Fußball im Osten: Dicke Waden, Randale und Vopo-Prügel

Frank Willmann schreibt über Fußball und spricht auch gerne. Deshalb lädt er Interessierte zu den "Ostberliner Fußballtouren" - einem Stadtrundgang zur Geschichte und Gegenwart des Fußballs zwischen Jahn-Sportpark und Hohenschönhausen.

Ganz am Anfang fragt Frank Willmann lieber noch mal nach. "Und zum Abschluss der Tour gehen wir dann zum BFC Dynamo-Spiel, oder? Natürlich hat er den Ostberliner Fußballrundgang schon vorher mit seinen drei Gästen durchgesprochen. Aber sicher ist sicher. Der BFC Dynamo Berlin hat eben keinen guten Ruf in der Republik, erst Stasi-Verein, dann Naziklub. So jedenfalls lautet das gängige und sicher nicht ganz falsche Klischee. Aber dazu wird der kundige Begleiter später etwas erzählen.

Frank Willmann ist Autor und Journalist und hat in den letzten Jahren allerhand zum Ost-Fußball veröffentlicht. Über Union Berlin und BFC Dynamo hat er jeweils ein Buch verfasst. Wohl kaum einer kennt sich in der Ostberliner Fußballszene besser aus als er, aktuell wie historisch.

Seit drei Monaten nun ist der 45-Jährige gebürtige Weimarer und Carl-Zeiss-Jena-Fan Mitarbeiter der Künstlerbegleitagentur "Art Escort" des Schriftstellers Norbert Kron. Die bietet für Touristen wie interessierte Berliner gleichermaßen thematische Stadterkundigungen an. Über Literatur zum Beispiel, über die Kunst- oder Clubbingszene - oder eben über Fußball.

Frank Willmann lässt seine Gruppe am Startpunkt seiner Fußballreise, der Chausseestraße, erst einmal warten. "Die Leute sollen sich noch ein wenig die Beine in den Bauch stehen. Wie im Stadion, vor dem Anpfiff", erklärt er seine Strategie. Dafür legt der "Escort-Artist" dann aber richtig los. Denn hier an der Chausseestraße stand einstmals des "Stadion der Weltjugend". Man muss schon viel Fantasie mitbringen, um sich das vorzustellen. Heute erkennt man hinter den Zäunen allenfalls noch die Spitzen der Kräne und die Schaufeln der Bagger. Der Bundesnachrichtendienst baut hier seine neue Zentrale.

Im Frühjahr 1950 wurde hier schon einmal kräftig gewerkelt. In nur vier Monaten zogen DDR-Baubrigaden das damals größte und modernste Stadion Berlins hoch. Zu dieser Zeit, das erzählt Frank Willmann und hält ein Stadionfoto in die Höhe, hieß die 48.000 Zuschauer fassende Anlage noch "Walter-Ulbricht-Stadion". Später, Anfang der Siebzigerjahre, wurde es in "Stadion der Weltjugend" umgetauft.

Die Namen wechselten je nach den politischen Kräfteverhältnissen der DDR. Was blieb, war ein Stadion, in dem bis in das Jahr 1990 sämtliche DDR-Pokalfinals und alle Lokalderbys von Union und BFC Dynamo Berlin ausgetragen wurden. "Wegen der angeblichen hohen Sicherheit", wie Willmann anmerkt.

Aus allen Teilen der DDR reiste der "gewaltbereite Fußballanhang", wie die Hooligans im sperrigen DDR-Jargon sprachlich definiert wurden, zu den Spielen in die Hauptstadt. Es gab wüste Schlägereien zwischen rivalisierenden Fans, und Frank Willmann war als junger Mann oft genug selber mit dabei. Er erzählt, in welche Hinterhöfe er sich flüchtete, um vor den prügelnden BFC-Dynamo-Fans Schutz zu suchen. Während er mit seinen Gästen die Chausseestraße Richtung Alexanderplatz entlangschlendert, kommt die Rede auch auf die DDR-Volkspolizisten. Die schlugen, mit der Situation völlig überfordert, oft wahllos auf die Fans ein.

Frank Willmann, der die DDR im Jahr 1984 in Richtung Westberlin verließ, besitzt ein nahezu unerschöpfliches Wissen über sämtliche Facetten des Ostberliner Fußballs. Deshalb stören ihn die neugierigen Zwischenfragen seiner Gäste überhaupt nicht. Im Gegenteil. "Das ist ausdrücklich erwünscht. Es soll dialogisch zugehen", so der Autor.

Nächste Station des fußballlandeskundlichen Stadtspaziergangs ist der Alexanderplatz. Am 7. Oktober 1977 war er der Schauplatz der wohl schwersten Auseinandersetzungen zwischen (Union-)Fans und der Volkspolizei. "Wer darüber etwas erfahren wollte, der musste allerdings die Gerichtsberichte in der Wochenpost dechiffrieren", klärt der Fußballexperte auf. In der offiziellen DDR-Presse wurde über Fanrandale nicht berichtet.

Frank Willmann macht noch einen Ausflug in die Bedeutungen der unzähligen Vereinsnamenspräfixe im DDR-Fußball wie Rotation, Vorwärts, Empor, KKW und welche Staatsorganisationen sich dahinter verbargen. Mit der U-Bahn steuert er dann den Jahn-Sportpark an. Hier kickte einstmals der DDR-Rekordmeister BFC Dynamo Berlin.

Frank Willmann geht schnurstracks zur ehemaligen Ehrenloge, Reihe 2, Sitz 2. "Hier saß immer Erich Mielke", sagt er und zeigt auf eine verwitterte Plastikschale. Der Platz des Chefs der DDR-Staatssicherheit also. Schließlich geht es ins Sportforum Hohenschönhausen.

Im Stadion von Dynamo schließlich verschnauft man und schaut Fußball. Fünfte Liga, 800 Zuschauer, der Gegner von Union heißt diesmal Greifswalder SC. Über den könnte Willmann auch so einiges berichten. Aber nach über drei Stunden geballter Ostfußball-Information ist Zeit für eine Pause mit Stadionwurst und einem großen Becher Bier.

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