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BKA-Ermittlerin sagt beim "mg"-Prozess ausDas Protokoll einer heißen Nacht

Erstmals berichtet eine Ermittlerin des BKA, wie die Polizei die drei Angeklagten im Prozess um die "militante gruppe" festnahm und so angeblich einen Brandanschlag verhinderte. Auf ihre Spur kam sie durch die Überwachung des Soziologen Andrej Holm.

Für die Ermittlungsführerin beim Bundeskriminalamt, Ulrike A., war es eine heiße Nacht: Seit zehn Monaten koordinierte die 40-jährige Beamtin als sogenannte Verfahrensführerin für das BKA die Ermittlungen in Sachen "militante gruppe" (mg). Die Gruppe, die an der Überwindung des staatlichen Systems der Bundesrepublik Deutschland arbeitet, steht im Verdacht, seit 2001 im Raum Berlin 25 Brandanschläge auf staatliche und nichtstaaatliche Einrichtungen verübt zu haben. Nun, in der Nacht vom 30. zum 31. Juli 2007, glaubte man sich vor dem Ziel.

Den drei Männern, die die Polizei in jener Nacht in Nähe der Stadt Brandenburg an der Havel aus einem Mietwagen zog, wird zurzeit im Kriminalgericht Moabit der Prozess gemacht. Die Anklage lautet auf Mitgliedschaft in der kriminellen Vereinigung "militante gruppe" und versuchte Brandstiftung auf drei Bundeswehrlastwagen. Die 36 beziehungsweise 46 Jahre alten Angeklagten Axel H., Florian L. und Oliver R. schweigen.

Dafür erzählt Ulrike A. am Donnerstag umso ausführlicher. Die Ermittlungsführerin berichtete als Zeugin vor Gericht, wie sich die Festnahme aus Sicht der Polizei abspielte. Sie selbst sei in der Nacht auf der Dienststelle des BKA gewesen, habe aber mit den Observationsbeamten vor Ort in ständigem telefonischen Kontakt gestanden. Die Beamten, so Ulrike A., "waren Kräfte aus Berlin". Sie hätten "mitgeteilt", dass die Angeklagten L. und R. gegen Mitternacht mit zwei Rucksäcken und einer Plastiktüte zu dem Angeklagten H. in einem von diesem gemieteten Mietwagen gestiegen seien. Über verschiedene Dörfer - "so wurde mitgeteilt" - seien die drei nach Brandenburg/Havel gefahren.

An einer Tankstelle nahe des MAN-Firmengeländes habe der Wagen angehalten. Es sei "beobachtet worden", dass sich R. und L. "wohl auf das Firmengelände begeben haben". Bei einer "direkten Nachschau" hätten die Observationskräfte unter drei dort geparkten Bundeswehrfahrzeugen insgesamt sechs mit Kraftstoff gefüllte Flaschensets sichergestellt. Die Zünder seien fünf Minuten später außerhalb der Reichweite der Lkw "mit einer Stichflamme von circa 30 Zentimetern" explodiert.

Das alles, so die Zeugin, sei ihr "direkt im Telefonat" geschildert worden. Daraufhin habe sie die Festnahme der drei angeordnet. Der Zugriff sei aber "erst in einer Ortschaft in der Nähe" erfolgt, zu einem Zeitpunkt also, als die Beschuldigten schon wieder mit dem Auto unterwegs waren.

Dass die Polizei nicht unmittelbar am Tatort zugriff, werten die Verteidiger als Indiz dafür, dass die Überwachung in jener Nacht nicht lückenlos erfolgt ist. Die Ermittlungsleiterin räumte ein, dass es auf der Hinfahrt "kurzfristig" eine Lücke gegeben habe. Auch Unterbrechungen der Beobachtung des unmittelbaren Tathergangs konnte die Zeugin nicht ausschließen.

Die Verteidiger halten es für möglich, dass eine Oberservationslücke die Erklärung dafür ist, dass die Festnahme nicht am Tatort erfolgt ist. Somit sei nicht zu beweisen, dass die beobachteten Personen und die Angeklagten identisch seien, so ihre These. Während der Oberservationspausen könne die Besatzung des Mietwagens gewechselt haben. Ganz andere Personen könnten somit die Brandsätze deponiert haben und auf dem Weg vor dem Zugriff untergetaucht sein.

Auch dass es sich bei den am Tatort gefundenen Zündvorrichtungen um die Marke "Nobelkarossentod" gehandelt hat, zweifelten die Anwälte am Donnerstag an. Die Ermittlerin Ulrike A. hatte davon gesprochen, dass bei der Tat Zünder verwendet worden seien, die Ähnlichkeit mit der Marke "Nobelkarossentod" hätten. Dieser Typ sei bei mindestens vier Anschlägen der mg verwendet worden. Die Bauweise sei in der Zeitschrift Radikal Nummer 158 beschrieben.

Auf die Spur der Angeklagten war das BKA durch den Stadtsoziolgen Andrej Holm gekommen, gegen den die Behörde bis heute ermittelt. Der habe, so Ulrike A., im Februar 2007 in einem Internetcafé per Mail Kontakt mit einem der drei Angeklagten aufgenommen. Der Soziologe stand damals unter "TÜ", sagt die Ermittlerin. Das Kürzel bedeutet "Technische Überwachung". So lasen die Beamten die Mail mit, hefteten sich Holm an die Versen, als dieser einen der heute Angeklagten traf, und landeten so schließlich bei dem Trio, dass sich nach Brandenburg auf den Weg machte - dann ebenfalls total überwacht.

Anders als das BKA bezweifelt der Bundesgerichtshof, dass Andrej Holm ein Mitglied der "mg" ist. Das Gericht hatte schon vor einem Jahr festgestellt, dass gegen Holm kein dringender Tatverdacht bestehe.

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