Basketball in China: Slam Dunk statt Ping Pang

Der US-Import Basketball droht dem Nationalsport Tischtennis den Rang abzulaufen. In den Pekinger Parks entscheidet sich der Nachwuchs schon heute eher für den US-Traum.

Junge Chinesen haben einen Narren an Basketball gefressen. Sie überlassen den Alten die Tischtennisplatten. Bild: dpa

Es ist kein schöner Anblick. Der Ellbogencheck, den Charles Barkley seinem angolanischen Gegenspieler verpasst, geht um die Welt. Das eindeutige Ergebnis, der 116:48-Sieg der US-Basketballer gegen die in Ehrfurcht erstarrten Afrikaner, ist nur Nebensache. Wie die anderen Ergebnisse auch: Der Olympia-Sieg des sogenannten Dream Team steht schon vorher fest. Denn zu den Spielen 1992 schicken die USA erstmals die Profis aus der NBA nach Barcelona. So wird aus einem Basketballturnier eine Promotion-Kampagne. Auf der olympischen Bühne verwandeln Michael Jordan, Magic Johnson, Larry Bird und ihre Kollegen die NBA zu einer globalen Marke, weil sie nicht nur ihre Spiele mit durchschnittlich 43,8 Punkten Vorsprung gewinnen, sondern Basketball als spektakuläre Show inszenieren. So überlegen ist die Mannschaft, dass Coach Chuck Daly während des gesamten Turniers keine einzige Auszeit nimmt. Die Gegner sind mehr damit beschäftigt, sich mit den US-Stars fotografieren zu lassen, als gegen sie zu verteidigen. Fortan sind Begriffe wie "Dunk" oder "Alley-oop" Allgemeingut. Der erratische Ellbogen von Bösewicht Barkley bleibt nur eine unwesentliche Delle in einem sagenhaft erfolgreichen Werbefeldzug.

Dessen Auswirkungen sind immer noch zu spüren: Die NBA ist heute die weltweit beliebteste der US-Profiligen und wird in 212 Ländern übertragen. Und sie hat sich in den letzten Jahren selbst verändert: Heute sind 20 Prozent der NBA-Profis nicht in den USA geboren, einige der größten Stars sind Chinesen (Yao Ming), Franzosen (Tony Parker) oder Deutsche (Dirk Nowitzki). Und die längst nicht mehr so überlegenen US-Teams kämpfen seitdem mit dem psychologischen Ballast, sich stets an der legendären Vorgabe von 1992 messen lassen zu müssen.

AKTIVE IN CHINA

Tischtennis: ca. 300 Millionen

Basketball: ca. 300 Millionen

PROFILIGEN

Tischtennis: China Table Tennis Super League (CTTSL), jeweils zehn Teams bei Männern und Frauen

Basketball: Chinese Basketball Association (CBA); seit 1995; zurzeit 16 Männer-Teams; amtierender Meister: Guangdong Southern Tigers

PROMINENTE SPIELER

Tischtennis:

Wang Liqin, 30, dreifacher Weltmeister (2001, 05, 07), Olympiasieger Doppel (2000) und Team (2008)

Deng Yaping, 35, vierfache Olympiasiegerin (Einzel und Doppel 1992 und 96), dreifache Einzel-Weltmeisterin (1991, 95, 97)

Zhuang Zedong, 68, Einzel-Weltmeister (1961, 63, 65), zentraler Akteur der "Pingpong-Diplomatie" mit den USA

Basketball:

Yao Ming, 27, seit 2002 bei den Houston Rockets, sechsmal im NBA-Allstar-Team

Wang Zhizhi, 31, 2001 als erster Chinese in der NBA für die Dallas Mavericks

"Die waren einfach nicht fit", sagt Li Xiang. Er wischt sich den Schweiß aus dem Gesicht. Gerade ist China aus dem olympischen Basketballturnier ausgeschieden. Li weiß es noch nicht. Er winkt ab. Während das Team um Chinas Werberiesen Yao Ming vergeblich um den Einzug ins Halbfinale kämpft, steht Li selbst auf dem Court. Drei gegen drei. Er kommt regelmäßig in den Chaoyang-Park im Osten der Stadt, um Basketball zu spielen. 20 Körbe stehen auf der gut gepflegten Anlage. Li kommt, schaut sich um. Dann entscheidet er, wo er mitspielen will. Einige kennt er, mit anderen hat er noch nie gespielt. Eine fünf Meter hohe Statue von Center-Legende Shaquille ONeal weist den Weg zu den Li-Ning-Basketball-Courts. Es ist sechs Uhr Nachmittag. Immer mehr junge Männer kommen. Sie tänzeln daher. Sie wollen wirken.

Es wird nicht nur Basketball gespielt in dieser Ecke des Parks. Doch auf den fünf kleinen Fußballfeldern ist viel weniger los als unter den Körben. Die meisten der 20 Tischtennisplatten sind frei. Es sind Männer und Frauen um die 50, die auf den nagelneuen Tischen spielen. Ihrem Spiel ist anzusehen, dass sie ihren Sport beherrschen. Auch der alte Mann, dessen beachtlicher Kugelbauch in der Nachmittagssonne glänzt, versteht zu schmettern. Sein etliche Jahre jüngerer Gegner kann oft nur mit dem Kopf schütteln. Ein Kind spielt mit seiner Mutter. Die Bälle fliegen hoch übers Netz. Ausländer. Langnasen. Warum spielen so wenig junge Leute Tischtennis? Ist "Ping Pang" out? Li Xiang schüttelt den Kopf. "Nein, das spielt jeder." In der Schule, in der Uni. Überall würden Tische stehen. Li ist 20 Jahre alt. Er studiert Sport in Peking. Früher spielte er in der Schulmannschaft Tischtennis. Doch dafür sei er zu groß. 1,81 Meter. Jetzt spielt er im Uni-Team Basketball. Da gehört er zu den Kleinen.

Liu Juntao zündet sich eine Zigarette an. Das Team, das als erstes fünf Punkte hat, gewinnt. Jeder Korb zählt einen Punkt. Liu hat mit seinen zwei Mitspielern gerade verloren. Der 20-Jährige mit dem Lausbubengesicht macht einen tiefen Zug. An ihm hat es nicht gelegen. Wenn Liu zum Korb zieht, ist er kaum zu halten. Blitzschnelle Handwechsel, Drehungen, Körpertäuschungen. Und wenn er zum Korbleger abhebt, ist er so lange in der Luft, dass er noch hoch oben reagieren kann, wenn unten ein Gegner abspringt, um den Ball zu blocken. Vielleicht hätte er nicht abspielen sollen, hätte alles alleine machen sollen. Allen Iverson ist sein Lieblingsspieler, sagt er. Die US-Profiliga NBA ist überaus präsent im chinesischen Fernsehen. Liu bewundert die Profis schon lange. Besonders jenen Allen Iverson, den Show-Basketballer der Denver Nuggets, der sich so gern selbst inszeniert. Wegen Allen Iverson hat Liu begonnen, Basketball zu spielen. Er versucht ihn nachzuahmen. Am liebsten macht er alles allein auf dem Court.

Zum Team, gegen das er gerade verloren hat, gehört Li Xiang. Der hat alle fünf Punkte gemacht. Auch er ist ein Showman. Li sagt, dass er keine Vorbilder habe. Es gebe viele gute Basketballer in der NBA. Aber Vorbilder? "Mich selbst", sagt er. Slam Dunk, ein Comic im Manga-Style, hat ihn zum Basketballfan gemacht. Er gehört zu denen, die schon ein wenig Ansehen genießen auf der Anlage. Man weiß, was er kann. Dass er gut ist, verdankt er auch dem Training mit der Uni-Mannschaft. Sechsmal in der Woche übt er sich in der Halle. Auch wenn er nur zwei- bis dreimal in der Woche in den Chaoyang-Park komme, steht er in der Hackordnung der Spieler oben.

Liu drückt seine Zigarette aus. Er ist erst vor Kurzem mit seinen Eltern aus der Nähe von Shenzhen (Provinz Guangdong) nach Peking gezogen. Den Großteil seiner Freizeit verbringt er im Chaoyang-Park. Viele seiner Freunde hat er hier kennengelernt. Wenn er nicht Basketball spielt, sitzt er mit dem Joystick vor dem Bildschirm in einer der Pekinger Spielhallen. Zusammen mit Freunden, die er auf dem Court kennengelernt hat.

Li Xiang trägt Basketballstiefel von Nike, auch auf seinem Trikot und der Hose ist der Swoosh des US-Sportartikelherstellers nicht zu übersehen. Neben den Plätzen ist ein Shop der chinesischen Konkurrenz. Doch Li-Ning-Klamotten trägt keiner. "Amerika, das ist der große Traum." Li und Liu, die beiden schmächtigen Basketballer vom Chaoyang-Park, wissen, dass sie keine Profibasketballer mehr werden. Yao Ming bewundern sie vor allem, weil er den Sprung in die USA geschafft hat. Li Xiang hält ihn nicht für einen herausragenden Spieler. "Ganz okay" findet er ihn. Andere können es besser.

Das olympische Turnier haben beide verfolgt. Sogar Karten hatten sie. Liu hat Deutschland gegen Angola siegen sehen. Dirk Nowitzki ist ihm ein Begriff. Natürlich. Der Profi von den Dallas Mavericks ist die einzige deutsche Sehenswürdigkeit, die er kennt. Auch Li hatte eine Eintrittskarte. Doch die hat er verschenkt. Er hatte keine Zeit. Während Deutschland gegen China gespielt hat, musste er arbeiten. Solange die Spiele laufen, jobbt er. Was er genau macht, sagt er nicht. Irgendwas bei Nike. Der Firma will er treu bleiben. Sein Berufsziel: "Ich werde Manager bei Nike!" Er spielt mit seinem Ohrring. Wird er dann noch Basketball spielen? "Natürlich!" Im Chaoyang-Park? "Ich weiß nicht. Vielleicht woanders!"

Es wird dunkel. Die Plätze sind beleuchtet. Bis zehn Uhr darf gespielt werden. Immer mehr Spieler versammeln sich unter den Körben. Die 14-jährigen Jungs sind längst auf dem Heimweg. Immer mehr gestandene Männer tauchen auf. Sie zahlen 15 Yuan bei einem Aufpasser. Dann dürfen sie auf den Platz. Junge Leute laufen, schwitzen, rauchen. Älter als 30 sind wohl die wenigsten. Sie schleppen palettenweise Mineralwasser auf die Plätze. Es ist schwül.

An den Tischtennisplatten spielt schon lange niemand mehr. Auf den Fußballfeldern ist es eng geworden. Dort geht es geordneter zu als unter den Körben. Manche Teams treten sogar in einheitlichen Trikots auf. Undenkbar bei den Basketballern. Die ersten jungen Frauen tauchen auf. Sie setzen sich neben den Körben auf den Boden. Jetzt haben die Spieler Publikum. Es wird noch mehr gezaubert. Li und Liu gehen zurück auf den Platz. Endlich dürfen sie wieder spielen. Ihre Show geht weiter.

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