die wahrheit: Der faule Meister Grimmbart
Nachgegraben: Nachforschungen über den Dachs in seinem natürlichen Lebensraum.
Wer kennt ihn eigentlich, den Dachs? Kaum einer hat ihn je zu Gesicht bekommen, die Wenigsten kennen sein eigentümliches Verhalten. Die nächtlich versteckte Lebensweise trägt sicherlich nicht gerade zur Aufklärung über den Dachs bei, noch viel weniger die unsichtbaren Vorgänge in seinem labyrinthartig angelegtem Bau. Was hat der Dachs zu verbergen, was treibt den dunklen Dämmerungsjäger um?
Das fragen sich in jüngster Zeit viele, denn der Dachs ist stark ins Gerede geraten wegen seiner stetigen Abwärtsbewegungen, die von seinen nervösen Beobachtern skeptisch beargwöhnt werden. Dabei ist ebendiese Abwärtsbewegung für den kundigen Dachskenner nur ein Teil seiner zyklischen Jahresentwicklung. Denn immer im Herbst wird der Dachs die Tiefen seines Dachsbaues aufsuchen und sich dort dem Winterschlaf hingeben. Diesen unterbricht er nur selten und nur bei ungewöhnlich warmem Klimaindex. Dann steigt der Dachs schon einmal nach oben, um im Unterholz der Zertifikate herumzustöbern. Doch der Fachmann weiß, dass es erst im Frühjahr dauerhaft mit dem Dachs aufwärts geht und der gewohnte winterliche Substanzverlust endlich wieder ausgeglichen wird.
In der sprichwörtlichen Frühjahrshausse mästet sich der Dachs wieder einen schönen Ranzen an, so dass der notorische Eigenbrötler kaum noch in seine Einfuhrröhre passt. Zufrieden tut er sich an unvorsichtigen Heuschrecken gütlich und verzehrt als Bonus dazu das eine oder andere Möhrchen. Auch Obst steht bei ihm hoch im Kurs und der Waldboden ist bald übersät mit den Hinterlassenschaften seiner Warentermingeschäfte: Kerfe, Rüben und Reben. Im Notfall geht er selbst Aas an und profitiert so vom mörderischen Wettstreit der Bankräuber im Niederwald.
Nach den satten Zeiten des Sommers beschert dem Dachs der Herbst eine späte Phase, in der es drunter und drüber geht: die Rollzeit, die Ranz oder, mit anderen Worten, die Hohezeit der freundlichen Übernahmen unter den Marderartigen! Danach wird es wieder still um den Dachs sein, er wird erneut in die Niederungen seines Baues fahren und den Winter faul verschlafen. Diese Trägheit ist auch ein charakteristischer Teil seines Wesens, das schon der große Dachsforscher Brehm als "faul, tückisch und bösartig" beschreibt.
Wehe dem aber, der sich dem Dachs dann unvorsichtig nähert, wie leicht holt sich der eine blutige Nase! So manch ein übermütiger Dachshund kam lädiert und jaulend aus der Höhle des Dachses zurück und würde sich nie wieder mit Meister Grimmbart anlegen. Das ist der Name, der ihm von erfahrenen Dachs-Analysten verliehen wurde, nachdem sie mit dem Dachs bittere Erfahrungen machten: Grimme Verluste zum Bärte-Raufen!
Man sollte eben nicht zu viel erwarten von diesem eigenwilligen Griesgram, der von Haus aus eher zu gemächlichen Anstiegen neigt als zu großen Höhenflügen. Einer, der eher die Anlagen von Rüben und Reben schätzt und plündert, als dass er einer flinken Maus unnötig hinterherläuft. Einer, der nicht zur falschen Effektenhascherei neigt, und einer, von dem der Volksmund wohl zu Recht sagt: "Drei Viertel seines Lebens / verschläft der Dachs vergebens"!
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