuen Quellen und verbesserten Techniken an, um die noch verbliebenen Ressourcen in die Wirtschaft zu bekommen und damit die Preise möglichst zu stabilisieren. Dieser "marktgerechte" Ablauf führt nicht zu einer deutlichen Absenkung des Ressourcenverbrauchs. Genau der aber ist unabdingbar notwendig.

Ziel muss es deshalb sein, die Preisstruktur auf dem Markt so einzurichten, dass es sich lohnt, das ökologisch Richtigere zu tun - für Hersteller, Vertreiber und die Konsumenten. Je größer also die Ressourceneffizienz von Produkten und Dienstleistungen, desto billiger sollte sie angeboten werden können.

Dazu nötig sind mehrere Faktoren: Die Natur muss einen angemessenen Preis bekommen. Sinnvoll wäre es, natürliche Ressourcen in dem Maß durch Steuern und Abgaben zu belasten wie heute die Arbeitskraft - und diese davon freizustellen. Das ist kostenneutral und schafft Arbeitsplätze. Zugleich müssen viele Subventionen abgebaut sowie Standards und Normen verändert werden, die zu unangemessenem Verbrauch von Natur Anlass geben. Zweitens muss die Technik lernen, aus weniger natürlichen Ressourcen mehr Nutzen zu schaffen. Dabei ist der gesamte Lebenszyklus einer Ware oder Dienstleistung in den Blick zu nehmen.

Nach allem, was wir heute wissen, muss zur Erhaltung der Dienstleistungen der Natur die Ressourceneffizienz im Schnitt um mindestens das Zehnfache verbessert werden. Daneben sollte, und da stimme ich Michael Braungart völlig zu, wo immer möglich, die Toxizität und Kompostierbarkeit von Artefakten so intelligent wie möglich gestaltet werden. Meine Fantasie reicht allerdings nicht aus, mir einen kompostierbaren Airbus A 380 vorzustellen.

Technisch ist eine Dematerialisierung um den Faktor zehn machbar - ohne Einschränkung der Lebensqualität. Denn bisher werden im Schnitt über 95 Prozent der der Natur entnommenen Materialien verworfen, ehe hieraus marktfähige Produkte entstehen. Zum Beispiel steckt in einem Mittelklassewagen ein "ökologischer Rucksack" von mindestens 50 Tonnen - zum Großteil Abraum für die Gewinnung der vielfältigen Rohstoffe und deren Transport. Die Kraft, die im Benzin steckt, wird maximal zu 15 Prozent genutzt. Umgerechnet auf die Gesamtfahrleistung von 250.000 Kilometern bedeutet das: Für jeden auf der Straße zurückgelegten Kilometer werden mindestens 400 Gramm Natur verbraucht. Deshalb ist die gegenwärtig ausschließliche Fixierung auf den Sprit ebenso unangemessen wie die Empfehlung mancher Umweltschützer, noch funktionierende Kühlschränke zu ersetzen, sobald eine energie- oder emissionsverbesserte Neuheit auf den Markt ist.

Jeder Deutsche verbraucht jährlich mehr als 60 Tonnen nichtnachwachsende Natur. Hinzu kommen unvorstellbare Mengen an Wasser: Um die Baumwolle für eine Jeans zu erzeugen, werden in manchen Ländern bis zu 50 Tonnen benötigt. Auch die Jagd nach sogenannten Schlüsseltechnologien kann sich als Falle erweisen. So ist der ökologische Rucksack von Computern und Telefonen nahezu zehnmal größer als der von Waschmaschinen. Das Aluminium für vier Büchsen Bier kostet so viel Natur wie eine Banküberweisung per Internet.

Die gegenwärtige Wirtschaftspolitik stimuliert dazu, Ressourcen zu verschwenden. Derweil konzentriert sich die Umweltpolitik auf die Lösung einzelner Probleme wie CO2-Emissionen, Feinstaub oder Getränkebehälter. Weil nach wie vor Politik erst dann aktiv wird, wenn einzelne Gefahren be- und vor allem anerkannt sind, geht nicht nur kostbare Zeit verloren. Dass sie alle Ergebnis einer in die falsche Richtung laufenden Entwicklung sind, wird ignoriert.

Notwendig ist eine Systemkorrektur: Politik muss dafür sorgen, dass die Wirtschaft innerhalb der ökologischen Leitplanken eingerichtet wird. Die Wirtschaft darf den Gesetzen der Natur nicht widersprechen. Entsprechend sind fiskalische und ökonomische Anreize auszugestalten. Denn das bisherige Vorgehen hat dazu geführt, dass die reichsten 20 Prozent der Menschheit zu 80 Prozent dafür verantwortlich sind, dass die ökologische Risikoschwelle der Erde bereits überschritten ist. Vier Fünftel der heute lebenden Menschen nehmen an den Segnungen unseres Wirtschaftssystems nur am Rande teil, leiden aber in vollem Umfang unter seinen Folgen.

Nur wenn der Zugriff auf natürliche Ressourcen und damit die daraus resultierenden Abfälle und Emissionen auf einer Pro-Kopf-Basis international verhandelt werden, kann von Gerechtigkeit die Rede sein. Nach heutiger Auffassung darf jeder Mensch im Jahr 2050 maximal fünf bis sechs Tonnen nichtnachwachsender natürlicher Ressourcen beanspruchen.

Für Deutschland bedeutet das eine notwendige Erhöhung der Ressourcenproduktivität um den Faktor 10, für Japan den Faktor 8, für die USA 18 und für Finnland den Faktor 20. Jeder kann und muss einen Beitrag dazu leisten. Doch die entscheidenden Weichen können nur die Regierungen stellen. Nur sie können dafür sorgen, dass es sich auszahlt, ökologisch bessere Produkte und Dienstleistungen zu produzieren und zu nutzen.

FRIEDRICH SCHMIDT-BLEEK

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