die wahrheit: Schwarze Spiegel im Rosa Salon

Neulich kam es zu einem merkwürdigen Zusammentreffen von Gegenwart und Vergangenheit. Zwei Kollegen und ich stellten überrascht fest, dass wir...

Neulich kam es zu einem merkwürdigen Zusammentreffen von Gegenwart und Vergangenheit. Zwei Kollegen und ich stellten überrascht fest, dass wir am selben Institut studiert hatten - oder besser: nicht studiert hatten. Denn wir waren alle drei stinkefaul gewesen und ewig lang immatrikuliert. Wir hatten seinerzeit Besseres zu tun, als uns ausgerechnet in der Universität herumzutreiben.

Zwar ging man am Anfang des Semesters in eine Vorlesung oder in ein Seminar, um sich in irgendeine Liste einzutragen, aber danach war man bereits so angeödet vom Lehrbetrieb, dass man den Rest des Semesters andernorts vertrödelte. Kein Wunder, dass allein der Fachbereich Germanistik eine Abbrecherquote von 70 Prozent hatte.

So war das damals in der schweren Zeit, bedauerten wir Kriegsteilnehmer uns gegenseitig und hätten sicher noch manche düstere Schnurre aus dem Schützengraben erzählt, wäre nicht plötzlich ein Name gefallen, der hell in unsere dunklen Erinnerungen hineinleuchtete: der "Rosa Salon".

Der "Rosa Salon" war der einzige Ort, an dem man sich in der verrotteten Rostlaube der Freien Universität Berlin aufhalten konnte. Zu Beginn der Achtzigerjahre war die kleine Kaffeestube aus einem von Schwulen betriebenen Streikcafé hervorgegangen. Das Erstaunliche war, dass man dort nur selten Schwule oder Lesben traf. Bevorzugtes Getränk war neben dem Kaffee im Plastikbecher für 60 Pfennige eine verschämt verspielte "Bananenmilch". Auch dafür liebten wir sogenannten Heten das Café neben seiner beinah mütterlichen Sauberkeit und Ruhe mitten im Strom der Kommilitonen und hängengebliebenen Exmatrikulierten, die durch das schier endlose Labyrinth der Massenuniversität mit ihren "J"- und "K"-Gängen irrten.

Im "Rosa Salon" tat man so, als ob man tatsächlich studierte. Dort fiel die übliche Faul- und Dummheit von den Studenten ab, die eifrig das imitierten, was sie sonst nur aus Filmen kannten: Sie diskutierten und gründeten Arbeitsgruppen, und ganz Wagemutige planten sogar ihre Magisterarbeiten. Über den heiß gerauchten Köpfen aber schwebte das schaurige Zauberwort "Schein", das über Sieg und Niederlage im Semester entschied, also meist Letzteres besiegelte.

Ein gruseliger Schauder überkam uns rückblickend und das baffe Erstaunen. Hatten wir es doch alle drei geschafft, trotz der liederlichen Studentenzeit zu ordentlichen und vernünftigen Menschen zu werden, ja sogar das Studium abzuschließen. Seit Jahren hatten wir nicht mehr an die elende Zeit gedacht. Als wir nun in den schwarzen Spiegel der Erinnerung sahen, konnten wir das nur verkraften, weil uns das glitzernde Glanzbild des "Rosa Salons" rettete. Als Dank auch dafür beschlossen wir, uns künftig einen Kampfbegriff zu wählen. Sollte es je im alltäglichen Geschäft zu wie auch immer gearteten Problemen kommen, dürften wir dem anderen ein Codewort zuraunen: "Rosa Salon".

Seither funktioniert der Code glänzend und verbreitet sich rasend schnell unter uns alten Salonhasen. Kürzlich traf ich in Frankfurt einen ehemaligen Kommilitonen und sprach die magische Formel aus. Er wusste sogar noch die exakte Raumbezeichnung: "JK 30/231".

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kari

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