Steuer-Debatte auf Parteitag: Merkels Zögern macht CDU nervös

Mit 94,8 Prozent wurde Angela Merkel zur CDU-Chefin wiedergewählt. Doch viele Delegierte wurden unruhig angesichts der Krise und einer Kanzlerin, die wenig tut.

"Deutschland wird sich alle Optionen offenhalten": Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Bild: ap

Auf dem Weg zum Eröffnungsempfang mussten sich die Delegierten des CDU-Parteitags mühsam den Weg bahnen. Nicht demonstrierende Arbeitslose waren es allerdings, die den Weg zum Neuen Schloss blockierten - sondern jene Stuttgarter, die mit schweren Einkaufstüten in der Hand im Konsumtaumel der Vorweihnachtszeit die Königstraße verstopften, eine der großen Einkaufsmeilen der Republik.

Das ist die Lage draußen im Lande, die Kanzlerin Angela Merkel im Blick hat, wenn sie Steuersenkungen oder Konjunkturprogramme derzeit noch ablehnt. Die große Mehrheit der Bundesbürger würde solche dramatischen Programme zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht verstehen, sagen Merkels Vertraute. Die Kanzlerin will sich Optionen aufsparen für den Fall, dass es nach dem Jahreswechsel wirklich ernst wird.

Droben auf dem Berg, in den neuen Messehallen gleich neben dem Stuttgarter Flughafen, trifft Merkel auf eine andere Realität. Denn viele Delegierte drinnen im Saal werden allmählich unruhig angesichts der Krise und einer Kanzlerin, die anscheinend nichts tut. Die Nein sagt zu gemeinsamen Projekten auf europäischer Ebene, die keine Steuern senken und vorerst auch kein neues Konjunkturprogramm beschließen will.

Die Kluft, die es schon immer gab zwischen Merkel und ihrer Partei, hat sich durch die Krise vertieft. Doch hat es die Vorsitzende bis zum Beginn des Parteitags wieder einmal geschafft, die wichtigsten Kritiker einzufangen. Keiner der Ministerpräsidenten opponiert noch offen die Kanzlerin. Mühsam ringt der Saarländer Peter Müller in Interviews um Erklärungen, warum er jetzt plötzlich doch keine schnelle Steuersenkung mehr will. Auch Philipp Mißfelder, Chef der Jungen Union und sonst gerne ein Kritiker der Berliner Linie, verteidigt Merkels Position fantasievoll. Schließlich will er mit einem guten Ergebnis ins Präsidium gewählt werden.

So kann Merkel in ihrer Parteitagsrede bei der Linie bleiben, die sie fünf Tage zuvor im Bundestag vorgegeben hat. "An einem sinnlosen Wettbewerb um Milliarden beteiligen wir uns nicht", begründet sie ihr Abwarten. "Wir haben viel zu sehr Experten geglaubt, die keine Experten waren", wehrt sie die Empfehlungen von Wirtschaftswissenschaftlern ab, die zu schnellen Konjunkturpaketen raten. "Deutschland wird die Lage immer wieder neu analysieren. Deutschland wird sich alle Optionen offenhalten", sagt sie mit Blick auf den Koalitionsgipfel im Januar.

Aber Merkel spricht an diesem Montag nicht im Deutschen Bundestag. Es gibt hier keine SPD-Fraktion, die aushilft, wenn der Applaus der Unionisten etwas flau ausfällt. Es gibt keinen Finanzminister Peer Steinbrück, der ihre Linie stützt.

Es gibt nur Christdemokraten, die nach Pathos dürsten und nach klarer Kante. Die zwar wissen, dass sie am Ende der Merkel-Rede minutenlang stehend klatschen müssen, die aber zwischendurch fast einschlafen, als die Kanzlerin über die globale Krisenlösung spricht, über einen zu gründenden Weltwirtschaftsrat - und darüber, dass Familie, Bildung, Klimaschutz wichtig bleiben trotz der Krise. Delegierte, die nur klatschen bei Spitzen gegen Linkspartei, SPD und Multikulti.

Es gibt hier auch Jürgen Rüttgers, der eine donnernde Rede zur Krise hält. Er sagt kein einziges kritisches Wort zu Merkel. Dafür lobt er verantwortungsbewusste Unternehmer, schimpft auf Firmen, die voreilig Leute entlassen, fordert von allen mehr Patriotismus - und zitiert, damit ihn niemand für einen bornierten Nationalisten hält, gleichzeitig den Fußballer Gerald Asamoah. Es klingt, als habe Rüttgers die Inaugurationsrede einstudiert, mit der US-Präsident Franklin D. Roosevelt 1933 der Weltwirtschaftskrise ganz wörtlich den Krieg erklärte. Es klingt wie die Rede, die viele sich von Merkel wünschen, die sie von der Kanzlerin nicht bekommen.

Dann redet Friedrich Merz. Es ist der konzentrierteste Moment des Parteitags. Als Merz zu reden beginnt, wird es sofort ganz still. Dann sagt er, was alle von ihm erwarten: "Ich hätte es mir auch anders vorstellen können." Es, das ist die Steuerpolitik der Kanzlerin. Von Steuersenkung mag Merz gar nicht sprechen, schließlich verzichte der Staat nur auf Mehreinnahmen, wenn er den Steuertarif an die jüngsten Gehaltssteigerungen anpasse. Er bekommt viel Applaus, notgedrungen rührt sogar Merkel die Hände.

Entspannen kann sich Merkel erst wieder, als Roland Koch redet. Der hessische Ministerpräsident gibt seit seinem misslungenen Ausländerwahlkampf den besten Freund der Kanzlerin, hartnäckiger als er ficht kaum jemand für die Berliner Linie der Haushaltskonsolidierung. "Wir werden einen Wettlauf der Apokalypse nicht gewinnen", wirbt er für Merkels Kurs der ruhigen Hand. "Das ist Besonnenheit", lobt er das Verschieben jeglichen Konjunkturprogramms ins neue Jahr. Er wird mit 88,76 Prozent als Stellvertreter bestätigt.

Dann kommt das Ergebnis für Angela Merkel. Mit 94,8 Prozent der Delegiertenstimmen ist sie wiedergewählt zur Vorsitzenden, fast 2 Prozentpunkten mehr als vor zwei Jahren. Sie hat es wieder geschafft - auch wenn es alles andere als elegant aussah. Bis Dienstagmittag muss sie noch in Stuttgart bleiben. Dann kann sie wieder zurück in ihre Welt - in die Berliner Koalition mit den Sozialdemokraten, zu den internationalen Gipfeltreffen, dorthin, wo es auch mal echten Beifall gibt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.