Spitzenpolitiker in Ostdeutschland: Die Rückkehr des Westimports

Der Personalwechsel in Schwerin markiert das Ende des kurzen Experiments: Ostdeutsche regieren sich selbst. Das Strippenziehen besorgen ohnehin meist Westdeutsche.

Frisch aus dem Westen: Mecklenburg-Vorpommerns neuer Ministerpräsident Sellering. Bild: dpa

Die Zeit der wessifreien Zone geht nach wenigen Monaten zu Ende. Im Mai übergab Georg Milbradt, der letzte Westdeutsche an der Spitze eines ostdeutschen Bundeslands, die Dresdener Staatskanzlei an den gebürtigen Sachsen Stanislaw Tillich. Die Wahl Tillichs galt als Symbol dafür, dass die Zeit der Politimporte zu Ende ist, dass der Osten annähernd achtzehn Jahre nach seinem Beitritt zur Bundesrepublik personalpolitisch volljährig geworden ist.

Diese Einschätzung war voreilig. Von Oktober an wird Mecklenburg-Vorpommern erstmals von einem Ministerpräsidenten aus dem Westen regiert, ein kleiner Parteitag der SPD nominierte am Sonntag den gebürtigen Westfalen Erwin Sellering für dieses Amt. Aber ist jemand, der seit vierzehn Jahren in dem Bundesland lebt, überhaupt ein Import?

Nach den Regeln des westdeutschen Politikbetriebs ist er das sehr wohl. In fast sechzig Jahren Bundesrepublik hat es kaum jemand zum Ministerpräsidenten gebracht, der nicht in dem jeweiligen Bundesland geboren war - eine Regel, die durch die wenigen Ausnahmen eher bestätigt wird. So verlor der Norddeutsche Peer Steinbrück nach zweieinhalbjähriger Regierungszeit die Wahl in Nordrhein-Westfalen nicht nur wegen der rot-grünen Reformagenda, sondern auch, weil er kein Rheinländer oder Westfale war.

In Bayern gilt es sogar als fraglich, ob ein Franke das Amt des Ministerpräsidenten erfolgreich ausfüllen kann, in Baden-Württemberg kamen zuletzt alle Regierungschefs aus dem württembergischen Landesteil. Einzige Ausnahme war das alte Westberlin, wo Zugezogene wie Willy Brandt oder Richard von Weizsäcker erfolgreich regierten und - anders als Steinbrück - sogar Wahlen gewannen.

In Mecklenburg-Vorpommern war eigentlich der heimische Landwirtschaftsminister Till Backhaus als Ringstorff-Erbe vorgesehen. Doch agierte er bei Ausbruch der Vogelgrippe unglücklich und brachte sich dann selbst um das Amt des SPD-Landesvorsitzenden. Auch der gebürtige Thüringer Dieter Althaus, obwohl seit fünf Jahren im Amt, konnte als Nachfolger des populären Bernhard Vogel nicht wirklich Fuß fassen und verlor Terrain an Bodo Ramelow, einen Westimport der Linken. Und selbst der erfolgsverwöhnte Matthias Platzeck in Brandenburg erlitt Blessuren, als er vom Amt des SPD-Bundesvorsitzenden zurücktreten musste.

Ältere Politiker wie Manfred Stolpe in Brandenburg, Wolfgang Böhmer in Sachsen-Anhalt oder eben Ringstorff in Mecklenburg-Vorpommern waren dagegen noch von einer Konstitution, die jegliche Kritik abprallen ließ - ganz ähnlich den Westimporten Kurt Biedenkopf in Sachsen und Bernhard Vogel in Thüringen. Die Erfolgskurve der Ostdeutschen in der Politik zeigt also, sieht man von der einzigen Ausnahme der Bundeskanzlerin ab, eher nach unten als nach oben.

Das ist zwar auch Ausdruck eines gesamtdeutschen Nachwuchsmangels angesichts sinkenden Politikinteresses und schwindender Mitgliederzahlen der politischen Parteien. Wegen der ohnehin geringeren Personalstärke wie auch der anhaltenden Abwanderung des qualifizierten Nachwuchses zeigt sich das Phänomen im Osten aber früher und stärker.

So stammen in Berlin, dem einzigen Ost-West-Bundesland, mittlerweile acht von neun Senatsmitgliedern aus dem Westen. Nur eine einzige Ressortchefin ist Ostdeutsche - trotz Regierungsbeteiligung der Linken. Und wo es im Schatten der Öffentlichkeit auf das ausgebuffte Management von Politik und Verwaltung ankommt, vertrauen auch Ost-Ministerpräsidenten lieber auf West-Erfahrung: Von den fünf ostdeutschen Staatskanzleichefs stammen vier aus Westdeutschland. Einzig Althaus in Thüringen verlässt sich an dieser Schaltstelle auf einen Einheimischen.

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